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Jeff Hearn
Homosozialität oder die realen
Machtverhältnisse am Arbeitsplatz
Männer und Männlichkeit in Unternehmen
und Management
Während die Medien - insbesondere die Wirtschaftsmedien -
jeden Tag ausführlich über schwankende Aktienkurse,
wirtschaftlichen Aufschwung oder Rezessionen,
Übernahmeangebote und Gegenangebote, Fusionen und
Übernahmen sowie Börsengänge und Insolvenzen
berichten, wird von der am nächsten liegenden Tatsache kaum
Notiz genommen: Unternehmen und speziell internationale Konzerne
werden von Männern dominiert. Dieses Thema taugt schwerlich
für Schlagzeilen; man nimmt es als business as usual oder,
etwas seriöser formuliert, als Teil einer als
selbstverständlich hingenommenen Sozialstruktur zur
Kenntnis.
Seit kurzem hat sich das Interesse in Forschung und Politik auf
internationaler Ebene auf die Rolle von Männern und
Männlichkeit als eindeutig durch ihr Geschlecht geprägte
und nicht nur angeblich neutrale, nicht durch ihr Geschlecht
geprägte Menschen verlagert. Diese Betrachtungsweise von
Männern und Männlichkeit ist im Zusammenhang mit
Unternehmen, Managern und Unternehmensführung von besonderer
Bedeutung. Bei den Beziehungen unter den Geschlechtern geht es
nicht nur um das Thema "Frauen", sondern auch um die Strukturen von
"Männern" und deren geschlechtsspezifisches Verhalten
beziehungsweise die Rolle der Männlichkeit in obersten
Führungsetagen von Unternehmen.
In vielen Ländern sind der private Arbeitsmarkt und der
Arbeitsmarkt im öffentlichen Sektor im Hinblick auf die
Geschlechterverteilung sehr unterschiedlich ausgeprägt: Frauen
sind im öffentlichen Sektor deutlich häufiger vertreten.
Durch strenge Trennung zwischen Männern und Frauen entstehen
oftmals zwei Arbeitsmärkte - einer für Frauen und einer
für Männer. Bei der Besetzung von Managementposten - dies
betrifft insbesondere Stellen in der Führungsspitze - wird
zumeist auf den männlichen Sektor des Arbeitsmarkts
rekurriert. Die Leitung großer Unternehmen bleibt
hauptsächlich Männern vorbehalten. Dies gilt in noch
stärkerem Maß für die oberste Führungsebene. Es
handelt sich hier um ein durchgängiges Muster.
Bei einer Umfrage unter 62 der 100 größten Unternehmen
in Finnland (Gender Divisions and Gender Policies in Top Finnish
Corporations, Hanken 2002), die ich zusammen mit Prof. Anne
Kovalainen und Teemu Tallberg durchgeführt habe, lag der
Anteil der Männer unter den Angestellten bei fast 70 Prozent.
Sie waren auf allen organisatorischen Ebenen stark vertreten (das
heißt als Sachbearbeiter, im mittleren Management, in der
Unternehmensleitung und als Vorstandsmitglieder). Dieser Tatsache
steht die weitaus geringere und wesentlich größeren
Schwankungen unterworfene Präsenz von Frauen gegenüber.
Bei einem Viertel der befragten Unternehmen waren Frauen weder im
Vorstand noch in der obersten Führungsebene vertreten; bei der
Hälfte der Unternehmen saßen entweder im Vorstand oder in
der Führungsspitze ausschließlich Männer, und in
etwa 60 Prozent der Firmen bestand der Vorstand ausschließlich
aus Männern. Insgesamt liegt das zahlenmäßige
Verhältnis zwischen Frauen und Männern in Vorständen
bei 1:9. Nur in einem einzigen Unternehmen saßen gleich viele
Frauen wie Männer im Vorstand; bei 95 Prozent der Unternehmen
kamen auf jedes weibliche Vorstandsmitglied mindestens zwei
männliche Vorstandsmitglieder. In der Führungsspitze der
Unternehmen lag das zahlenmäßige Verhältnis zwischen
Frauen und Männern sogar bei 1:9,4. Im mittleren Management
betrug der Anteil der Frauen 25 Prozent.
