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Oliver Geden
Rechtsextreme Männlichkeit
Aus Unbehagen an der Moderne
Bei fast allen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus liegt
der Anteil von Männern deutlich höher als der von Frauen.
So beträgt etwa der Männeranteil bei der Beteiligung an
rechtsextremen Straftaten 90 Prozent, bei Gewaltdelikten liegt er
nahe an 100 Prozent. Männer stellen 70 bis 85 Prozent der
Mitgliederbasis von Parteien wie der NPD, der DVU oder den
Republikanern, bei Wahlen erhalten diese 60 bis 75 Prozent ihrer
Stimmen von Männern.
Trotzdem wäre es zu kurz gegriffen, den Rechtsextremismus
schlicht als "Männerproblem" zu begreifen, zumal Männer
und Frauen bei Untersuchungen zu rechtsextremen Einstellungen fast
gleichauf liegen. Dennoch weisen die extremen quantitativen
Verteilungen zwischen den Geschlechtern darauf hin, dass der
Rechtsextremismus einer kulturellen Kodierung unterliegt, die auf
Männer eine weitaus größere Anziehungskraft
auszuüben vermag als auf Frauen. Wie also wird im
Rechtsextremismus Männlichkeit konstruiert, welche Idealbilder
werden dort entworfen?
In hochgradig differenzierten Gesellschaften exis-tieren immer
mehrere Männlichkeitsmodelle, die häufig auch in einem
konkurrierenden Verhältnis zueinander stehen. Ihre jeweilige
Ausprägung kann von politisch-weltanschaulichen Differenzen
zwischen einzelnen Gruppen von Männern mitgeprägt sein,
weitaus wichtiger sind in der Regel aber Zugehörigkeiten zu
verschiedenen Milieus, Generationen und alltäglichen
Lebenswelten. Das bedeutet für das breite Feld des
Rechtsextremismus etwa, dass militante Neonazis und Redakteure
rechtsintellektueller Zeitschriften zwar in ideologischen
Einschätzungen zu Volk, Nation und auch
Geschlechterverhältnissen grundlegende Übereinstimmungen
aufweisen. Jedoch unterscheidet sich das jeweilige Verständnis
von Männlichkeit im Detail deutlich voneinander, da es sich in
den sehr verschiedenen gesellschaftlichen Sphären und
Lebenswelten jeweils auch als "alltagstauglich" erweisen muss.
Während gewaltbereite Neonazis die physische Komponente ihrer
Männlichkeit stark hervorheben, dürfte dies bei
Zeitschriftenredakteuren oder Buchautoren kaum im Mittelpunkt
stehen. Sowenig wie es den Rechtsextremismus gibt, erweist sich
demnach auch die Vorstellung einer einheitlichen, genuin
rechtsextremen Konstruktion von Männlichkeit als
irreführend.
Während über Männlichkeitskonstruktionen im
All-tag rechtsextremer Aktivisten mangels entsprechender
Forschungen im Detail wenig bekannt ist, lassen sich doch auf der
Ebene rechtsextremer Ideologieproduktion immer wiederkehrende
Bausteine identifizieren, die die Folie liefern, auf der die
Aktivisten ihre gruppenspezifischen Männlichkeitsmuster
ausbilden und deuten können.
Ein, wenn nicht gar der zentrale Bestandteil rechtsextremer
Ideologie, ist die Ablehnung der Idee der Gleichheit. Wo die
Gleichheit von Kulturen, Nationen und "Rassen" zurückgewiesen
wird, da erscheint auch die Forderung nach der Gleichstellung der
Geschlechter suspekt. Sie wird im Rechtsextremismus
durchgängig zurückgewiesen. Es wird nicht explizit eine
Höherwertigkeit des Mannes ins Feld geführt, vielmehr
eine wesensmäßige Differenz von Mann und Frau behauptet,
die biologisch begründet - und damit gesellschaftlich nicht
hintergehbar - sei. Rechtsextremisten leiten daraus die Forderung
nach einer "artgerechten Rollenaufteilung" ab, die darauf
hinausläuft, die Einfluss-sphäre von Frauen wieder auf
die klassische Trinität von "Kinder, Küche und Kirche" zu
beschränken, die öffentliche Sphäre - also
Wirtschaft, Politik und Justiz - ausschließlich Männern
vorzubehalten.
Da der Geschlechterdiskurs des Rechtsextremismus in seinem Kern
die Rückkehr zu traditionellen Rollen-verteilungen vertritt,
werden in erster Linie die faktischen Veränderungen im Leben
und Selbstverständnis von Frauen thematisiert und anhand
gesellschaftlicher Fehlentwicklungen problematisiert, die damit in
Verbindung gebracht werden, sei es eine wachsende
Jugendkriminalität oder das "volkszerstörende" Fallen der
Geburtenrate. Das spezifische Interesse von Männern an der
Wiederherstellung traditioneller Geschlechterverhältnisse wird
nie thematisiert. Zwar werden Männer bisweilen als Opfer der
Frauenemanzipation dargestellt (etwa als Scheidungsväter oder
infolge von Positivdiskriminierungen im Berufsleben), in der Regel
aber wird das Zurückdrängen der Frauen aus dem
öffentlichen Leben mit seiner gesellschaftlichen
Funktionalität begründet: Wenn Frauen wieder zu Hause
blieben und mehr Kinder bekämen, gäbe es keine Probleme
mit der Rente, und Deutschland bräuchte keine Zuwanderer mehr.
Diese Argumentationsfigur lässt keinen Platz für
"Emanzen" und "Karrierefrauen", aber auch nicht für
Homosexuelle, einem klassischen Feindbild des rechtsextremen
Geschlechterdiskurses.
Im Subtext dieses Gesellschaftsbildes wird der weiße,
heterosexuelle Mann immer als vollerwerbstätiger
Familienernährer gedacht, der als solcher scheinbar vollkommen
uneigennützig agiert, weil im Einklang mit dem nationalen
Interesse. Auf diese Weise bleibt das Männliche im Allgemeinen
verborgen und muss die mit ihm verbundenen Dominanzansprüche
nicht als gruppenspezifische Privilegien hinterfragen lassen.
Das Versprechen, Männern wieder den "ihnen zustehenden"
Platz in der Gesellschaft zu verschaffen, die sich seit Jahrzehnten
vollziehenden Transformationen im Geschlechterverhältnis
weitgehend wieder rückgängig machen zu wollen,
dürfte nicht nur Männer ansprechen, die über ein
geschlossen rechtsextremes Weltbild verfügen. Dieses Weltbild
besitzt ein hohes Maß an Anschlussfähigkeit auch für
all diejenigen Männer, die sich von der Gesellschaft um ihre
scheinbar "natürlichen" Vorrechte betrogen fühlen oder
diese für die Zukunft als bedroht ansehen. Solche Männer
finden sich, wenn auch in unterschiedlicher Zahl, in allen
politischen Lagern. Aber allein im Rechtsextremismus wird ihr
Unbehagen offensiv artikuliert.
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