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Jutta Witte
Erbitterter Streit um Schulgesetz
Hessen: "Grabstein oder Meilenstein" für
die Schulentwicklung
Rund 74.000 Unterschriften enthalten die Kartons, die SPD und
Grüne vor Beginn der Debatte in den Plenarsaal schleppen.
Eltern, Lehrer und Schüler - zusammengeschlossen im
Bündnis "Es geht um unsere Schule" - protestieren gegen das
neue hessische Schulgesetz, das am 26. November in dritter Lesung
verabschiedet wurde. Und weil auf den Paketen auch noch der Name
der Initiative steht, kennt CDU-Landtagspräsident Norbert
Kartmann überhaupt keinen Humor: Die Kartons werden
weggeräumt. Vor allem beim Thema Schulpolitik sind die
ideologischen Gräben traditionell tief im hessischen Landtag.
So stößt der von Kultusministerin Karin Wolff vorgelegte
Entwurf auf erbitterten Widerstand aller Oppositionsparteien.
"Insgesamt hat der Entwurf nur Gegner produziert", bilanziert
die schulpolitische Sprecherin der FDP, Dorothea Henzler.
"Inhaltlich und formal durchgefallen", lautet ihr Urteil. FDP, SPD
und Grüne werfen Kultusministerin und CDU-Mehrheit nicht nur
ein "ungeordnetes parlamentarisches Verfahren" und "schlampige
Vorlagen" vor. Das so genannte dritte Gesetz zur
Qualitätssicherung an hessischen Schulen, so die Kritik der
Opposition, fördere Selektion statt Integration, gefährde
die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen und "zementiere
den bei PISA festgestellten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft
und Bildungserfolg".
Das Gesetz, das Anfang 2005 in Kraft treten soll, ist für
Wolff jedoch keinesfalls ein "Grabstein" für die
Schulentwicklung, wie die SPD warnt, sondern ein "Meilenstein". Der
Entwurf sieht neben einer umfassenden Reform der Lehrerbildung
Änderungen im Schulgesetz vor, die nach Überzeugung der
CDU-Politikerin die Qualität der Schulbildung nachhaltig
verbessern sollen. Ab dem Schuljahr 2005/2006 soll der gymnasiale
Bildungsgang in der Mittelstufe um ein Jahr verkürzt werden.
Die Querversetzung, die es ermöglicht, einen Schüler auch
gegen den Willen der Eltern in eine andere Schulform zu versetzen,
soll künftig bis Klasse sieben möglich sein. An den
Hauptschulen soll ein qualifizierter Abschluss ein besonderes
Angebot für stärkere Schüler bieten, während
leistungsschwächere Schüler in Praxisklassen nur drei
Tage in der Schule und zwei Tage in einem Betrieb verbringen
sollen. Zudem schreibt der Entwurf verbindliche Richtwerte für
Jahrgangsbreiten vor: "Schule ohne Schüler macht keinen Sinn",
findet die Kultusministerin. Werden die Richtwerte unterschritten,
ist der Schulträger verpflichtet "Umstrukturierungen"
vorzunehmen und gegebenfalls Schulen zu schließen.
Sicht der Opposition
Die Opposition wertet dies als einen Frontalangriff auf die
Kooperativen Gesamtschulen, denen "sukzessive der Garaus gemacht
werden soll", wie die sozialdemokratische Schulpolitikerin Heike
Habermann befürchtet. In weiten Teilen halten SPD, Grüne
und FDP die neuen Bestimmungen für "ideologisch motiviert". So
bedeute die drohende Querversetzung bis in Klasse sieben einerseits
einen "Gymnasialbesuch auf Bewährung" mit mehr Schulversagen
und verstärkter Auslese. Andererseits fehle für eine
solche Maßnahme jegliche pädagogische Begründung.
Das Abitur nach zwölf Jahren setze die Ministerin mit "der
Brechstange durch". Schulzeitverkürzung, betont Habermann
zudem, sei kein Qualitätsmerkmal an sich. Die immense
Belastung der Gymnasialschüler werde letztlich die
Abiturientenquote dauerhaft senken.
Im Gegensatz zu den Schulgesetzänderungen stößt
die von Wolff geplante umfassende Reform der Lehrerbildung
allerdings kaum auf Kritik. "Wir setzen auf eine Lehrerausbildung,
die sich früher und stärker denn je an den
Bedürfnissen der Schule orientiert", erklärt die
CDU-Politikerin. Künftig soll das Lehramtsstudium in Module
gegliedert werden, die fachwissenschaftliche, didaktische und
erziehungswissenschaftliche Fragen miteinander verbinden. Eine
Zwischenprüfung nach dem vierten Semester soll ebenso
verbindlich werden wie vier Praktika und in einem Portfolio
nachzuweisende Weiterbildungsmaßnahmen. Angehende
Grundschullehrer müssen nach dem neuen Gesetz Mathematik und
Deutsch als Hauptfach sowie ein drittes Fach belegen und eine
"musisch-kreative Grundausbildung" aneignen. Mit diesen
Maßnahmen hofft die Ministerin, "Lehrerbildung aus einem Guss"
verwirklichen zu können.
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