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Oliver Tolmein
Nicht Mann, nicht Frau - oder beides
Wider die Eindeutigkeit:
Hermaphroditen
Ob im Geburtsbuch, dem Personalbogen, auf Toilettentüren,
im Wettkampf oder in den Umkleidekabinen: Es gibt immer nur
entweder oder. Junge oder Mädchen, Frau oder Mann. Zwar haben
Schwule und Lesben nach harten Auseinandersetzungen ein
Lebenspartnerschaftsgesetz für gleichgeschlechtliche Ehen
politisch durchsetzen können und das Bundesverfassungsgericht
hat in den 1970er-Jah-ren den Weg dafür frei gemacht, dass
Menschen in Deutschland das Recht haben, ihr Geschlecht zu
wechseln. Am starren Dualismus der Geschlechter hat das alles
nichts geändert.
Zwischen und jenseits der Kategorien Frau und Mann soll es
nichts geben. Es gibt sie aber: Menschen, die bei der Geburt nicht
eindeutig einem dieser beiden Geschlechter zugeordnet werden
können. Eines von 2000 Neugeborenen weist nach Schätzung
von Medizinern uneindeutige Geschlechtsmerkmale auf und gehört
damit zu einer Gruppe von Menschen, die die meisten nur aus der
griechischen Sagenwelt zu kennen glauben: Hermaphroditen.
Hermaphroditen werden nicht als das anerkannt, was sie sind, als
Menschen, die eigene Geschlechter haben, manche mit
XY-Chromosomensatz, mit Brüsten und Hoden, andere mit Penis
und ohne Vagina, aber mit einem XX-Chromosomensatz, wieder andere
mit einem XXY-Chromosomensatz und ohne Hoden. Zwar schreibt das
deutsche Recht nirgends vor, dass es nur zwei Geschlechter geben
darf. Geschlecht wird im BGB überhaupt nicht definiert. Das
war früher anders: Im Allgemeinen Landrecht für die
preußischen Staaten des 18. Jahrhunderts wurde der Status von
Zwittern ausdrücklich geregelt.
In juristischen Alltag der Berliner Republik aber mühen
sich Gerichte, die Norm aufrechtzuerhalten, die es nach
Auffassungen etlicher Biologen und Sexualmediziner nicht gibt.
Plausibler nämlich als davon auszugehen, dass es nur zwei
verschiedene Geschlechter gibt, erscheint ihnen von einer
größeren Geschlechtervarianz auszugehen, die allerdings
deutliche Häufungen an den jeweils extremen Polen aufweist.
Der Streit ist keineswegs akademisch. Denn wenn nicht anerkannt
wird, dass Hermaphroditen eigene Geschlechter haben, dass sie nicht
krank sind, sondern anders, droht die Gefahr, dass sie weiter, wie
bisher, kurz nach der Geburt einem Geschlecht, meist dem
weiblichen, zugewiesen werden. Diese Zuweisung, meist auf Anraten
der Ärzte von den Eltern vorgenommen und vom Standesamt durch
eine "Berichtigung" des Geburtsbuches rechtswirksam gemacht, zieht
oftmals schwerwiegende Operationen nach sich. Je nach biologischer
Konstitution des Kindes, dessen Geschlecht nicht als eindeutig
männlich oder weiblich erkennbar war, wird dann der Penis zur
Klitoris verkleinert, Hoden oder Eierstöcke werden entfernt,
bisweilen muss sogar eine künstliche Vagina geschaffen werden.
