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Marion Müller-Roth
"Unser Hamburg existiert nicht mehr"
Wie deutsche Rentner auf Mallorca ein Leben
zwischen Swimming-Pool und Club führen
Es ist wie im Taubenschlag. Das Ehepaar Gerstner
(Name geändert) sitzt auf der Terrasse des Golfclubs in Camp
de Mar. Es ist fünf Uhr nachmittags, ein Donnerstag, im
späten Oktober. Man kennt sich, winkt einander zu und wertet
das gerade beendete Golfturnier aus. "Nein, heute war es nicht so
gut", lacht Evelyn Gerstner, (63). Eine Bekannte, im schnittig
weißen Golfhemd, mit braungebrannter Haut und einem Basecap,
aus dessen Schlaufe der graue Zopf herauslugt, wie der
glattgezogene Schweif eines Rennpferdes, legt ihr die Hand auf die
Schulter, "Kommt ihr heute Abend?", fragt sie.
Evelyn Gerstner dreht sich um, "Christa,
Mensch wo warst du denn?" Die Frauen begrüßen sich nach
spanischer Art: ein Küsschen links, ein anderes rechts. Die
Männer stoßen derweil die Bierkrüge gegeneinander.
Evelyn versucht, einen Stuhl vom Nebentisch heranzuziehen, der aber
gehört einem anderen. Im anliegenden Hotel springt ein Herr
mit einem silbrigen Bürstenhaarschnitt jauchzend ins
türkisblaue Swimmingpoolwasser; die Palmenblätter
rauschen im Wind, vom Meer weht eine Brise salzige Luft. Der
Kellner versucht im Kampf mit dem Wind und fuchtelnden Armen, rote
Servietten auf den Tisch zu legen und in gestärktes Leinen
gewickeltes Silberbesteck. "Gracias", sagt Evelyn
Gerstner.
Sie lehnt sich zur Seite, sagt der Freundin,
dass sie zum Grillen heute Abend nicht kommen könne (man ist
schon anderswo verpflichtet) und versucht sich dann wieder auf
ihren Gesprächspartner zu konzentrieren. "Hier ist immer was
los. Wir haben hier ein richtiges Clubleben." Auf die Frage, welche
Mahlzeit man jetzt einnehme, zuckt sie die milchcafebraunen
Schultern unter dem Träger-Shirt. Für das spanische
Mittagessen ist es zu spät. Für das deutsche Abendbrot zu
früh. Aber wen schert das schon. Man fühlt eh weder
Deutsch noch Spanisch. Sondern eher wie eine Synthese aus beidem.
Letztendlich ist man glücklicher Pensionär auf Mallorca.
Angekommen im Paradies?
"Ein Clubleben, ach", ihr Mann, Günther
Gerstner (75), wischt sich mit dem kräftigen, braungefleckten
Handrücken den Bierschaum vom Mund, "Clubleben? Ja, doch, das
stimmt", er legt den kahlen runden Kopf schief. "Aber keine
Vereinsmeierei! Das machen die da drüben." Da drüben? "Da
im Osten." Da wo Arenal liegt und die Playa de Palma oder
ordinärer ausgedrückt: der Ballermann. Jener
legendäre kilometer- lange Strandabschnitt, an den im Sommer
trink- und erlebniswilliges Jungvolk reist und im Winter eben auch
manch deutscher Pensionär.
4.000 Langzeiturlauber verbucht allein
Neckermann jedes Jahr, sagt Helga Karbowski, Reiseleiterin. Die
Mitdreißigerin leitet das Segment der Winterurlauber und den
Club "Schwalbe". Das ist die Einrichtung, in der die
Pensionäre von November bis Ende Februar Geist und Körper
ertüchtigende Unterhaltung erfahren: Wandern,
Rotkreuzgymnastik, Skat-Turniere, Blutdruckmessen und auch
Spanischkurse.
Aber das sind ja die anderen. Die Touristen.
Mit den Gerstners sind wir bei den deutschen Rentner-Residenten.
15.000 über 55-Jährige leben auf der Insel, schätzt
der Geografieprofessor der Balearenuniversität, Salvà
Tomàs. Das Phänomen, der "Ruhestandsmigration" ist quasi
eine der Gegenbewegungen der Armutsmigration, und sie boomt im
grenzenlosen Europa. Während Arm von Süd nach Nord
wandert, und zwar in jungen Jahren, geht Reich von Nord nach
Süd, und zwar in späten Jahren. "Das ist eine Art
Lifestyle-Migration", konstatiert Claudia Müller-Zuazaga. Als
angehende Sozialwissenschaftlerin untersucht sie in ihrer
Diplomarbeit die so genannten "Eingliederungsprozesse der Deutschen
auf Mallorca". Und die gestalten sich mit zunehmenden Alter
schwieriger. Denn ein Grund, warum Mallorca so attraktiv ist, als
Alterssitz, ist neben dem Klima vor allem die Existenz einer
deutschen Infrastruktur. Eine verlockend wirkende
Parallelgesellschaft, in der die fremde Sprache eigentlich nicht
benötigt wird.
