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Karl-Otto Sattler
Opa Sindermann steht auf Westjeans
Wie die Nietenhosen zwischen Alltag und Politik
das DDR-Regime in die Knie zwangen
Sage keiner, eine Zentralverwaltungswirtschaft
sei nicht flexibel. Über das Unkonventionelle konnte sich
Alexander Schalck-Golodkowski, als Leiter der Abteilung
Kommerzielle Koordinierung (KoKo) zuständig für den
Außenhandel der DDR und für den Einsatz wertvoller
Westdevisen zwecks Import aus dem kapitalistischen Ausland,
manchmal sogar richtig erregen: "Schwachsinn" habe sich in den
Entscheidungsgremien abgespielt, das sei "zum Kotzen" gewesen.
Besonders geärgert hat den KoKo-Chef die SED-Größe
Horst Sindermann, der "war da führend". So setzte der alte
Herr einmal durch, dass die DDR auf einen Schlag eine Million Jeans
im Westen für teures Geld orderte, "statt Maschinen zu kaufen
für die Produktion und was Vernünftiges", so Schalck
erbost: "Da Sindermann Kinder hatte und Enkelkinder, die ihrem Opa
ständig einredeten, wie schön das ist, Levi's zu tragen,
mussten es Levi's sein."
Die Episode aus dem Innenleben des Regimes
zeigt, dass die im harten Kampf der Systeme lange Zeit als Symbol
kapitalistischer Unterminierung des Sozialismus verfemten Jeans
ihren Triumphzug schließlich bis in die SED-Spitze
fortsetzten. Freilich sollten die Nietenhosen der DDR bis zu ihrem
Dahinscheiden in der Wendezeit 89/90 Probleme bereiten.
Rebecca Menzel hat dazu jetzt ein Buch mit
dem Titel "Jeans in der DDR" publiziert. "Jeans waren in der DDR
das umstrittenste Kleidungsstück überhaupt." Seit dem
Untergang des SED-Regimes schien dieses Konfliktthema, das die DDR
seit den 50er-Jahren begleitete, freilich aus dem
gesellschaftlichen Gedächtnis getilgt zu sein. Menzel hat nach
mühevollen Recherchen in ihrem Buch diesen spannenden
Werdegang der einstigen Cowboyhosen wiederaufleben lassen: Im
SED-Staat hätten sich die Jeans "eine ganz eigene Rolle
zwischen banalem Alltag und hoher Politik erobert" - zwischen
Erziehungskampagnen, Schulverweisen, heiß ersehnten
Westpaketen, Schlangestehen vor Kleidergeschäften, modischen
Kalamitäten und FDJ-Umzügen, bei denen sich unter die
Blauhemden späterhin auch Jeanskleidung mischte. Menzel: "Vor
allem junge Leute spielten mit diesem rebellischen Symbol, um
Autoritäten herauszufordern."
Das war auch in der Bundesrepublik so, bis in
die 70er-Jahre hinein wurden mit Jeans Eltern provoziert und
Konventionen ausgehebelt. Aber im Westen fehlte der Staat als
Gegner. Nicht die DDR-Jugendlichen haben die heißen Hosen
zunächst politisiert, es war die SED. Schließlich
schaukelten sie sich gegenseitig hoch. Walter Ulbricht wollte "dem
Lebensstil aus Texas einen Riegel vorschieben". Jeansträger
wurden als staatsfeindliche Subjekte ausgemacht. "In den Augen der
Polizei waren wir eindeutig als ?Gammler' erkennbar, die den
Sozialismus nicht mit aufbauen wollten", erzählt der in
Greifswald aufgewachsene Architekt Robert Conrad.
"Synthetische Lappen aus der Jumo"
Wesentlich beflügelt hat den
gesellschaftlichen Durchbruch der Jeans östlich der Mauer 1972
der Dramaturg Ulrich Plenzdorf mit seinem Theaterstück "Die
neuen Leiden des jungen W.". In der viel gespielten Inszenierung
philosophiert der junge Held Edgar Wibeau in einem langen Monolog
ausgiebig über das begehrte Statussymbol: "Jeans sind die
edelsten Hosen der Welt. Dafür verzichte ich doch auf die
ganzen synthetischen Lappen aus der Jumo, die ewig tiffig aussehen"
- "Jumo" ist das Kürzel für "Jugendmode"-Läden. Und
dann sagt Wibeau den legendären Satz: "Jeans sind eine
Einstellung und keine Hosen." Im Rückblick auf die DDR meint
der heute 70-jährige Plenzdorf: "Hätten die gesagt:
Besorgt euch Eure Jeans, wo ihr wollt, es ist uns schnuppe,
wäre nichts gewesen." Aber weil es so halt nicht war, wurden
die Nietenhosen zum Hit, vor allem die aus dem Westen.
Einfach waren die Recherchen der aus
Westberlin stammenden Rebecca Menzel nicht, schließlich musste
sie in eine längst untergegangene Welt eintauchen. Manche
möchten mit jenen Zeiten offenbar auch nichts mehr zu tun
haben: Die Firma Levi Strauss wollte die Autorin jedenfalls keinen
Einblick nehmen lassen in Unterlagen über die ja durchaus
einträglichen Geschäfte mit der DDR. Als ergiebig
erweisen sich, bei einem Modethema eher überraschend, alte
Polizeiakten: Bei Vopo-Ermittlungen wurden die besagten Hosen oft
mit sogenanntem "Rowdytum" in Verbindung gebracht - bei "Rowdytum"
war auch der Vorwurf des politisch Bösen schnell bei der Hand.
Menzel gesellte sich zu Stammtischrunden mit Ex-DDR-Bürgern,
die ihr von tatsächlichem oder erinnerungsselig
verklärtem Rebellentum bezüglich der Jeans berichteten.