Einem Eurostat-Bericht zufolge waren im Jahr 2000 in den
damaligen 15 EU-Staaten die Chancen für Männer, eine
Position mit Führungsverantwortung in einem Unternehmen zu
bekommen, doppelt so hoch wie für Frauen. Die Chancen, eine
Tätigkeit an der Spitze eines Unternehmens wahrzunehmen, waren
sogar drei Mal so hoch. Nur in Spanien und Irland lag der Anteil
der Männer im Bereich der Unternehmensleitung bei weniger als
50 Prozent, während in Dänemark und Finnland die Zahl der
Männer die der Frauen um mehr als das 2,5-fache
überstieg. Lediglich in Italien, den Niederlanden und
Österreich war der Anteil der Männer, die als Direktoren
und Geschäftsführer tätig waren, weniger als drei
Mal so hoch wie der Anteil der Frauen - in Großbritannien war
er zehn Mal und in Schweden fünfzehn Mal so hoch.
Wenn man sich mit dem Problem näher befasst, tauchen viele
wichtige Fragen in Bezug auf die Beziehungen der Männer zu
Unternehmen bzw. zur Unternehmensführung auf. In gleicher
Weise ergeben sich wichtige Fragen bezüglich der fortgesetzten
numerischen Dominanz von Männern insbesondere in obersten
Führungspositionen, darunter zum Beispiel die Transformation
von Formen der Männlichkeit auf Managementebene von einem eher
traditionellen zu einem moderneren Ansatz, die Beziehungen zwischen
einer angeblich neutralen, nicht zwischen Geschlechter
unterscheidenden Bürokratie und Männern bzw.
Männlichkeit; Homosozialität und die Vorliebe der
Männer, sich mit gleichgesinnten Geschlechtsgenossen
zusammenzutun; Machtverhältnisse am Arbeitsplatz zwischen
verschiedenen Hierarchieebenen und innerhalb gleicher Ebenen; das
Umdenken in den Beziehungen zwischen Unternehmensleitung und
Arbeitnehmervertretungen vor dem Hintergrund der Rolle der
Männlichkeit (Zusammenarbeit und Konflikte); Handlungen und
Reaktionen von Männern zum einen in männlich dominierten
und zum anderen in zahlenmäßig weiblich dominierten
Organisationen; Identitätsbildungsprozesse auf
Managementebene; die Heranziehung männlicher Rollenbilder,
Stereotypen und Symbole in der Führungsebene - diese stammen
häufig aus den Bereichen Sport, Militär und Evolution,
zum Beispiel das "Gesetz des Dschungels".
In meinen eigenen Forschungsprojekten habe ich die historische
Entwicklung von Männern und Management, die Bedeutung von
Männern und Management bei der Reproduktion patriarchalischer
Strukturen und - in Zusammenarbeit mit Professor David Collinson -
die Methoden untersucht, mit denen männliche Manager Frauen
bei der Stellenauswahl regelmäßig diskriminieren
können. Wir haben darüber hinaus analysiert, inwieweit
sich männliche Manager in ihrer Rolle als arbeitende
Väter häufig von ihren familiären Verpflichtungen
"distanzieren" können. Innerhalb der Unternehmen werden solche
"Distanzierungsstrategien" oftmals als Beleg für das
Firmenengagement angesehen. Allerdings kann diese Art von Druck zu
verstärkten Spannungen zwischen Männern und Frauen in
Familien führen, die ihre eigenen geschlechtsspezifischen
Machtverhältnisse haben. Es gibt darüber hinaus in
eingeschränktem Umfang auch eine gegenläufige Entwicklung
mit neuen Denkansätzen und Führungsmodellen für
Männer, die aus nicht repressiven, profeministischen
Management- und Führungsprinzipien bestehen.
