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Christine Kammerer
Von Puderperücken zu
Schönheitsoperationen
Eine kleine Kulturgeschichte der
Männermoden
Es ist einfach ungerecht: Männer mit
Haarkranz werden rund fünf Jahre älter geschätzt,
sie wirken spießiger und unattraktiver, so das Ergebnis einer
repräsentativen Emnid-Umfrage. Das Haupthaar gilt seit alters
her als Zeichen von Lebenskraft und das in allen Kulturen. Wer
seinen Skalp lassen muss, ist eben nicht nur unter Indianern der
Verlierer. Da lässt Mann sich einiges einfallen.
In "Luther" trägt Uwe Ochsenknecht als
Papst Leo XII. eine Perücke, im wirklichen Leben hat er
glücklicherweise eine Tinktur gefunden, für die er sogar
Werbung macht. Silvio Berlusconi gab Order, seine lichten Stellen
auf Wahlplakaten zu retuschieren, Udo Lindenberg wurde seit
Jahrzehnten nicht mehr ohne Hut gesehen, und Sean Connery trug als
James Bond einen Fiffi. Nur Gerhard Schröder färbt seine
Haare nicht. Ein hochwirksames Haarwuchsmittel ist übrigens
aus dem alten Ägypten überliefert: "Man nehme Fett von
Löwen, Nilpferden, Krokodilen, Katzen, Schlangen und
Steinböcken, vermische es und bestreiche damit den Kopf des
Kahlköpfigen." Über das Mischungsverhältnis ist
allerdings nichts bekannt, deswegen wird von Selbstversuchen
abgeraten.
Wie losgelöst saß der Kopf,
getrennt durch die "gran gola", die Halskrause, deren Radius mit
den Jahren so zunahm, dass sie schließlich mithilfe eines
Drahtge-stells gestützt werden musste, auf dem sündhaften
Körper - über ihn erhaben. Einige höchst
eigenwillige Kreationen spanischer Modeschöpfer zeigen, in
welch enger Beziehung die jeweilige Männermode zu den
gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen ihrer Zeit
stand. Symbol der Würde des sittlichen Spaniers und bizarrer
Kontrast zum "Bragetto", der Schamkapsel, die das männliche
Geschlecht bis weit ins 17. Jahrhundert hinein geradezu grotesk
überbetonte. Der weltliche Erfolg spanischer Männer
dagegen schlug sich in deren Hosen nieder: Diese wurden im 16.
Jahrhundert mit Kleie oder Rosshaar ausgestopft, so dass die Form
von zwei Kugeln entstand - die "alte" und die "neue" Welt, die
beiden Erdteile, in denen die Spanier erfolgreich Fuß gefasst
hatten. Und da Erfolg oft Nachahmer findet, schmückten sich
bald auch englische Männer mit spanischen Beinkleidern, so
dass infolge dieser Modeerscheinung die Stühle im englischen
Parlament verbreitert werden mussten.
Es liegt in der Natur der Moden, dass sie ihr
Ver-fallsdatum bereits in sich tragen, und schon bald wurde die
spanische Vorherrschaft in Europa von der französischen
abgelöst. Ludwig XIII. büßte jung an Jahren ein
Gutteil seiner Haarpracht ein, doch der König wollte nicht mit
bloßem Haupt regieren. Also avancierte die Perücke
für den Herren zum Kleidungsstück, ohne das Mann sich am
französischen Hofe hinfort nicht mehr blicken lassen konnte.
Die eitle Anwandlung eines einzelnen Mannes traf den Nerv der Zeit:
48 Perückenmacher beschäftigte allein Sonnenkönig
Ludwig der XIV. Weiß, himmelblau und rosa türmten sich
die reichlich mit Reismehl gepuderten Ungetüme aus
Büffelhaar im Rokoko auf bis zu 90 Zentimetern oder waren
kunstvoll in Zöpfen und Rollen um die Häupter der
Aristokraten gewunden, bis sie schließlich 1789 von der
Guillotine rollten, womit auch dieser Trend vorläufig ein Ende
fand. Mega-In war von Stund an die Kleidung der Revolutionäre.
Sie gingen als Sansculotten in die Geschichte ein - Männer
ohne Kniehose, in langen Hosen, in den Farben der Revolution
gehalten, wurden zum Symbol einer ganzen Epoche.
Auf die Grande Nation folgte tonangebend das
Bri-tish Empire, und für die englische Avantgarde in Sachen
Mode steht vor allem ein Name: George Bryan Brummel, besser bekannt
als "Beau Brummel", der erste Dandy, geboren 1778. Er war zwar
nicht von aristokratischer Herkunft, fühlte sich jedoch stets
oder gerade deswegen vom Lifestyle der Upper Class besonders
angezogen. Seine Freundschaft mit dem damaligen Prinzen von Wales
ist legendär. George IV., von Freunden liebevoll "Prinny"
genannt, war das, was man einen "flashy dresser" nennt: Zu seiner
ersten Rede vor dem House of Lords im Jahre 1783 erschien der
damals 21-jährige Prinz mit pinkfarbenen Plateau-Schuhen, Ton
in Ton abgestimmt auf das pinkfarbene Satin-Futter seines
schwarzsamtenen, goldbestickten und mit Pink-Flitter
übersäten Anzugs. Pro Jahr soll er allein in Kleidung
10.000 Pfund investiert haben, was ihm alsbald so hohe Schulden
bescherte, dass er sich ihrer nur noch durch Heirat zu entledigen
wusste.