Die Historikerin unterhielt sich mit Mitarbeitern des früheren
DDR-Modeinstituts und machte Beschäftigte von volkseigenen
Betrieben ausfindig, die seit den 70er-Jahren DDR-Jeans der Marken
Wisent, Boxer, Shanty oder Goldfuchs unters Volk
brachten.
Mehr noch als die kulturell-politische
Analyse der Karriere eines Kleidungsstücks vermögen
natürlich persönliche Erlebnisse von Zeitgenossen die
Jeans-Ära aufleben zu lassen. Die Schauspielerin und
Sängerin Chris Doerk wurde in den 50er-Jahren bei einem
"Fahnenappell" auf einem Dresdner Schulhof vom Direktor nach vorne
zitiert und angeraunzt: "Wenn ich Sie noch einmal mit Jeans in der
Schule sehe, können Sie sich auf eine saftige Strafe gefasst
machen!" Bei einem solchen Fahnenappell in Halle wurden auf einen
Schlag an die 40 Jeansträger weggeschickt, um mit angemessener
Kleidung in die Schule zurückzukommen. Der Fotograf Peter
Oehlmann: "Wir sind in Klassenstärke fröhlich vom Hof
getrabt und mitnichten nach Hause gegangen, sondern in die
nächste Kneipe." Dieter Birr, Gitarrist der Puhdys, über
die Cleverness beim Umgang mit dem Jeansverbot im Unterricht: Das
habe man zuweilen genutzt, "wenn wir keine Lust auf Schule hatten".
Einen Lehrer setzte Oehlmann einmal argumentativ schachmatt mit dem
Hinweis, dass Jeans doch die Hosen der amerikanischen
Arbeiterklasse seien: Zur Strafe für diese dialektische
Raffinesse musste er ein Referat über die US-Arbeiterbewegung
schreiben.
Bei Auftritten im Fernsehen durften die
Puhdys bis 1973 keine Jeans tragen. Auch der Musiker Klaus Renft
hatte mit seiner in der DDR angesagten Combo gleichen Namens wegen
der Nietenhosen "immer wieder Ärger mit den
Kulturbeauftragten". Der 62-jährige Renft, der 1976 in die
Bundesrepublik wechselte, ist noch heute stolz über seine
ersten Jeans, die er 1957 im damals für DDR-Bürger
zugänglichen Westberlin gekauft hatte: "Damit war ich in
Leipzig der Stärkste, und die Mädchen standen
Schlange."
Doch Schulverweise, Bühnenverbote,
Gaststättenrausschmisse und andere Repressionsmaßnahmen
nutzten nichts: Irgendwie fanden Westjeans immer wieder den Weg in
die DDR, notfalls wurden Hosen in Heimarbeit aus Divandecken,
Möbelplüsch oder OP-Stoff genäht. 1968, sowieso ein
geschichtsträchtiges Jahr, streckte die SED die Waffen: Aus
Ungarn wurden erstmals Jeans importiert.
Bald lief die Produktion von DDR-Jeans an.
Die "Cottino-Hosen", wie sie anfangs hießen, fanden
zunächst reißenden Absatz. Die Jugendmode-Läden
warben mit dem Motto "Sonnige Jugend - ideenreich gekleidet", kurz
"Sonnidee". Aber, resümiert Rebecca Menzel, "die DDR-Jeans
hatten ein Imageproblem": Als "billige Kopie" hätten sie nie
den Kultstatus der US-Markenjeans erreicht.
Mal wurden die Ostkleider als modisch
indiskutable "Großraumhosen" verspottet, in den 80er-Jahren
wollte es mit dem seinerzeit angesagten Stone-washed-Flair nicht
klappen. Gelegentliche offizielle Westimporte waren schnell
vergriffen.
So wünschte in der Akademie der
Wissenschaften, die eines Tages ein Sonderangebot von "original
amerikanischen Strauss-Levis" offerierte, ein Aushang "guten
Einkauf", natürlich nur mit Dienstausweis. Für harte
D-Mark, die man sich halt beschaffen musste, waren Westjeans auch
in Intershops zu erstehen.
Warum die Produktion der alten
DDR-Jeans-Marken nach der Wiedervereinigung so rasch erlosch, ist
letztlich schwer zu sagen. Die betreffenden Unternehmen teilten das
Schicksal vieler ehemaliger volkseigener Betriebe, für die
sich keine finanzkräftige Investoren mit langfristigen
Marktstrategien fanden. Wenn Beschäftigte ihre
daniederliegenden Jeans-Firmen zwecks Rettung in Eigenregie kaufen
wollten, lehnte die Treuhand ab.
Allerdings war es eben auch so, dass in der
Euphorie der Wendezeit viele Ostdeutsche heimische Produkte
verschmähten und zu Westmarken umschwenkten. Noch heute kann
der Musiker Klaus Renft über diese Haltung schimpfen: Auf
diese Weise hätten DDR-Bürger ihrer eigenen Wirtschaft
das Wasser abgegraben.
Inzwischen sind echte DDR-Jeans eine
Rarität. Für die Dekoration einer Lesung mit solchen
Nietenhosen mussten Menzel und der Verlag auf einen
Kostümfundus in Berlin-Adlershof zurückgreifen. Die
Autorin: "Bei persönlichen Gesprächen während meiner
Recherchen hat nie jemand eine DDR-Jeans aus dem Schrank geholt,
darauf hatte ich immer gewartet." Vergeblich.
Rebecca Menzel: Jeans in der DDR. Christoph
Links Verlag, Berlin September 2004. 200 Seiten, 14,90
Euro.
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