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Ralf Puchert
Männer und Gleichstellungspolitik?
Was ich nicht sehe, findet auch nicht statt:
Diskriminierung
"Gleichstellungspolitik ist Frauensache."
"Gleichstellungspolitik zielt auch heute weitgehend auf eine
Gleichstellung von Frauen." Diese Aussagen sind Vorwurf und
Tatsache zugleich, und angesichts noch immer dominierender
Geschlechterhierarchien in der Arbeitswelt auch durchaus ein
gerechtfertigter Ansatz. Um das Ziel der Gleichstellung zu
erreichen, ist nicht nur eine Gleichstellung von Frauen nötig,
sondern auch eine Veränderung des
Geschlechterverhältnisses. Die Geschlechtersegregation des
Arbeitsmarkts lässt sich nicht nur aufheben, wenn Frauen in
Männerberufen gefördert werden, sondern auch
umgekehrt.
Das Bild des Mannes als Familienernährer
ist nicht nur bei Männern selbst wirkmächtig, sondern ist
auch Grundlage vieler Positionen in der Sozial- und
Familienpolitik. So fördert das Ehegattensplitting in der
Steuergesetzgebung das Hauptverdienermodell in Familien.
Männer erlangen in Folge dessen zwar häufiger besser
dotierte Stellen, sind jedoch auch in den Anforderungen gefangen,
die das Ernährermodell an sie stellt. Zudem profitieren nicht
alle Männer im gleichen Maße von den
Geschlechterhierarchien. So haben inzwischen auch viele Männer
ein Vereinbarkeitsproblem von Berufs- und Privatleben,
wünschen sich eine gerechtere Verteilung von Berufs- und
Familienarbeit innerhalb ihrer Partnerschaften. Dabei werden sie
bisher im Rahmen von Gleichstellungspolitiken und -maßnahmen
jedoch weitgehend allein gelassen. Im Rahmen von Gender
Mainstreaming-Prozessen scheint hier etwas in Bewegung zu kommen.
Erstmals wird theoretisch der Blick auf die gesamten
Geschlechterverhältnisse gerichtet. Die Lebens- und
Arbeitsbedingungen von einzelnen Männern sind bis jetzt jedoch
kaum davon berührt.
Seit langem geben Männer in Umfragen und
Studien an, dass sie für die Gleichstellung der Geschlechter
auch im Beruf sind. Trotzdem existieren weiterhin die
Geschlechterhierarchien im Beruf, Männer sind weiterhin nur
unterdurchschnittlich mit Hausarbeit und Kinderbetreuung befasst.
Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären oder
verstehen? Feministische Theorien gingen lange davon aus, dass
Männer mit ihren Äußerungen nur Ideologie betreiben,
aber ansonsten bewusst an dem Fortbestand ihrer Dominanz bastelten.
Die kritische Männerforschung hat jedoch inzwischen gezeigt,
dass der Fortbestand von männlicher Dominanz in vielen
Bereichen nicht so einfach zu erklären ist.
Geschlechterhierarchie kann als eine
kulturelle Hegemonie des männlichen Geschlechts verstanden
wer-den, die im Berufsleben von Männern, aber auch von Frauen
fortwährend reproduziert wird. Gemeinsam wird eine
Arbeitskultur geschaffen, die auf immer neue Weise eine
Vorherrschaft von Männern sichert. Diese sind die
Hauptgewinner einer solchen Kultur. Den Preis zahlen vor allem
Frauen, in unterschiedlichem Maße aber auch Männer. Die
komplexe Stabilität dieser männlich dominierten
Arbeitskultur in Betrieben, Organisationen und Verwaltungen soll
hier verdeutlicht werden: Wie nehmen Männer
Geschlechterdifferenzen in ihrer Arbeitskultur, im Team oder im
Arbeitsumfeld individuell wahr?.