Bei der Betrachtung der Rolle von Männern und
Unternehmensführung auf internationaler Ebene ergeben sich
weitere wichtige Fragen. Die stetig wachsende Bedeutung
multinationaler Konzerne beruht auf deren internationalen
geschäftlichen Aktivitäten, die sich nicht auf ein
einzelnes Land oder einige wenige Länder beschränken.
Durch Globalisierungsprozesse vergrößern sich die
weltweit tätigen Konzerne und erweitern ihre
Geschäftsfelder. Die Untersuchung der Beziehungsdynamik
zwischen den Geschlechtern in diesen Konzernen, das heißt
deren geschlechtsspezifische Strukturen, das Management und
insbesondere die Konzernleitung sowie geschlechtsbedingte globale
Auswirkungen, ist daher besonders wichtig.
In einem Kommentar zur globalen Situation bemerkte der
amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und
Globalisierungskritiker David Korten: "Die fünfhundert
größten Industriekonzerne der Welt, die lediglich ein
Fünfhundertstel von einem Prozent der Weltbevölkerung
beschäftigen, kontrollieren 25 Prozent der wirtschaftlichen
Produktionsleistung der Welt. Die 300 größten
multinationalen Unternehmen (ohne die Geldinstitute) besitzen etwa
25 Prozent der Ertrag bringenden Aktiva der Welt. Unter den 100
größten Volkswirtschaften weltweit befinden sich heute 50
Konzerne - Banken und Geldinstitute nicht eingerechnet. Einer
Untersuchung des Economist zufolge bildet das Kapital der 50
größten Geschäftsbanken und diversifizierten
Finanzunternehmen der Welt zusammengenommen etwa 60 Prozent des
weltweit vorhandenen Produktivkapitals."
(http://www.geocities.com/RainForest/3621/KORTEN.HTM)
Die Konzentration der Marktbeherrschung schreitet schnell voran.
Bei Gebrauchsgütern sowie in den Bereichen Automobilindustrie,
Fluggesellschaften, Luft- und Raumfahrt, Stromversorgung,
Elektrogeräte und Elektronik und Stahlindustrie kontrollieren
die fünf größten Unternehmen mehr als 50 Prozent des
Weltmarktes. In der Öl-, Computer- und Medienindustrie wird
mehr als 40 Prozent des Absatzes von den fünf
größten Unternehmen der Welt kontrolliert.
In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass diese Konzentration von
Macht und Ressourcen wiederum hauptsächlich durch Männer
gelenkt wird. Professor Leslie Sklair von der London School of
Economics hat zusammen mit anderen Wissenschaftlern die weltweite
Entwicklung der "Klasse der grenzüberschreitenden
Kapitalisten" untersucht, die sich bei näherer Betrachtung
praktisch nur aus Männern rekrutiert. R. W. Connell,
Soziologieprofessor an der University of California in Santa Cruz,
hat sich mit dem Auftreten neuer Formen der
"grenzüberschreitenden Männlichkeit der
Geschäftswelt" beschäftigt, die über nationale
Kulturen hinaus reichen und sogar lose mit bestimmten Unternehmen
verbunden sind. Diese Männer sind die eigentlichen
"Männer von Welt". Dr. Cristina Reis von der Swedish School of
Economics and Business Administration in Helsinki hat die Beziehung
von Topmanagern zu ihren Ehegatten und ihrer privaten,
häuslichen Welt untersucht und ist der Frage nachgegangen,
inwieweit diese eine weitgehend unsichtbare, aber entscheidende
Rolle für den Karriereerfolg des Mannes - es handelt sich
praktisch ausnahmslos um Männer - spielt (Men Managers in a
European Multinational Company, Rainer Hampp Verlag, 2004). Dies
gilt insbesondere dann, wenn man sich die Führungsspitze in
großen multinationalen Unternehmen betrachtet, deren
geschäftliche Aktivitäten über nationale Grenzen
hinaus reichen.
