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Constanze Hacke
Männer ohne Anschluss: Die gelobte
Fremde
Über die besonderen Probleme von Migranten
in der Arbeitswelt
Eigentlich haben sie schon genug Probleme: Sie sind fernab ihrer
Heimat, dürfen nicht arbeiten oder finden keinen Job und sind
möglicherweise überdies noch vor Bürgerkrieg oder
politischer Verfolgung geflohen. Migranten werden oft nicht gerade
mit offenen Armen empfangen. Zwar werden Handel und
Finanzmärkte zunehmend liberalisiert, dies gilt aber nicht
für den Arbeitsmarkt. Viele Industrieländer betreiben
inzwischen eine restriktive Einwanderungspolitik; Schlepperbanden
nutzen dies aus, und so geraten immer mehr Migranten in die
Illegalität. Die gesellschaftliche Atmosphäre im
Aufnahmeland tut ihr Übriges.
Die Männer unter den Migranten haben aber noch mit ganz
speziellen Problemen zu kämpfen: Gerade junge männliche
Migranten suchen in aller Regel allein ihr Glück in der
gelobten Fremde. Arbeitslosigkeit ist hier ein ganz entscheidender
Faktor. So ergab eine Studie der Europäischen Union, dass
für Männer wirtschaftliche Motive bei der Entscheidung
für die Migration im Vordergrund stehen, während für
Frauen meist familiäre Gründe wichtiger sind. Männer
halten oft auch jenseits der Grenzen Ausschau nach Arbeit, so wie
es schon viele ihrer Freunde und Verwandten erfolgreich getan
haben. Gerade in afrikanischen Ländern werden darüber
hinaus junge, allein stehende männliche Familienmitglieder ins
reiche Europa geschickt, damit sie von dort aus zum
Familienunterhalt beitragen können. Ohne ihre gewohnte
gesellschaftliche Umgebung halten sie sich dann in einem Land auf,
dessen Sprache sie nicht beherrschen und dessen Traditionen und
kulturelle Gegebenheiten sie nicht verstehen. Auch in Deutschland
ist der größte Teil der Ausländer zwischen 21 und 40
Jahre alt, rund 40 Prozent der insgesamt 7,3 Millionen
Ausländer hierzulande sind in diesem Alter.
Das gelobte fremde Land hält aber zumindest in
wirtschaftlicher Hinsicht meist nicht, was den Migranten
versprochen wird. Je nachdem, wo sie herstammen, dürfen viele
Ausländer in Deutschland zunächst einmal bis zu drei
Jahre lang gar nicht arbeiten. Und auch danach können sie eine
gefundene Arbeit nicht ohne weiteres aufnehmen, weil zunächst
Deutsche beziehungsweise EU-Ausländer diesen Job abgelehnt
haben müssen. Und das sorgt vor allem bei den männlichen
Migranten für Frustration und damit für neue Probleme,
berichtet der Vorsitzende des Bundesausländerbeirates, Memet
Kilic: "Die traditionelle Rollenteilung schafft für
männliche Migranten zusätzliche Belastungen, wenn sie mit
ihrer Familie oder zu einer Familie einwandern. Diese Gruppe
verkraftet psychisch die anfängliche oder gar langwierige
Arbeitslosigkeit viel weniger, weil der Mann in vielen Kulturen als
der allein für den Familienunterhalt Verantwortliche angesehen
wird." Dazu kommt, dass auch die Zahl der arbeitslosen
Ausländer in Deutschland steigt: Gab es
Ausländerarbeitslosigkeit in Deutschland während der
60er-Jahre praktisch nicht - die Gastar-beiter mussten bei Verlust
des Jobs kurzfristig heimkehren - beläuft sich heute die Zahl
der Migranten ohne Beschäftigung auf mindestens eine halbe
Million. Die Arbeitslosenquote bei den männlichen Migranten
liegt bei 9,1 Prozent. Sie sind überproportional von
Arbeitslosigkeit betroffen; viele ihrer ursprünglichen
Arbeitsplätze in der industriellen Massenproduktion und in der
Schwerindustrie gingen durch den strukturellen Wandel der
Wirtschaft verloren.