Bei der Untersuchung von individuellen
Reaktio-nen auf Gleichstellung zeigt sich bei allen Männern
eine ungeheure Diskrepanz zwischen egalitärem Bewusstsein und
konkretem Verhalten. Trotz durchgängig egalitärer
Einstellung verharren Männer in Untätigkeit. Viele
beurteilen Gleichstellungsmaßnahmen skeptisch, manche lehnen
jeden Schritt und jede Maßnahme zur Schaffung von
Gleichstellung ab. Den Widerspruch zwischen ihrer positiven
Einstellung zur Gleichstellung und ihrer Untätigkeit bei der
Herstellung derselben können Männer dadurch aushalten,
dass sie geschlechtsspezifische Diskriminierung und Differenz nur
selektiv wahrnehmen. Die Betrachtung durch die Brille der eigenen
Interessen heißt für Männer, die Diskriminierungen
von Frauen zwar grundsätzlich gesamtgesellschaftlich
anzuerkennen. In ihrem eigenen Arbeitsumfeld aber
überschätzen sie den bereits erreichten Stand der
Gleichstellung erheblich. So weisen Männer allein die
Möglichkeit einer Diskriminierung durch sexuelle
Belästigung in ihrem Arbeitsumfeld weit von sich - alles, was
sie wahrnehmen, wird nicht als solche gedeutet. Diese selektive
Form der Wahrnehmung soll hier "interessen-geleitete
Nichtwahrnehmung" genannt werden.
Gleichheit heißt für viele
Männer Gleichbehand-lung. In ihrem direkten Umfeld sind ihrer
Meinung nach Männer und Frauen gleich und werden gleich
behandelt. Die Gleichheit der Geschlechter sei demnach schon
erreicht, somit könne es also gar keine Diskriminierung geben.
Durch dieses Gleichheitspostulat entsteht für sie keinerlei
Handlungsbedarf, im Gegenteil, weitere Maßnahmen erscheinen
überflüssig. Erklären lässt sich mit der
interessengeleiteten Nichtwahrnehmung und dem Gleichheitspostulat
vor allem das Selbstverständnis als "Gerechter", das gute
Gewissen vieler Männer. Bei ihnen existiert keine
Notwendigkeit, für ihre egalitäre Haltung einzutreten und
zu handeln, sie können untätig bleiben angesichts von
Diskriminierung. So wirken die meisten Männer an der
Verhinderung der beruflichen Gleichstellung mit, allerdings in den
meisten Fällen weder strategisch noch bewusst. Doch die
Wahrnehmungsmuster allein erklären nicht die
Männerdominanz im Beruf.
Eine männlich dominierte Arbeitskultur
in Organi-sationen und Verwaltungen grenzt ganz nebenher
Nicht-konforme aus - Frauen wie Männer. Es gibt verschiedene
typische Arbeitskulturen, die dominante Kultur insbesondere in den
Führungsetagen lässt sich als "männerbündische
Arbeitskultur" beschreiben. Sie umfasst folgende we-sentliche
Merkmale: In Organisationen gibt es viele unausgesprochene
Spielregeln, die besagen, welches Verhalten in welcher Situation
angemessen ist. Nur diejenigen, die sie kennen und einhalten,
werden akzeptiert. Nicht jede/r neue Mitarbeitende wird in die
Spielregeln eingeweiht. Immer aufs Neue muss man seine Hingabe und
Loyalität beweisen: Durch Informationen, Engagement,
Verfügbarkeit und Belastbarkeit. Um ausgewählt zu werden
und die nötigen Verbindungen zu bekommen, muss man zeigen,
dass man "in den Kreis passt". In einer homogenen Gruppe fühlt
man sich schnell wohl, und es arbeitet sich erheblich einfacher.
Durch die langen Arbeitszeiten gehen "unnütze"
außerberufliche Kontakte schnell verloren. Die Berufsarbeit
wird zum Mittelpunkt der gesamten Existenz und damit auch der
zentrale soziale Lebensraum. Es kommt zur Vermischung von
beruflichen und privaten Angelegenheiten - und zur Ausgrenzung all
jener Personen, die ihre Zeit nicht unbegrenzt zur Verfügung
stellen können oder wollen.
Gruppen, die sich durch die genannten
informellen Mechanismen absondern, halten sich gerne im
Hintergrund. Sie bestehen oft nur aus Männern und haben einen
starken Zusammenhalt. Die "Freundschaften" werden durch Rituale
gestiftet und erhalten. Interne Konflikte werden von "alten Hasen"
kontrolliert ausgetragen und eskalieren daher selten, die Wahrung
des Gruppenzusammenhalts ist das wichtigste Ziel. Diese
männerbündischen Gruppen geben nach außen immer ein
geschlossenes Bild ab, das sichert ihnen Vorteile gegenüber
vereinzelten Akteuren. Sie prägen die Arbeitskultur. So
schließt sich der Kreis, und der Erfolg, den man gerne
darstellt, und die etwas geheimnisvolle Macht gibt den
Männerbünden Anziehungskraft und Glanz. Auch wenn sich
nicht in überall so starke innerorganisatorische Gruppen
formieren, wie im letzen Punkt beschrieben, die hegemoniale
Arbeits- und Organisationskultur vieler Führungsetagen ist
deutlich an diesem Muster orientiert - und damit
männerbündisch. Sie befriedigt vielfältige
Bedürfnisse der Führungskräfte. Durch die
Bündelung der Kräfte kann sie zumindest
vorübergehend für die Organisationen von Nutzen
sein.