Legenden ranken sich auch um den Stil von
Brummels Kleidung, denn ganz entgegen überlieferten
Gerüchten kleidete er sich so gar nicht extravagant, sondern
eher nüchtern, schlicht und in gedeckten Farben. In den
Kreisen um den Prinzen galt er in Fragen des Dresscodes und der
Etikette als der Prophet schlechthin. Ihm ist es zu verdanken, dass
sich auch am Hofe die langen Hosen anstelle der Kniehosen
durchsetzten. Ein jähes Ende fand Brummels Leidenschaft
aufgrund anderer, weniger zuträglicher Facetten seiner
Persönlichkeit: Spielsucht und beißende Ironie. Verfolgt
von Schuldnern und einem aufs Schwerste gekränkten Prinzen
floh er nach Frankreich, wo er einen neuen Schuldenberg
anhäufte und schließlich im Gefängnis landete. Seine
Obsession im Hinblick auf Mo-den und peinliche Reinlichkeit schien
er dort gänzlich abgelegt zu haben. Schlampig bekleidet und
vor Schmutz starrend, wurde er kurz vor seinem Tod in ein
Armenhospital für Geisteskranke eingewiesen. Seinem Ruhm als
Avantgardist der Männermode hat dies keinen Abbruch getan -
sein Name ist Aushängeschild eines exklusiven Mode-Labels im
Herzen Sohos, New York, sein schillerndes Leben flimmerte schon
1924 als Stummfilm über die Leinwand und hat auch danach noch
manchen Filmemacher inspiriert.
Beau Brummel, seiner Zeit weit voraus, steht
für einen Paradigmenwechsel in der Männermode. Mit dem
Siegeszug der englischen Demokratie schwand der Einfluss
französischer Modevorbilder, und das gepflegte
Wohlstandsbäuchlein, das man soeben noch gewichtig und
bedächtig vor sich her getragen hatte, wich dem
Waschbrettbauch. Das neue Schönheitsideal: Breite Schultern,
muskulöse Brust, flacher Bauch, schmal in Taille und
Hüften, lange Beine. Auch dafür fand der Volksmund um das
Jahr 1800 eine ebenso liebevolle wie treffende Bezeichnung - das
"Cornetto". Militärisch streng, vernünftig, tugendhaft,
gebildet und sportlich hatte Mann zu sein. Das Schwelgen in
opulenten Gewändern, Perücken und Rüschen galt mit
einem Male als weibisch, verpönt und passé.
Understatement war angesagt, elegante Schlichtheit, gediegene
Sachlichkeit. Und so ist es bis heute bis auf einige eher kleinere
Strömungen jugendlicher Subkultur geblieben: Tagsüber
tugendhaft und uniform in Anzug und Krawatte, abends im
Indoor-Sportdress, wahlweise gepflegtes Outdoor-Outfit, drei bis
fünf Mal die Woche Drill im Fitness-Studio, Joggen, Walken,
Inline-Skaten, der Preis ist Schweiß.
Heute werden 40 Prozent der Diätprodukte
von Männern gekauft - doch was, wenn der Rettungsring trotz
Sit-Ups und Lagerfeld-Diät nicht schwinden will? Auch da gibt
es Abhilfe - ein "modellierender" Eingriff der ästhetischen
Chirurgie ist schon ab 2.500 Euro zu haben, und jeder dritte
Patient ist ein Mann: 40 bis 50 Jahre alt,
überdurchschnittlich gebildet, in gehobener Position. Die Top
Five: Bauch straffen, Fett absaugen, Tränensäcke oder
Doppelkinn entfernen und natürlich Haartransplantationen.
Nachfrage steigend - beim gesamten Repertoire der
Schönheitschirurgie, was Albert K. Hofmann, Präsident der
Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische
Chirurgie belegt: "Ihnen ist vor allem wichtig, in Beruf und
Privatleben sportlich, offen und gepflegt aufzutreten. Sie tun das
ganz allein für ihr eigenes Wohlbefinden - und
schweigen."
Gebrauchsanweisungen zur Wartung des
Männerkörpers füllen neuerdings die Regale der
Buchhand-lungen, doch der neue Körperkult geht inzwischen weit
über ein gesundes Maß hinaus: Die Medien propagieren ein
nahezu perfektes Schönheitsideal, das ohne Spritzen, Pillen
und Skalpell nicht mehr zu erreichen ist - nicht nur die
Schönheitschirurgie boomt, auch Essstörungen nehmen bei
Männern und männlichen Jugendlichen deutlich
zu.
Christine Kammerer ist Autorin in
Bonn
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