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Annette Rollmann
Du stehst zu denen, und die stehen zu dir
Männer finden in Männergruppen ihren
Spiegel
Sie sind ratlos. Der Gedanke, sie könnten altmodisch sein,
trifft sie. Aber nur kurz. "Viele sind neidisch, dass es so was wie
uns kaum noch gibt", sagt einer der Männer und guckt dabei
verschmitzt. Er ist Mitglied einer Männergruppe. Nicht
irgendeiner. Die Männer treffen sich seit 24 Jahren, seit
einem Vierteljahrhundert. Jeden zweiten Montag, reihum an einem
anderen Berliner Esstisch, um dort ihr Leben zu besprechen. Sie
sind verheiratet, geschieden, verliebt, verstritten, haben Kinder
und Krankheiten, haben Jobs und haben Lust und Angst. Sie sind
zwischen 50 und 65 Jahren alt, waren alle mal das, was ihre
Generation prägte, nämlich "total links". Sie traten
für einen Sozialismus ein, der anders als jener der DDR sein
sollte. Von diesen Ideen haben sich die Männer längst
verabschiedet und den Erfolg mitgenommen, den die Gesellschaft der
Bundesrepublik ihren Talenten ermöglicht hatte: Sie sind
Rechtsanwälte, Ärzte, Lehrer, Architekten. Sie
gehören nicht zu denen, die es im Leben nicht gepackt haben
und einem nicht erlebten Erfolg hinterher trauern. Vielleicht, so
der mögliche Umkehrschluss, haben sie ihr Leben ja auch so gut
bewältigt, weil sie sich treffen, Spaß haben und sich
gegenseitig helfen.
"In Männergruppen", so der Berliner Psychologe Rainer
Strotmann, "gehen meist nur Männer, die Erfolg und Mut haben.
Die, die im Leben gelernt haben, dass Lernen etwas bewirken kann,
nämlich eine Veränderung." Die Männer selbst sagen
über ihre Gruppe, dass sie ihnen vor allem Halt gibt. "Die
Männer sind ein Spiegel für mich. Ich weiß, ich bin
ein guter Typ, aber manchmal verirre ich mich und dann bekomme ich
ein Feedback", sagt einer, der früher Manager in einem
großen Konzern war. "Wir haben uns in der Gruppe auch schon
heftig gefetzt." Die Männer schätzen vor allem, dass sie
über ihre Probleme reden können, geschützt, ohne
dass irgendetwas nach außen dringt. Da geht es um alles, die
Frauen, die Kinder, um Sexualität und Finanzen, den Beruf, die
Wehwehchen, die Zukunft. Sie hören einander zu, müssen
nicht ständig dem anderen zeigen, dass sie schneller besser
und sonst irgendwie überlegen sind. Das unterscheidet sie.
"Wir können Schwächen zeigen, ohne schwach zu sein", sagt
einer.
Männergruppen im Jahr 2004 sind selten esote-risch
angehauchte verschworene Gemeinschaften, sondern, wie diese Gruppe,
eine Clique von Freunden. Aber es gibt auch Gruppen, die von
Therapeuten geleitet und geführt werden. Strotmann
beispielsweise bietet in Berlin zusammen mit seinem Kollegen
Johannes Meyser therapeutisch begleitete Männergruppen an. Es
gibt Gruppen, die sich unter bestimmten Überschriften treffen,
weil ihnen beispielsweise durch eine Scheidung ihre Kinder entzogen
wurden, weil sie körperlich behindert sind, weil sie als
Kinder missbraucht wurden oder weil sie schwul sind. In solchen
therapeutisch ausgerichteten Gruppen sind die Männer
zunächst nicht miteinander befreundet, was nicht heißt,
dass sich nicht mit der Zeit Bindungen entwickeln. "Viele
Männer haben in Wahrheit oft keinen Freund, mit dem sie
wirklich reden können. Sie sprechen über Fußball,
über Autos, über Politik. Eventuell sagen sie am Ende des
Abends beim Gehen, dass sie sich scheiden lassen werden. So, dass
der andere praktisch nicht mehr reagieren kann", erzählt
Strotmann.
Er versucht den Männern erst mal beizubringen, über
Probleme, die sie haben, auch zu sprechen. Bisweilen dauert es ein
halbes Jahr, bis die Männer in seinen Gruppen das erste Mal
offener erzählen. Bis dahin sind sie nur schweigende
Zuhörer. Strotmann, der patriarchatskritische
Männerforschung betreibt und tiefenpsychologisch betreut, sagt
über das innere Gefüge vieler Beziehungen: "Männer
hängen an der emotionalen Tankstelle ihrer Frauen und zapfen
die ständig an." Die Frauen seien mit dieser Haltung oft
völlig überlastet und allein gelassen und projizierten
dann ihre Wünsche auf ihre Kinder, vor allem auf die
Söhne. Männer seien in dieser Kultur vor allem zum Geld
verdienen erzogen worden und dürften bestimmte emotionale
Spannungen besser nicht merken, damit sie "funktionieren".
Strotmann: "Ein Krieger darf nicht spüren, wie es ihm geht."
Gleichzeitig, so meint der Psychologe, würde genau das dazu
führen, dass viele Beziehungen emotional erkalten und
Männer auch als Väter keine Vorbilder wären, die
Geborgenheit schenken.