Die Auswirkungen auf Gleichstellung liegen
auf der Hand: Frauen passen nicht in die homogenen
Führungskreise, Mütter (und verantwortungsbewusste
Väter) können sich nicht in beliebiger Weise
verfügbar halten. Die Veränderung dieser Arbeitskulturen
ist schwierig, obwohl sie zu großen Teilen sinnvoll für
die Organisationen wären und den Bedürfnissen eines Teils
der Männer entsprächen. Trotz des
Beharrungsvermögens von männlichen Arbeitskulturen und
Männlichkeiten lassen sich aktuell Veränderungen
aufzeigen, die ein gleichgestelltes Leben unterstützen. Den
ökonomischen Hintergrund dazu bildet die Tatsache, dass
Männer zunehmend weniger die Familien-ernährerposition
ausfüllen können. Angesichts von Flexibilisierung und
Abbau von Berufsarbeit hat heute nur noch eine Minderheit der
Männer in Deutschland ein "Normalarbeitsverhältnis", so
dass immer weniger die ökonomische Sicherheit für ihre
Familien garantieren können. Männer sind insoweit
gezwungen, ihre Position in Partnerschaften und Familien zu
reflektieren. Jedoch trifft dies zumindest bei einem Teil der
Männer auf gewandelte Einstellungen und Interessen.
Männer wollen zunehmend mehr sein, als Berufsmenschen und
ökonomische Ernährer. Der Anspruch an das ganze Leben
wächst. Von einem sehr niedrigen Level ausgehend, nimmt etwa
die Zahl von Männern in Erziehungszeit und Teilzeit deutlich
zu. Neben dieser bisherigen Minderheit strebt die Mehrheit der
Män-ner eine Gleichverteilung von Berufsarbeit in ihrer
Partnerschaft an, was sich in einer europäischen Studie
eindrücklich bestätigte.
Je nach Lebenslage und Orientierung, je nach
Männlichkeit unterscheiden sich die möglichen Gewinne
durch Gleichstellung: Männer, deren Männlichkeit durch
das Selbstverständnis als Familienernährer geprägt
ist, können mehr Kontakt zu Familie und Kindern bekommen.
Führungskräfte, berufliche Übererfüller, die
bis zu 100 Stunden die Woche mit Berufsarbeit verbringen,
können dadurch ihre körperliche und seelische Gesundheit
stärken. Zeitpioniere, die schon jetzt der Berufsarbeit nicht
die Priorität einräumen, können gleichzeitig in
mehreren Lebensbereichen aktiv sein und wären dennoch keine
Ausnahmefälle. Männer, die versuchen, andere
Paararrangements, aktive Vaterschaft und Reduzie-rung des
Berufslebens zu leben, finden bisher kaum Unterstützung. So
fühlen sich Gleichstellungsbeauftragte häufig nicht
zuständig für die Vereinbarkeitsprobleme von
Männern.
Zusammenfassend lässt sich festhalten,
dass Männer in der Gleichstellungspolitik bisher meist nur in
dem sozialen Stereotyp des Ernährers mitbedacht sind, der sich
der Gleichstellungspolitik in den Weg stellt. Männer, die
bewusst und aktiv Frauen diskriminieren oder Gleichstellung
torpedieren, sind jedoch eine Minderheit. Die Mehrheit wirkt durch
ihre Wahrnehmung und Arbeitskulturen an dem Ausschluss von Frauen
aus Führungsetagen mit und hat ansonsten mit der "Frauensache"
Gleichstellung nichts zu tun. Gleichstellungspolitik, die auf die
Veränderung des Geschlechterverhältnisses zielt, trifft
durchaus die Interessen von vielen Männern.
Ralf Puchert ist Soziologe bei Dissens e.V.
Berlin
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