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Rolf Pohl
Hinter allem steht die Angst
Männliche Gewalt und die Abwehr des
Weiblichen
Gewalt ist weder männlich noch weiblich. Ausgehend von
ihrer Definition als "zielgerichtete, direkte physische
Schädigung von Menschen durch Menschen" wäre es absurd,
Frauen grundsätzlich von dieser Definition auszunehmen.
Weibliche Gewalttaten erstrecken sich von der Misshandlung und
Tötung von Kindern und Partnern über die Kriegsteilnahme
als Soldatinnen bis hin zur Beteiligung an kollektiven
Menschheitsverbrechen etwa als KZ-Aufseherinnen oder, wie vor
einigen Monaten be-kannt geworden, in der Mitwirkung an
sadistischen Folterungen irakischer Gefangener. Nehmen wir die bei
Frauen ähnlich stark verbreiteten, wenn auch weniger
häufig zu offener Gewalt führenden Spielarten von
Aggression (Wut, Hass und Grausamkeit) hinzu, dann erweist sich die
Annahme einer prinzipiellen weiblichen Friedfertigkeit als reiner
Mythos. Dennoch stellen weibliche Gewaltäußerungen nach
wie vor Ausnahmeerscheinungen dar. An dieser Tatsache hat sich
entgegen der immer wieder beschworenen Zunahme von Mädchen-
und Frauengewalt grundsätzlich nichts geändert. Die
reißerische Berichterstattung über spektakuläre
Einzelfälle von weiblicher Gewalt täuscht darüber
hinweg, dass faktische Gewaltausübung weiterhin eine
männliche Domäne ist. Angesichts des Anteils von Frauen
an körperbezogenen Gewaltdelikten von circa drei bis fünf
Prozent sowie an Sexualstraftaten unter einem Prozent macht eine
Gleichsetzung von männlicher und weiblicher Gewalt wenig
Sinn.
Neben diesen statistischen Auffälligkeiten unterscheidet
sich die Gewalt von Männern hauptsächlich durch eine
fließendere Grenze zwischen Gewaltfaszination,
Gewaltbereitschaft und faktischer Gewaltausübung, durch einen
reflexhaften Einsatz von Gewalt gegenüber vermeintlichen
Bedrohungen der eigenen Integrität, so-wie durch eine weit
verbreitete, insbesondere gegen Frauen und Kinder gerichtete
Verbindung mit sexuellen Motiven. Zu den häufigsten
Erscheinungsformen männlicher Gewalt zählen die
häusliche, die sexuelle und die militärisch-kriegerische
Gewalt.
Da Gewalt als die "extremste Manifestation menschlicher
Aggression" (Kernberg) gilt, steht im Mittelpunkt der meisten
psychologischen Erklärungsversuche die Analyse
humanspezifischer Aggressionsneigungen. Muss davon ausgegangen
werden, dass Jungen und Männer eventuell über ein
größeres, vielleicht sogar biologisch verankertes
Aggressionspotential als Mädchen und Frauen verfügen?
Sicherlich sind auch biologische Vorgänge beteiligt, aber die
immer wieder in Mode kommende kausale Herleitung der typisch
männlichen Gewaltbereitschaft aus der Hormonverteilung, der
Hirnanatomie oder der Evolution läuft ebenso in eine
Sackgasse, wie die Zurückführung der Kriminalität
auf ein spezielles Verbrecher-Chromosom (Lombroso). Die
Bereitschaft zu offener Gewalt ist eine vorwiegend männliche
Ressource, die weder genetisch festgelegt, noch allein durch
Erziehung und Rollenlernen "erworben" wird und folgerichtig auch
nicht durch ein therapeutisches Trainingsprogramm einfach wieder
"verlernt" werden kann, wie viele Ansätze und Kampagnen unter
dem Label "Männer gegen Männergewalt" behaupten.
Die Wurzeln der männlichen Gewalt liegen viel-mehr in einer
besonderen, mit den gesellschaftlich vorherrschenden Formen von
Männlichkeit eng verknüpften Wut- und Hassbereitschaft
gegenüber ausgewählten "Objekten". Hass entsteht als
Reaktion auf Angst auslösende tatsächliche oder
vermeintliche Angriffe, Zurücksetzungen und Kränkungen
seitens der Umwelt. Im Extremfall kann sich dieser Hass bis zur
"Aggressionsneigung gegen das Objekt, zur Absicht, es zu
vernichten, steigern" (Freud). Das Festhalten an diesem primitiven
Mechanismus der zerstörerischen Gewaltanwendung als Mittel der
Abwehr von Unlust und Angst gehört zu den Hauptkennzeichen der
Geschlechtsidentität von Jungen und Männern in
männlich dominierten Kulturen und Gesellschaften. Die
allgemeine Bedeutung dieses für Männer insgesamt
typischen "Faustrechts" zeigt sich unter anderem daran, dass
Unterschiede der sozialen Herkunft und des Bildungsniveaus bei der
Verbreitung von männlicher Gewalt nur eine geringe Rolle
spielen.
