|
|
Hans-Peter Müller
Mysteriöser Tod eines Kronzeugen
Der Bankenskandal in Berlin
Es ist zum Gruseln und wahrlich spannend wie im Kriminalroman.
Doch es geht nicht um Fiktion, sondern um Realität: Die
Hauptstadt Deutschlands als Klein-Chicago an der Spree. Im Berliner
Bankenskandal scheint der Rechtsstaat auf der Strecke geblieben zu
sein, wie die Recherchen von Olaf Jahn und Susanne Opalka, zwei
Journalisten des ARD-Magazins "Kontraste", detailliert
nachweisen.
Eine Vertuschungsmafia aus Politik, Kriminalpolizei und
Staatsanwaltschaft hat wider alle Indizien den plötzlichen Tod
eines potentiellen Kronzeugen in diesem beispiellosen Skandal als
"Selbstmord" deklariert und trotz Revisionsversuchen alle
Wiederaufnahmen des Verfahrens vereitelt. Was für ein
"Glück" für die Firma Aubis, die mit Hilfe des damals
mächtigsten politischen und wirtschaftlichen Strippenziehers
in Berlin, Klaus-Rüdiger Landowsky - Ex-CDU-Fraktionschef und
Ex-Vorstandschef der Berliner Hypothekenbank -, 630 Millionen
D-Mark an Krediten für betrügerische
Immobiliengeschäfte mit Plattenbauten in Ostdeutschland ohne
jegliche Sicherheiten oder eigenes Vermögen bekommen
hatte.
Aber Klaus-Hermann Wienhold und Christian Neuling, die Bosse von
Aubis, haben etwas anderes, was für sie spricht: "politisches
Kapital" und kriminelle Energie. Wienhold hat seine Karriere bei
der Bereitschaftspolizei begonnen und bei der Mordkommission
fortgesetzt, um dann in die Politik zu wechseln und Mitte der
80er-Jahre Landesgeschäftsführer der CDU zu werden. Wie
Eberhard Diepgen ist er Teilhaber der "Berliner Presse- und
Informationsdienste" (bpi). Mit Landowsky zeichnete er jahrelang
für Wahlkämpfe und Strategien verantwortlich. Seinem
CDU-Freund wird er 40.000 D-Mark in bar als Parteispende in dessen
Büro überreichen, nachdem er seine Kredite für Aubis
bekommen hatte.
Christian Neuling, promovierter Diplom-Ingenieur, tritt in das
Unternehmen seines Bruders ein, das im Müllgeschäft immer
wieder für skandalträchtige Schlagzeilen sorgte. Parallel
dazu macht er Karriere in der CDU und wird 1977 Landeschef der
Berliner Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung. Nach dem Fall
der Mauer wittern beide das große Geschäft im Osten und
beginnen mit ihrer Firma Aubis, im großen Stil Immobilien zu
erwerben.
Kein Kapital, keine Ahnung
Das Muster ist immer das gleiche: Sie holen sich ein
prinzipielles Einverständnis zu einer Finanzierung von der
BerlinHyp, zeichnen den Kaufvertrag und erhalten den Kredit. Aber
warum bekommen sie überhaupt einen Kredit ohne
Bonitätsprüfung? "Als sie sich um das Millionenspiel
bewerben, haben sie - praktisch - nichts", stellen Olaf Jahn und
Susanne Opalka verblüfft fest. Kein Kapital, keine Erfahrung
im Sanieren von Plattenbauten, keine Ahnung von
Immobiliengeschäften.
Wienhold versteht etwas von Mord und Politik, Neuling vom
gefälschten Deklarieren von Bilanzen. Wie ihre bei der
Bankengesellschaft eingereichten Modellunterlagen zeigen, beruhten
ihre Kalkulationen auf illusorischen Milchmädchenrechnungen,
die mit bloßem Auge und minimalem kaufmännischen
Sachverstand zu erkennen gewesen wären. Bis auf wenige
Ausnahmen gibt es keine unangenehmen Nachfragen; ein
Immobilien-Sachverständiger der IBG wird kurzerhand nicht mehr
eingeladen, weil er das Aubis-Konzept als hanebüchen verrissen
hatte.