Doch was macht einer im Paradies, wenn er
sich mit seinen Jüngern nicht unterhalten kann?
"Solange man gesund ist, funktioniert alles
bestens", sagt Evelyn Gerstner. Anstatt unter "anthrazitfarbenem
Himmel, der schlechten Stimmung und dauernden
Krankheitsgesprächen in Deutschland der Depression zu
verfallen", beginnen die Gerstners ihren "täglichen Sonntag"
immer ganz aktiv: Um 7.30 Uhr wird aufgestanden, dann folgen einige
Runden im hauseigenen Swimmingpool, dann eine halbe Stunde auf dem
Heimtrainer, dazu als Unterhaltung deutsches
Frühstücksfernsehen, später ein paar Einkäufe,
etwas Post im Internet, ein Gespräch mit dem deutschen Steuer-
und Vermögensberater. Am Nachmittag wahlweise: Golfspielen,
ein Ausflug ins Inselinnere, ein Cafékränzchen bei der
Nachbarin, eine Skatrunde im schicken Sporthafen in Port d`Andratx.
Abends dann trifft man sich reihum, "mal bei Gerda, dann bei Dieter
und Christa oder auch bei uns".
Wollte man die Philosophie deutscher
Ruheständler auf Mallorca in Worte fassen, könnte man sie
"Fun for fit" nennen. Oder "Jetzt erst recht", und man hört
dauernd Udo Jürgens Ohrwurm: "Mit 66 Jahren ...". Soziologen
nennen sie "die neue Generation der jungen Alten" und beschreiben
sie als Menschen, die auch jenseits der 65 Jahre
"mobilitätsfreudig, relativ gesund und sozial aktiv
sind".
Und die Familie? "Die kommt her", so
Gerstners. Die Bekannte Christa mit dem kecken Pferdeschwanz stimmt
zu. "Das ist eh viel besser, dann machen sie mal Urlaub." Gerstners
Sohn ist Informatiker, 45 Jahre alt und alleinstehend. Bei der
Bekannten Christa sind es zwei Töchter, die sie in Deutschland
zurückgelassen hat. "Ja da wo Sonne ist, gibt es eben auch
Schatten", sagt sie und meint damit, dass sie die zwei
Enkeltöchter eigentlich nur von den Ferien her
kennt.
Mit der Kehrseite der Medaille
Altersmigration ist José Rodriguez in Kontakt. Er leitet den
deutschen Sozial- und Kulturverein in Calvià, Anlaufstelle
für in Not geratene Deutsche. "15 bis 20 Prozent deutscher
Insel-Pensionäre leben in finanzieller und sozialer Not",
schätzt er. "Die Mehrzahl von ihnen kam bereits vor 20 Jahren
nach Mallorca", als Spaniens Lebenshaltungskosten im
europäischen Vergleichstopf noch Bodensatz waren. Für
wenig Geld, das im Vergleich zu hiesigen Einkommen einem
Vermögen glich, gab es ein Haus in mediterranen Gefilden. Doch
dank des Tourismus- und Residentenbooms hat auch Mallorca sich
hinsichtlich Lebensstandard aber eben auch -kosten an
mitteleuropäisches, ja sogar deutsches Niveau herangearbeitet,
was bedeutet, dass die zumeist kleinen Renten der vor Jahrzehnten
Ausgewanderten nicht ausreichen, um im Alter anfallende Kosten zu
decken. Dinge wie die Fahrt in die Stadt zum Arzt, eine neue
Brille, das Hörgerät oder gar der Rollstuhl können
diese Menschen oft nicht aus eigener Kraft begleichen. "Wenn sie
professionelle Pflege brauchen, bleibt für sie manchmal kein
anderer Weg, als zurück nach Deutschland. In ein
Seniorenheim", sagt Rodriguez. Er, der 34 Jahre als Süd-Nord
Migrant in Hamburg arbeitete, hat neben einer unvergleichlichen
Portion Sozialengagements gute Kontakte und Kenntnisse beider
Gesellschaften. Er weiß, dass für die staatlichen Heime
auf Mallorca jahrelange Wartelisten existieren. "Und für die
privaten reicht bei diesen Leuten einfach nicht das
Geld."
