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Ralf Lange
Männer als geschlechterpolitische
Blindgänger?
Männer im Prozess des Gender
Mainstreaming
Männer, die sich in Organisationen aktiv
für die Förderung von Geschlechterdemokratie und
Chancengleichheit einsetzen, gelten noch immer als exotische
Paradiesvögel, deren Motivation zweifelhaft bleibt. Der Mann,
der sich in Unternehmen, Behörden oder Verbänden mit
geschlechterpolitischen Strategien beschäftigt und im Dialog
mit Frauen und Männern selbstbewusst eigene Standpunkte
formuliert, wird selten wahr und noch weniger ernst genommen.
Diese Situation ist vor dem Hintergrund der
bis vor wenigen Jahren dominierenden frauenpolitischen Ansätze
mit den Eckpunkten Frauenförderung, Frauen- beziehungsweise
Gleichstellungsbeauftragte und Quotierung erklärlich.
Männer waren in diesem Diskurs entweder nicht erwünscht,
weil sie als politische Gegner empfunden wurden, oder sie
gehörten zu den geduldeten Gesprächspartnern, denen
entweder pauschal das Interesse an männlichem Machterhalt
unterstellt wurde, oder denen die pro-feministischen Motive
abgesprochen wurden. Die ernüchternde Bilanz in vielen
Betrieben zur Frage der Wirksamkeit von
Frauenfördermaßnahmen kann als Indiz gewertet werden,
dass diese skeptische Grundhaltung vieler Frauen durchaus nicht
unbegründet ist.
Müssen wir also zum Schluss kommen, dass
Männer in Organisationen geschlechterpolitische
Blind-gänger sind, deren explosives Potential sich immer dann
zeigt, wenn männliche Privilegien und Besitzstände
bedroht sind? Sind die Langlebigkeit männlich geprägter
Organisationskulturen und die Hegemonie männlicher
Verhaltensmuster in Organisationen unveränderlich? Oder gibt
es möglicherweise gute Gründe, weshalb gerade Männer
in Organisationen aufgrund eigener Interessen und Motivationen zu
aktiven Förderern geschlechterdemokratischer Verhältnisse
werden?
Mit Hilfe von Gender Mainstreaming (GM) als
stra-tegischem Konzept zur Entwicklung von Geschlechterdemokratie
und -gerechtigkeit sollen Männer im Dialog mit Frauen (und
Männern) einen eigenständigen Beitrag zur Förderung
gleicher Entwicklungschancen von Frauen und Männern in
Organisationen leisten. Sie sind eingeladen, den Mainstream
(wörtlich: Hauptstrom) männlichen Denkens und Handelns in
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu reflektieren und in
Richtung einer diskriminierungsfreien Praxis zu verändern. Es
geht also um einen zielgerichteten Lern- und Entwicklungsprozess
zur Umgestaltung betrieblicher Strukturen und individueller
Verhaltensmuster, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern
begründen und immer wieder reproduzieren. Damit wird in einer
doppelten Perspektive neben der Verhaltensdimension die
strukturelle Komponente betont, ohne die keine nachhaltigen
Veränderungen in Geschlechterverhältnissen gelingen
werden.
Die ersten praktischen Erfahrungen bei der
Einfüh-rung von Gender Mainstreaming in Behörden,
Verwaltungen, Unternehmen und Verbänden lassen erkennen, dass
es den betrieblichen Akteuren nicht leicht fällt, diese
theoretischen Ansprüche in der betrieblichen Praxis
umzusetzen. Im ersten Schritt muss das Informationsbedürfnis
der Verantwortlichen in den Betrieben befriedigt werden. Es muss
darüber gesprochen werden, welche Chancen und welcher konkrete
Nutzen für die Organisation und ihre Mitglieder mit der
Einführung von GM verbunden sind. Diese Orientierungsphase
verlangt von internen und externen Protagonisten des GM nicht
selten ein hohes Maß an Geduld, Hartnäckigkeit sowie
inhaltlicher und Gender-kompetenz. Das Thema ist insbesondere bei
männlichen Entscheidern (noch) kein "Selbstläufer",
dessen Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg unmittelbar
einleuchtet.
Aktive Mitgestalter
Welchen eigenständigen Beitrag sollten
Männer in diesen Veränderungsprozess einbringen
beziehunsweise unter welchen Bedingungen dürfte sich die
Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Männer im Prozess des
Gender Mainstreaming zu aktiven Mitgestaltern werden? Die Antwort
liegt ziemlich klar auf der Hand: Männer müssen für
sich einen konkreten persönlichen beziehungsweise beruflichen
Gewinn erkennen können und zugleich muss für sie die
Nützlichkeit der angestrebten Lern- und Entwicklungsprozesse
nicth zuletzt auch aus organisationspolitischer Sicht deutlich
werden.