Unterschiedliche Unternehmensstrukturen schaffen
unterschiedliche Möglichkeiten für Männer und
Frauen. Bei eher zentralistisch organisierten multinationalen
Konzernen kann sich bis zu einem gewissen Grad eine Politik der
Gleichberechtigung entwickeln, zum Teil als Reaktion auf
entsprechende Forderungen aus mindestens einer bestimmten Region,
auch wenn diese Forderungen nicht unbedingt auf höchster Ebene
deutliche Auswirkungen haben. Polyzentrische und dezentralisierte
multinationale Konzerne können eher auf regionale Bedingungen
reagieren und so wohl eher lockere, autonome und variable
Strukturen innerhalb verschiedener geographischer oder operativer
Einheiten entwickeln. Geschlechtsspezifische Beziehungen innerhalb
der Führungsspitze bestimmter Organisationen könnten
häufig individualisiert wahrgenommen beziehungsweise aufgebaut
werden, das heißt die Managementkarriere des Mannes wird als
Resultat einer Kombination individueller Entscheidungen und weniger
als Resultat der Personalpolitik des Unternehmens betrachtet.
Besonderen Anlass zur Sorge bereitet die Tatsache, dass das
Muster der männlichen Dominanz auf oberster Führungsebene
sich auch dort zeigt, wo eigentlich eine größere relative
Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt, in der Familienpolitik und
vor dem Gesetz herrscht, zum Beispiel in den skandinavischen
Ländern. Dies gilt insbesondere für die private
Wirtschaft. In Dänemark beispielsweise haben nur etwa 10
Prozent der Frauen eine Stelle im mittleren Management. In Finnland
und Schweden ist angesichts der starken Position von Frauen auf dem
Arbeitsmarkt die Zahl der Frauen in Führungspositionen
überraschend gering. In einer 2002 im Rahmen des European
Business Survey unter kleinen und mittleren Unternehmen in 19
europäischen Ländern durchgeführten Untersuchung
bezüglich der Frage, ob mindestens eine Frau in der
Unternehmensleitung vertreten ist, rangierten Schweden an 14. (dort
waren bei 49 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen keine
Frauen im Management vertreten) und Dänemark mit 53 Prozent an
17. Stelle. Deutschland fand sich auf Platz 9 wieder: Hier waren in
47 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen keine Frauen in
der Unternehmensleitung vertreten. Auf der anderen Seite gibt es
Anzeichen eines allmählichen Wandels. Während in den 19
Ländern im Jahr 1996 noch in 50 Prozent der kleinen und
mittleren Unternehmen ausschließlich Männer in der
Unternehmensleitung vertreten waren, war dies im Jahr 2002 nur noch
bei 44 Prozent der Fall. Der Anteil der kleinen und mittleren
Unternehmen mit mindestens einer Frau in der Unternehmensleitung
ist deutlich gestiegen, sodass man von einer Verschiebung des
männlichen Monopols in diesen Unternehmen sprechen kann.
Letztlich führen moderne Informations- und
Kommunikationstechnologien dazu, dass Unternehmen heutzutage nicht
länger örtlich und zeitlich gebunden sind.
Unternehmensführung ist ein Oberbegriff für verschiedene
soziale Strukturen und Prozesse, darunter
grenzüberschreitendes Management sowie Beziehungen, Netzwerke
und Virtualität zwischen den Unternehmen. Solche Bedingungen
schaffen vielfältige Möglichkeiten der Machtausübung
für Männer und Manager in Unternehmen und somit viele
weitere Möglichkeiten für Männer und Manager, was
sich in dieser neuzeitlichen, sich globalisierenden Welt
entsprechend niederschlägt. Jeff Hearn
Jeff Hearn ist Academy Fellow und Professor an der Swedish
School of Economics and Business Administration in Helsinki und der
University of Huddersfield (Großbritannien). Er ist Autor und
Herausgeber von über 30 Büchern, darunter des Werkes "Men
as Managers, Managers as Men", und zahlreicher Artikel zu
Geschlechterforschung, Unternehmen, Management und anderen
Themen.
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