Sicherlich ist die Annahme eines universell gültigen
Männlichkeitsbildes unzulässig, da zwischen den jeweils
überlegenen ("hegemonialen") und den ausge-grenzten
("marginalisierten") Männlichkeiten (Connell) unzählige
Abstufungen existieren; dennoch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen
diesen Erscheinungsformen, die auf eine ähnliche
"Tiefenstruktur von Männlichkeit" (Gilmore) verweisen.
Männlichkeit ist aber kein Ergebnis biologischer Reifung,
sondern ein kulturelles Konstrukt und damit ein unsicherer Zustand,
der nach eigenem Selbstverständnis erkämpft und im
"Notfall" verteidigt werden muss. Neben der Hierarchie innerhalb
der Gruppe der Männer, in der bezeichnenderweise fast
überall der homosexuelle Mann auf der untersten Stufe steht,
ist eine Tatsache entscheidend, die in den männlichen Habitus,
das Selbstbewusstsein und das männliche Körperbild
integriert werden muss: Mannsein heißt Nicht-Frau und deshalb
nicht-weiblich zu sein. Männer erwerben ihre brüchige
Geschlechtsidentität nicht nur unter dem Druck, sich als ein
anderes, sondern vor allem sich als überlegenes Geschlecht zu
setzen und zu beweisen.
Im Zentrum des Männlichkeitsideals einer auf hierarchischen
Geschlechtergegensätzen aufgebauten Kultur steht daher das
Bild einer an die Abwertung des Weiblichen gebundenen intakten,
zugleich aber ständig bedrohten Männlichkeit. Gewalt von
Jungen und Männern entsteht allerdings nicht aus patriarchaler
Machtvollkommenheit, sondern aus der Unfähigkeit, insbesondere
im Sexualverhalten das gängige Männlichkeitsideal mit
seinen Attributen der Härte, Kontrolle und Verleugnung von
Schwäche zu erfüllen. Die größte Bedrohung des
männlichen Strebens nach Vormachtstellung und Autonomie
scheint dabei von der Frau und den mit weiblicher Sexualität
unbewusst verbundenen Gefahren auszugehen. Nach einer
repräsentativen Studie nehmen bezeichnenderweise die Angst vor
Frauen mit 88 Prozent und die Angst vor Potenzversagen mit 84
Prozent die Spitzenplätze in der Rangfolge männlicher
Ängste ein. Eine der Hauptquellen geschlechtsbezogener
Gewaltbereitschaft liegt in der eigenen sexuellen Lust, da sie den
Mann vom "Objekt" seines Begehrens abhängig macht. Der
gewaltbereite Hass gegen das (weibliche) Objekt entsteht aus der
Angst, die durch diese Abhängigkeit ausgelöst wird. In
vielen Fällen sexueller Gewalt wird die Frau auch für die
Lust bestraft, die sie im männlichen Täter auslöst.
Die allgemein verbreitete Überzeugung, den Tätern ginge
es überhaupt nicht um Sexualität, sondern nur um die
Befriedigung von Machtbedürfnissen durch Gewalt,
übersieht diese Verstrickung des Mannes zwischen Lust, Angst
und Hass, zwischen Autonomie und Abhängigkeit. Im Grunde
bestätigt diese Position sogar den männlichen
Autonomiewahn durch ihre Annahme, Männer könnten
jederzeit kontrolliert und souverän ihre Sexualität als
Waffe gegen die Frauen einsetzen.
Eine Eindämmung von männlicher Gewalt wird nur dann
möglich sein, wenn diese Fallstricke der männlichen
Sexualität und die in ihnen zum Ausdruck kommende, allgemein
verbreitete Einstellung zur Weiblichkeit systematisch
berücksichtigt werden.
Grundsätzlich ist allerdings zu bedenken, dass
(männliche) Gewalt und ihre Akzeptanz in erster Linie ein
gesellschaftliches und politisches Problem darstellen -
Lösungswege können deshalb nicht allein am Individuum
ansetzen. Insbesondere die Logik militärischen Denkens mit
klaren Feindbezügen entspricht der typisch männlichen
Abwehr-Kampf-Haltung gegenüber tatsächlichen oder
vermeintlichen Bedrohungen. Auf diesem Hintergrund ist etwa die
nach dem 11. September von Bundeskanzler Schröder für
Deutschland geforderte "Enttabuisierung des Militärischen"
unter gewaltpräventiven Gesichtspunkten sicherlich ein
falsches Signal.
Der Autor ist Privatdozent für Sozialpsychologie an der
Universität Hannover.
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