Zudem werden häufig Hormone und andere Medikamente
verabreicht. Erwachsene Hermaphroditen, von denen sich in den
letzten Jahren immer mehr in Selbsthilfegruppen und politischen
Gruppen zu-sammengeschlossen haben, kritisieren dieses Vorgehen
vehement, weil es ihnen jede Möglichkeit nimmt, selbst zu
entscheiden, in welchem Geschlecht sie leben wollen. Mit dem
Geschlecht, das ihnen zugewiesen wird, kommen viele offenbar zudem
nur schlecht klar. Da zu Hause oft verschwiegen wird, dass die
Kinder Hermaphroditen sind, führt sie das oft zu einer
jahrelangen Odyssee durch's fremdbestimmte Leben: "Ich wusste immer
nur eines: Irgendwas an mir muss furchtbar falsch sein", bringt ein
als Michel Reiter geborener und dann zu Birgit Reiter gemachter
Hermaphrodit, der heute mit seiner eigenen Identität lebt, die
Situation auf den Punkt. Manche Hermaphroditen erfahren erst im
Erwachsenenalter, wenn sie den Einblick in die eigene Krankenakte
erzwingen können, warum sie jahrelang behandelt wurden.
Die eigene Identität wird Reiter und anderen Zwittern
offiziell allerdings auch dann nicht zugestanden: Das Amtsgericht
München hat Reiters Antrag auf Berichtigung seines
"berichtigten" Eintrags im Geburtsbuch abgelehnt, das Landgericht
München hat eine dagegen gerichtete Beschwerde
zurückgewiesen. Damit ist der Rechtsweg allerdings noch nicht
erschöpft. Immerhin hat das Amtsgericht in seiner Entscheidung
betont, dass die frühe Zuweisung eines Geschlechts durch
Ärzte und Eltern, insbesondere wenn sie mit irreversiblen
Operationen einhergeht, rechtlich problematisch ist. Immerhin
verbietet Paragraf 631c BGB Eltern, in die Sterilisation ihres
Kindes einzuwilligen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass
sich die Auswirkungen von Sterilisationen bei Kindern schwer
voraussagen lassen. Das trifft aber für geschlechtszuweisende
operative Eingriffe, die oftmals weitaus gravierender wirken als
eine Sterilisation und die auch den Genitalbereich betreffen,
ebenfalls zu. In anderen Ländern, insbesondere in den USA,
sind deswegen von medizinischen Fachgesellschaften
Behandlungsempfehlungen für Hermaphroditen, die frühe
geschlechtszuweisende Operationen vorsahen zum Teil
zurückgezogen worden. Manche Sexualmediziner sprechen sich
hier mittlerweile grundsätzlich gegen operative Eingriffe aus,
die nicht von den Patienten selbst gewünscht werden, weil sie
aufgrund bisheriger Erfahrungen mit diesen Operationen im
frühen Kindesalter von deren Misserfolg ausgehen.
Hermaphroditen müssen sich, so ihre Auffassung, selbst
für ein Geschlecht entscheiden können. Der
Verfassungsgerichtshof von Kolumbien hat in zwei Aufsehen
erregenden Entscheidungen, in die us-amerikanische Anwälte und
NGOs involviert waren, die Zustimmung von Eltern zu
geschlechtszuweisenden Operationen bei ihren Kindern für
rechtswidrig erklärt. Eine solche Zustimmung stünde
allenfalls später den Kindern selber zu.
So weit ist es in Deutschland noch nicht. Aber auch hier hat die
Diskussion über die Behandlung von Hermaphroditen begonnen und
im Zuge der anstehenden Reform des Transsexuellengesetzes wird auch
erwogen, den rechtlichen Status von Zwittern zu regeln. Dabei ist
aber zu berücksichtigen, dass die Situation von Zwittern eine
grundsätzliche andere ist, als die von Transsexuellen:
Transsexuelle haben den Wunsch in einem eindeutigen Geschlecht zu
leben, das aber ihrem biologisch vorgegebenen Geschlecht nicht
entspricht. Hermaphroditen wollen in dem biologischen Geschlecht,
in dem sie geboren wurden, eine eigene Identität behalten und
sich gerade nicht einem anderen Geschlecht zuweisen lassen, nur
weil das eindeutig ist.
Dr. Oliver Tolmein arbeitet als Journalist und Jurist in
Hamburg.
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