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Guido Zurstiege
Unter dem Vergrößerungsglas
Der Mann als Objekt der Kaufbegierde
"GreetingLine", eine im Rahmen der Geschlechterforschung viel
beachtete Arbeit, hat der amerikanische Soziologe Erving Goffman
Mitte der 1970er-Jahre vorgelegt. Goffmans Interesse richtete sich
weniger darauf, die hyperritualisierten Männer- und
Frauendarstellungen der Werbung zu entlarven, er verwandte sie
vielmehr methodisch, um Rückschlüsse auf die Verfassung
genau jener Gesellschaft zu bilden, die sich diese Werbung und
deren Geschlechterdarstellungen leistet. Die Werbung, so Goffman,
stellt gewissermaßen ein Vergrößerungsglas dar, mit
dessen Hilfe sich selbst nuancierte, im Alltag nur schwer
erkennbare, weil durch Routinen und Selbstverständlichkeiten
versteckte Erwartungskomplexe beobachten lassen.
Werbung ist nicht nur aufgrund ihrer Omnipräsenz im Alltag
eine wichtige sozialwissenschaftliche Quelle, sondern allem voran
aufgrund ihrer spezifischen Semantik - in dieser Erkenntnis besteht
der wesentliche Beitrag Goffmans. Unterschätzt und weitgehend
unausgeschöpft ist dieser Beitrag bis heute geblieben, weil
sich der Großteil der Forschung vor dem Hintergrund
einschlägiger Wirkungsrisiken (Die Jungen! Die Alten! Die
Einsamen!) darauf konzentriert, mediale Geschlechterdarstellungen
als falsch (und daher schlecht) beziehungsweise als richtig (und
daher gut) zu qualifizieren, anstatt die spezifische
Selektivität von Werbung methodisch zu
instrumentalisieren.
Betrachtet man die Diskussion um die Darstellung von
Männern in der Werbung, fällt zunächst einmal auf,
dass sich vor allem der nackte Mann größter Beliebtheit
erfreut. Spätestens seitdem in einer Kampagne des
Kosmetikherstellers Care 1984 zum ersten Mal schicklich
entblößte Männlichkeit in der Werbung zu sehen war,
hat auch die Forschung den nackten Mann entdeckt. Dieser Mann sieht
gut aus, ist muskulös, beherrscht sich, die Natur und andere
Menschen. Allerorts ereignen sich in der Werbung Eruptionen,
versteckte Erektionen, schwitzen antike Oberkörper. Letzteres
legt freilich nahe, dass der nackte Mann keine Erfindung des 20.
Jahrhunderts und erst recht keine Erfindung der Medien oder der
Werbung ist - Nacktheit als heroische Pose galt bereits den
Griechen als äußerer Ausdruck einer inneren Kraft, die
den Helden unbesiegbar macht.
Wenn seit Mitte der 1980er-Jahre von der Enttabuisierung des
Blicks auf den männlichen Körper die Rede ist, dann ist
damit gemeint, dass der bewundernde Blick der Antike um den
schmachtenden und - was viele Männer wohl am meisten
irritieren dürfte - kritischen Blick auf den nackten
Männerkörper erweitert worden ist: Der Mann als sexuelles
Wesen, als Objekt der Begierde, als Kaufanreiz, als gefällige
Illustration und appetitlicher Anblick, als Lust- und Lachobjekt.
Und die Werbung hat ohne Zweifel ihren Anteil an dieser
Entzähmung des Blicks - wenn auch sie dabei deutlich
vorsichtiger agiert, als es die öffentliche Dis-kussion nahe
legt. Darstellungen nackter oder nur spärlich bekleideter
Männer nehmen in der Werbung der vergangenen Jahre zwar zu,
bleiben jedoch nach wie vor die Ausnahme.