Die Ebene des persönlichen Gewinns
für Männer durch die Entwicklung
geschlechterdemokratischer Verhältnisse lässt sich an
vielen Beispielen zeigen. Veränderte Lebens- und
Arbeitsbedingungen, die die Eindimensionalität und die
kulturelle Hegemonie des traditionellen männlichen
Lebensentwurfs zu Gunsten von Vielfalt und Wahlmöglichkeiten
aufbrechen, schaffen ein gesundheitsförderliches,
diskriminierungsfreies und vielfältiges Umfeld, in dem sich
Männer und Frauen im Dialog als gleichberechtigte Partner
begegnen können. Ein hierarchiearmes und
diskriminierungsfreies Umfeld in Arbeitsorganisationen kann
Männern helfen, ihre Beziehungs- und Teamfähigkeit zu
verbessern und ein insgesamt gelasseneres Verhältnis zur
Erwerbsarbeit zu gewinnen. Anforderungen aus Beruf und Familie
lassen sich in geschlechterdemokratischen Verhältnissen auch
für Männer besser vereinbaren als zuvor. Die Abwesenheit
einer männlichen Rhetorik von Kampf, Marktmacht und
Herrschaftsausübung könnte außerordentlich wohltuend
auf die soziale Konstruktion von Männlichkeit wirken, weil
jenseits dieser seit langem tradierten männlichen Werte und
Normen erweiterte Handlungsoptionen für Männer in der
Arbeitswelt deutlich werden. Ein verbesserter Kontakt auch zu den
männlichen Kollegen im Arbeitsumfeld kann dabei Gefühle
von Entfremdung, Einsamkeit und Überforderung zu Gunsten von
Werten wie Solidarität, Gemeinschaft und Geborgenheit
ablösen.
In vielen Organisationen sind die
entscheidenden Positionen in der betrieblichen Hierarchie noch
immer überwiegend von Männern besetzt. Die betriebliche
Wirklichkeit wird durch männliche Organisationsprinzipien
geprägt. Männliche Entscheider lassen sich durchaus
für Geschlechterdemokratie und -gerechtigkeit gewinnen, wenn
ihnen deutlich wird, dass ihre Entscheidungen unter Anwendung von
Strategie und Instrumenten des GM bessere Ergebnisse hervorbringen
als zuvor. Entscheidend ist, dass sie verstehen und erfahren, wie
mit Hilfe dieses Ansatzes die geschäftspolitischen Ziele
einfacher, schneller und sicherer erreicht werden.
Organisationsintern wird die
gleichberechtigte Berücksichtigung von männlichen und
weiblichen Perspektiven bei allen Entscheidungen zu einer Kultur
von Transparenz und Teilhabe beitragen, die eine motivierte und
engagierte Belegschaft wachsen lässt. Eine dialogorientierte
Form der Auseinandersetzung über fachliche,
geschlechtsbezogene und organisationspolitische Fragen trägt
dazu bei, dass Männer und Frauen sich als Konfliktpartner
erkennen, die zu fairen Kompromissen zwischen den Geschlechtern
fähig sind. Hinzu kommt, dass eine Organisation, die sich
offensiv gegenüber Kunden und Geschäftspartnern für
Geschlechterdemokratie und Geschlechtergerechtigkeit engagiert, zu
einer gefragten Geschäftspartnerin wird, die mit gutem
Beispiel voran geht.
Der Imagegewinn dürfte mittelfristig
auch am Arbeitsmarkt dafür sorgen, dass die Rekrutierung
hochqualifizierten Personals leichter gelingen wird - zumal es sich
in der heutigen demografischen Situation kein Betrieb mehr leisten
kann, auf hoch qualifiziertes, weibliches Fachpersonal zu
verzichten. Darüber hinaus gehören Maßnahmen eines
zielgruppenspezifischen Marketings unter Berücksichtigung
geschlechtsbezogener Wirkungsmuster inzwischen zum kleinen
Einmaleins jedes erfahrenen Marketingexperten. Beides trägt
zur Standortsicherung und Wettbewerbsfähigkeit bei.
Arbeitswelt verändert sich
Eines ist sicher: Die Arbeitswelt
verändert sich in immer kürzeren Zeitabständen und
alle, die heute Entscheidungen zu treffen haben, tragen eine hohe
Verantwortung für die Menschen in den Betrieben. Frauen und
Männer sichern durch ihre Leistungsfähigkeit und ihre
Flexibilität den Erfolg eines Unternehmens.
Zur Verantwortung von
Geschäftsführungen, Vorständen und
Führungskräften gehört aus politischen und
ökonomischen Gründen, dass Entscheidungen getroffen
werden, die eine gleichberechtigte Teilhabe von Männern und
Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht.
Gender Mainstreaming als Strategie und Instrument ist vor diesem
Hintergrund eine sehr willkommene Möglichkeit für
Männer in der Arbeitswelt, ihre Position und Rolle, aber auch
die männlichen Werte, Regeln und Normen der Organisation zu
überprüfen und im Dialog mit Frauen zu überdenken.
Das Ziel einer geschlechterdemokratischen Normalität jenseits
von Diskriminierung und struktureller Gewalt ist in vielen
Organisationen noch lange nicht erreicht.
Der Autor ist Sozialwissenschaftler und
arbeitet als Organisationsberater in Hamburg.
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