Ein Problem, das Männer schwerer trifft als Frauen: Denn
nach wirtschaftswissenschaftlichen Untersu-chungen finden Frauen
leichter Anschluss an den Dienstleistungssektor und können so
alternative Beschäftigungsmöglichkeiten suchen. Dies gilt
in Deutschland in besonderem Maße für ausländische
Frauen. Bereits in den 60er- und 70er-Jahren kamen hoch motivierte
junge Frauen - überwiegend aus den Großstädten der
Türkei - nach Deutschland. Sie wurden gezielt vor allem von
der Textil- und Elektroindustrie angeworben. In der Regel gut
ausgebildet, waren sie bereit, mit Rollenklischees zu brechen. Als
auch sie in der Produktion und Fertigung von Arbeitslosigkeit
bedroht waren, suchten sie nach Möglichkeiten, ihre
Qualifikationen auch in Deutschland einzusetzen. Aus diesem Kreis
stammen nach Erkenntnissen der Essener Wissenschaftlerin Yasemin
Karakasoglu die ersten Muttersprachenlehrerinnen und
Sozialberaterinnen, die zur Betreuung der ausländischen
Bevölkerung eingestellt wurden. Dies passt ebenso wenig zum
Klischee der von männlichen Entscheidungen abhängigen
türkischen Frau vom Lande wie die Tatsache, dass die Frauen
auf die Migration einen wichtigen Einfluss nehmen: "Die
Entscheidung für die Familienmigration ist in den meisten
Fällen eine Familien-Entscheidung, wobei die Meinung der Frau
in der Regel maßgeblich ist", so der Heidelberger Anwalt
Kilic.
Dies zeigt, dass die Probleme der männlichen Migranten auch
davon abhängen, aus welchem Land oder Kulturkreis sie stammen
- und welchen Bildungsstand sie haben. Die Bildungsstruktur
männlicher Zuwanderer aus der Türkei, dem ehemaligen
Jugoslawien, Italien, Griechenland, Spanien und Portugal
unterscheidet sich erheblich von der schulischen und beruflichen
Ausbildung deutscher Männer. Sehr viel öfter haben
männliche Migranten keinen Abschluss oder lediglich einen
primären Bildungsabschluss ohne Berufsausbildung. Und obwohl
sich diese Tendenz insgesamt über die vergangenen Jahrzehnte
leicht verbessert hat, ist die Bildungsbeteiligung vor allem junger
Ausländer besorgniserregend: Sie sind nach einer Untersuchung
des Wirtschaftswissenschaftlers Bert Rürup nur in sehr
geringem Maße an deutschen Hochschulen repräsentiert. Der
Anteil ausländischer Schulabgänger, die sowohl allgemein
bildende als auch berufliche Schulen ohne Abschluss verlassen, ist
doppelt so hoch wie der ihrer deutschen Mitschüler. Zudem sind
deutsche Berufsschüler zu 62 Prozent in einer Lehre, bei den
ausländischen Schülern sind es gerade einmal 46 Prozent.
Die Ungelerntenquote insbesondere bei männlichen
ausländischen Jugendlichen ist überdurchschnittlich
hoch.
Hierin sehen Experten den Grund für ein weiteres,
insbesondere männliches Problem der Migranten:
Kriminalität. Dieses Problem ist zum großen Teil in der
Gesellschaft des Aufnahmelandes hausgemacht, denn von der
erhöhten Straffälligkeit sind vor allem Einwandererkinder
betroffen. Als Ursachen führen Fachleute Erfahrungen
gesellschaftlicher Diskriminierung an, zum Beispiel die
Benachteiligung von Migrantenfamilien bei der Vergabe von
Kindergartenplätzen und die Tatsache, dass Einwandererkinder
viel öfter als ihre deutschen Altersgenossen an eine
Hauptschule empfohlen werden. Viele junge Ausländer bekommen
so einen schlechten Start ins Berufsleben. Dabei ist die
Qualität des Schulabschlusses für berufliche
Entwicklungsmöglichkeiten und somit auch für die
gesell-schaftliche Teilhabe entscheidend: "Wenige schaffen es,
allein mit der Bildung das traditionelle Rollenverständnis zu
überwinden. Bildung ist aber essentiell dafür, dass die
nachkommenden Generationen ein liberales Rollenverständnis
entwickeln und somit sich auch die Tradition liberalisiert",
unterstreicht Kilic. Ein wichtiger Indikator für die soziale
Integration ist somit vor allem das Bildungsniveau. Und da
unterscheiden sich die Probleme der männlichen Migranten kaum
noch von denen ihrer deutschen Geschlechtsgenossen.
Constanze Hacke arbeitet als freie Wirtschaftsjournalistin in
Köln.
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