Die Männer der Werbung achten überdies ebenso wenig
auf ihr gutes Aussehen wie auf ihre Gesundheit. Sie sehen gut aus
und sind gesund und bleiben dabei vor allem leistungs- und
erfolgsorientiert. Die Werbung besetzt auf diese Weise
Grenzbereiche zwischen Traditionellem und Innovativem. Die
Männer der Werbung spielen Tennis und Hockey, Fußball und
Polo, sie segeln und angeln, fahren Rennräder oder Rennautos,
und immer bietet sich ausreichend Gelegenheit, über sich
selbst und über andere zu triumphieren. Sportlichkeit ist nie
maßlos. Sie ist souveräne Beherrschung (Recaro), keine
Verschwendung, sondern stets für den Gebrauch bestimmt und in
diesem Sinne echt männlich.
Der "Neue Mann" der Werbung ist all das, was man sich von ihm
wünschen kann, er ist kinderlieb und erfolgreich, er ist
einfühlsam und durchsetzungsfähig, er ist stark und kann
seine Schwächen zeigen - und selbstverständlich wird er
niemals mit den sozialen Kosten seiner Emanzipation konfrontiert.
Die neuen sozialen Ensembles, in denen die Männer der Werbung
präsentiert werden, betonen die traditionellen Werte der
Männerfreundschaft und des Teamworks ebenso wie die
schöne neue Welt der Singles, in der Männer und Frauen
vor allem den Spaß erlebnisorientierter
Kurzzeit-Gemeinschaften genießen. Die zunehmende
Konfliktträchtigkeit und Fragilität partnerschaftlicher
Beziehungen und die Auflösung traditioneller Beziehungsmuster
werden dabei weitgehend ausgeblendet. Ironie zählt dabei zu
den wirksamsten Verdrängungsmechanismen der Werbung.
Schwelende Konflikte im Arrangement der Geschlechter haben daher in
der Werbung immer eine Pointe, so wie das seufzende
Werbe-Bekenntnis einer Frau: "Mein Mann hat eine neue..." - eine
neue Limousine, versteht sich.
Was sagen uns nun diese Beobachtungen? Folgt man Goffman,
mündet die Analyse von Männer- und Frauendarstellungen
nicht in einem ontologisch, respektive ideologisch begründeten
Abgleich zwischen dem "wirklichen Leben" einerseits und dessen
fraglicher Verzerrung durch die Werbung andererseits, sondern in
einem besseren Verständnis invisibilisierter Alltagspraxen.
Dies gelingt freilich nur dann, wenn man Rechenschaft über die
Sinn- und Deutungsmuster, den "semantischen Baukasten" jener
Medienangebote ablegt, die man zu diesem Zweck beobachtet. Vor dem
Hintergrund der einschlägigen Diskussionen lässt sich
dieser semantische Baukasten der Werbung wie folgt skizzieren: Die
Werbung ist der "Prototyp referentieller Indifferenz" (S. J.
Schmidt); nicht die Wahrheit ihrer Versprechen, sondern deren
Relevanz ist entscheidend - für alle Beteiligten. Dies, die
Dichte und Prägnanz der Darstellung sowie die referentielle
Indifferenz, wird mit Goffmans Begriff der "hyperritualisierten"
Männer- und Frauendarstellungen aufgerufen. Den Mann der
Werbung, heißt das, ihn gibt es nicht - aber wie schön
wäre es doch!
Wie Norbert Bolz unlängst pointiert festgestellt hat,
verschafft die Werbung als Wegbereiter des Konsums eben dem
Begehren Anerkennung und nicht Bedürfnissen Befriedigung. Im
Angesicht werbender Männlichkeit besteht die große
Verunsicherung Adams darin, in einem Verführer und
Verführter zu sein. Kein Wunder, dass nur kurze Zeit, nachdem
die Werbung diesen neuen Mann für sich entdeckte, der Berliner
Männerforscher Walter Hollstein zu Beginn der 1990er-Jahre die
Schizophrenie der Männlichkeit ausgerufen hat.
Der Autor arbeitet als Privatdozent am Institut für
Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der FU Berlin und an
der Universität Greifswald.
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