Spanisch können Deutsche
schlecht
Rodriguez, selbst Pensionär, leistet
ehrenamtlich Schützenhilfe, in den zahlreichen Notlagen der
ärmeren deutschen Rentner, und das ist vor allem der Kampf mit
den Behörden. Wie bei allen Migranten regiert auch unter den
Deutschen auf Mallorca die Tendenz, sich in Ghettos
zurückzuziehen und die Landessprache nicht ausreichend zu
erlernen. Rodriguez berät auch im Vornhinein und warnt, dass
ein Paar, das auswandern möchte, mindestens 1.800 bis 2.000
Euro monatlich brauche. Darunter wird der Aufenthalt im
vermeintlichen Paradies schnell zur Stolperfahrt durch eine
verdorrte Steppe. Trotzdem: Viele der noch rüstigen
Mallorca-Rentner wünschen sich, in ihrer Wahlheimat das
Zeitliche zu segnen. Günther Gerstner träumt von einem
Eifersuchtsmord, der ihn mitten auf dem glattrasierten, grünen
Golfrasen ereilt. Seine Frau ist realistischer und denkt an Es
Castellot.
Das ist eine Seniorenresidenz "nach dem
Vorbild deutscher Seniorenwohnanlagen" in der Wärme des
Südens, titelt die hauseigene Website. Heute leben knapp 80
deutsche Ruheständler in der Anlage. Eine Pflegestation
garantiert, dass die Bewohner, auch wenn sie krank werden, ihre
letzte Oase nicht mehr verlassen müssen. Auf einem Hügel,
im südwestlich gelegenen Santa Ponça errichtet, im
Rücken ein wis-pernder Pinienwald, im Blick eine malerische
Meeresbucht mit schaukelnden Schiffchen. Aus dem Haupthaus, im Stil
eines eleganten Kolonialhauses klingt Klaviermusik, aus einem
Löwenmaul in Stein plätschert Wasser in ein Becken, von
den Balkonen ranken fette Blumen. Irgendwo klicken die Steine eines
Dame- spiels. Im rundherum verglasten Speisesaal, der an einen
Pavillon oder ein Teehaus erinnert, sind die Tische gedeckt:
Kaffeezeit. Der neu ernannte Pfarrer der evangelischen Gemeinde
Thomas Witt-Hoyer hat ein Pult ins Zentrum gestellt. Klaviermusik
stimmt ein. Dann kommt er zum Thema "Wo ist mein zu Hause?", fragt
er sich (auch er hat samt Familie erst kürzlich die Heimat
verlassen) und die anderen. "Trage ich es in meinem Herzen? Oder
ist es da, wo meine Liebsten sind? Will man nicht gerade im Alter
zu Hause ankommen?" Eine Dame mit silbrigem Lockenhaar, den
Gehstock hat sie an den Tisch gelehnt, sagt: "Ich bin so viel
herumgekommen, dass ich nicht mehr weiß, wo mein zu Hause ist.
Tangermünde, Bayern, Landshut, Bonn, Frankreich, USA, Spanien.
Wo ist mein zu Hause? Don't ask!". Eine andere erzählt von der
Vertreibung aus Schlesien, den Wirtschaftswunderjahren, in denen
sie ihrem Mann, einem Bauunternehmer, durch die Welt folgte. "Zu
Hause ist da, wo ich Kind war. Noch heute rieche ich die Linden und
den Räucheraal", sagt Helga Molchin mit leiser Stimme. "Die
Kuhmühle in Hamburg/Hohenfelde zwischen fetten Weiden ist
jetzt eine graue Steinmasse."
Ihr Leben nach dem Krieg war von Reisen und
Wohnortswechseln geprägt, Südafrika und Holland die
einprägsamsten Stationen ihres Erwachsenenlebens. Ihre drei
Söhne leben auf drei Kontinenten. Einer in Australien, einer
in Südafrika und der dritte in Berlin mit dauernden Reisen
nach Asien. Die Entscheidung, nach Mallorca zu kommen, traf sie vor
zehn Jahren gemeinsam mit ihrem Mann. "Unser Hamburg existiert
nicht mehr. Die Bekannten sind fast alle tot, und hier haben wir
wenigstens das südliche Klima, und er konnte noch ein Jahr den
Blick auf das Meer genießen." Viele der - betuchten - (die
Monatsmindestmiete reicht von 1.200 bis 2.800 Euro, zusätzlich
Pflegekosten und einem Darlehen im fünfstelligen Bereich) sind
Menschen, die sich in den Zeiten westdeutschen Wirtschaftswunders
entwurzelten. Mallorca, das rote Felschen, wie es die Einheimischen
nennen, umspült an seinen Kanten von seidener Gischt,
Verkehrsknotenpunkt aller großen europäischen
Städte, mit 300 Sonnentagen und eben doch auch ein bisschen
Deutsch - scheint ein geeigneter Ankunftsort für viele der
flügellahm gewordenen Wandervögel.
Marion Müller-Roth ist freie
Journalistin und lebt auf Mallorca.
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