Männergruppen sind nicht gerade ein Zeitgeistthema. Die
Idee stammt aus einer gesellschaftlichen Epo-che, in der die
Geschlechterdiskussion zum modischen Diskurs gehörte. Mit der
Wende verschwand die Zeit des feministischen Aufbruchs und der
Diskussionen darüber und damit auch die Hochzeit der
Männergruppen. Männergruppen hatten sich seit Mitte der
70er-Jahre vor allem als Antwort auf die Frauenbewegung
gegründet. Damals plakatierten sie eilfertig: "Ein ganzer Mann
ist nur ein halber Mensch" und "Runter mit dem
Männlichkeitswahn!"
Heute stöhnt man bei solchen Sätzen. Die Wort-wahl ist
Retro, und der Inhalt, so scheint es, erst Recht. Zumal im Laufe
der 90er-Jahre immer mehr Vorstellungen der Frauenbewegung und der
kritischen Männerforschung von der Gesellschaft
tatsächlich aufgegriffen wurden. Eine Zeit lang schienen die
einst unter großer Gegenwehr und bisweilen auch barsch
eingeforderten Rechte der Frauen selbstverständlicher zu
werden. Frauen durften von ihren Männern einfordern, sich um
Kinder zu kümmern, Windeln zu wechseln und auch mal weiche
Seiten zu zeigen. Der Druck nahm ab, ständig darüber
diskutieren zu müssen. Letztlich setzten sich die meisten
Frauen mit ihren Wünschen nach Berufstätigkeit und
Unabhängigkeit aber immer nur dann durch, wenn es nicht zu
einem Interessenkonflikt mit den Männern kam. Denn dann waren
und sind es den meisten Fällen die Frauen, die zu Hause
bleiben, die Kinder erziehen und ihren Job aufgeben, zumindest
zeitweise.
Einige Beobachter befürchten sogar, dass die Zei-ten, in
denen es zur modernen Partnerschaft gehörte, dass Frauen
Rechte einforderten und Männer darauf wenigstens partiell
eingingen, mehr und mehr vorbei sind. In Zeiten der
Wirtschafsrezession und der finanziellen Unsicherheiten besinnen
sich Männer zunehmend auf ihre alten Rollenbilder. Sie wollen
um jeden Preis ihren Job behalten. Spielräume werden für
sie geringer, subjektiv, und tatsächlich auch objektiv. Das
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat errechnet,
dass in Deutschland die Männer bis zum Jahr 2010 den
überwiegenden Teil der Beschäftigungsverluste "in der
Produktion erleiden und bis zu 1,5 Millionen männliche
Arbeiter ihren Job verlieren werden". Die männliche Dominanz,
so die Befürchtung der Männer, wird ins Wanken geraten,
wenn unsichere Jobs den lebenslangen Beruf ersetzen müssen.
Den dadurch ausgelösten Krisen und dem drohenden
Zerfließen der männlichen Identität versuchen viele
verunsicherte Männer zu begegnen, indem sie nicht mehr nur
über Macht diskutieren, sondern vielmehr über die eigene
Identität. Das ist neu.
Die männlichen Rollenbilder sind unklarer denn je. Was ist
ein Mann? Muss ein Mann hart sein? Und wann muss er das? Wann kann
ein Mann weiche Seiten zeigen, und wie und gegenüber wem? Muss
er die Familie ernähren? Trägt er die Verantwortung?
"Viele Männer wissen überhaupt nicht mehr, woran sie sich
orientieren sollen. Jeder muss sein eigenes männliches
Rollenbild finden. Und das ist nicht immer einfach", sagt der
Psychotherapeut Günter Hahn, der beim Berliner Verein mannege
arbeitet und Männer bei ihren Problemen berät. Hahn: "Die
Frauenbewegung hat auch dazu geführt, dass sich Männer
angepasst haben. Manche haben dabei zu wenig auf sich selbst
geachtet. Und nicht erforscht, was sie selbst eigentlich wollen."
Auch er sagt, dass viele Männer Gefühle nicht gut zeigen
können. Eine große Ausnahme in der Männerwelt ist
der Fußball: "Da gibt der eine dem anderen einen Klaps auf den
Po, und wenn ein Tor fällt, jubeln und umarmen sich
Männer. Das ist im normalen Leben nicht üblich. Aber es
ist pure Lebensfreude."
Männergruppen wurden aus einer gesellschaftli-chen Stimmung
heraus gegründet, die es so nicht mehr gibt. In den 70er- und
80er-Jahren waren sie ein Antwort auf die Emanzipationsbewegung,
waren in der Auseinandersetzung stark davon geprägt. Heute
könnten Männergruppen von Männern in anderen
Zusammenhängen neu entdeckt werden, nämlich als
Gegenentwurf zum Wettbewerb, dem sich Männer täglich
stellen und stellen müssen, unsicheren beruflichen Biografien,
wechselnden Beziehungen, also insgesamt einem gesellschaftlichen
Gefüge, das für den Einzelnen oft nicht sicherer, sondern
unsicherer geworden ist. In der mannege versuchen die Mitarbeiter
zunehmend auch solchen Fragen nachzugehen. Oft geht es erst mal
darum, die Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. Hahn: "Respekt
füreinander zu haben, das ist es, worum es in Wahrheit
geht."
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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