Geht man nur vom gesunden Menschenverstand aus, so hätte
diese unseriöse Geschäftsidee nicht den Hauch einer
Chance haben dürfen. So kommt man nicht umhin, eine
Befehlskette zu vermuten, die von ganz oben kam und dafür
sorgte, dass der gesunde Menschenverstand bei allen Geschäften
der Firma Aubis in der Berliner Bankengesellschaft
regelmäßig versagte. In den USA wäre
Klaus-Rüdiger Landowsky sofort in Untersuchungshaft gekommen
und erst wieder freigelassen worden, wenn er umfassend gestanden
hätte oder aber die Ermittler seine zentrale Rolle in diesen
"deals" aufgedeckt hätten. Aber das ist Berlin: Wo kein
Kläger, da kein Angeklagter, und Landowsky soll gedroht haben,
dass, wenn er plaudere, die ganze politische Klasse in Berlin in
die Luft fliegen würde.
Je mehr Kredite die BerlinHyp der Firma Aubis zuschanzte, desto
kühner und dreister wurden deren Geschäftspraktiken. Das
System war denkbar einfach: Es wurde ein Schachtelverbund von
Firmen gegründet, um Finanzströme zu verschleiern. Dann
schanzten sich diese Firmen intern Aufträge zu, die
überhöht abgerechnet wurden, so dass Steuergelder ganz
"legal" privatisiert wurden und auf den Konten von Wienhold und
Neuling landen konnten.
So sind vom Neuling-Konto allein zwischen Mai 1997 bis August
2000 etwa 12,5 Millionen Mark ins Ausland transferiert worden. Um
ihren Praktiken den Anschein von seriöser
Geschäftstätigkeit zu geben, wurden zwei ehemalige
Minister der Regierung Kohl in den Aufsichtsrat berufen: Jochen
Borchert, Ex-Landwirtschaftsminister, und Christian
Schwarz-Schilling, Ex-Postminister, der allein in drei Jahren
Tätigkeit bei Aubis 230.000 DM kassieren durfte.
Lars Oliver Petroll, der angebliche Selbstmörder aus dem
Grunewald, hatte diese Praktiken bald durchschaut. Kein
Kunststück, denn er war der zentrale EDV-Mann, der alle Daten-
und Kontenbewegungen verfolgen konnte. Schon früh begann er,
Kopien von diesen Vorgängen zu ziehen. Als dann der Berliner
Bankenskandal losbrach, versuchte er dilettantisch, sein Wissen zu
Geld zu machen. Rasch fühlte er sich von den Aubis-Chefs
bedroht, wechselte Wohnungen und Städte, um sich dann
vertrauensvoll an einen Anwalt der Bankegesellschaft zu wenden. Von
dort gelangte sein Name zur Staatsanwaltschaft, die ihn
unverschlüsselt in ihre Akten über-, aber nichts
unternahm. Die Aubi-Verteidiger bekamen Akteneinsicht.
Zehn Tage später fand man Lars Oliver Petroll erhängt
im Grunewald. Klarer Fall von Selbstmord aufgrund von Liebeskummer,
Suizidneigung oder Geldsorgen, wie Berliner Polizei und
Staatsanwaltschaft mutmaßten. Die sorgfältigen Recherchen
der Autoren dokumentieren, wie lässig bis nachlässig
ermittelt wurde. Wollte oder konnte man nicht der Wahrheit ins
Gesicht sehen? Die Lektion: Der Rechtsstaat verliert offenkundig
da, wo Geld und Macht, wirtschaftliche Bereicherungsgier und
Parteipolitik eine unselige Allianz eingehen. Echter Westberliner
Filz eben.
Olaf Jahn, Susanne Opalka
Tod im Milliardenspiel. Der Bankenskandal und das Ende eines
Kronzeugen.
Transit-Verlag, Berlin 2004; 222 S., 18,80 Euro
Zurück zur
Übersicht
|