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Das Parlament
Nr. 49 / 29.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Karl-Otto Sattler

Opa Sindermann steht auf Westjeans

Wie die Nietenhosen zwischen Alltag und Politik das DDR-Regime in die Knie zwangen
Sage keiner, eine Zentralverwaltungswirtschaft sei nicht flexibel. Über das Unkonventionelle konnte sich Alexander Schalck-Golodkowski, als Leiter der Abteilung Kommerzielle Koordinierung (KoKo) zuständig für den Außenhandel der DDR und für den Einsatz wertvoller Westdevisen zwecks Import aus dem kapitalistischen Ausland, manchmal sogar richtig erregen: "Schwachsinn" habe sich in den Entscheidungsgremien abgespielt, das sei "zum Kotzen" gewesen. Besonders geärgert hat den KoKo-Chef die SED-Größe Horst Sindermann, der "war da führend". So setzte der alte Herr einmal durch, dass die DDR auf einen Schlag eine Million Jeans im Westen für teures Geld orderte, "statt Maschinen zu kaufen für die Produktion und was Vernünftiges", so Schalck erbost: "Da Sindermann Kinder hatte und Enkelkinder, die ihrem Opa ständig einredeten, wie schön das ist, Levi's zu tragen, mussten es Levi's sein."

Die Episode aus dem Innenleben des Regimes zeigt, dass die im harten Kampf der Systeme lange Zeit als Symbol kapitalistischer Unterminierung des Sozialismus verfemten Jeans ihren Triumphzug schließlich bis in die SED-Spitze fortsetzten. Freilich sollten die Nietenhosen der DDR bis zu ihrem Dahinscheiden in der Wendezeit 89/90 Probleme bereiten.

Rebecca Menzel hat dazu jetzt ein Buch mit dem Titel "Jeans in der DDR" publiziert. "Jeans waren in der DDR das umstrittenste Kleidungsstück überhaupt." Seit dem Untergang des SED-Regimes schien dieses Konfliktthema, das die DDR seit den 50er-Jahren begleitete, freilich aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis getilgt zu sein. Menzel hat nach mühevollen Recherchen in ihrem Buch diesen spannenden Werdegang der einstigen Cowboyhosen wiederaufleben lassen: Im SED-Staat hätten sich die Jeans "eine ganz eigene Rolle zwischen banalem Alltag und hoher Politik erobert" - zwischen Erziehungskampagnen, Schulverweisen, heiß ersehnten Westpaketen, Schlangestehen vor Kleidergeschäften, modischen Kalamitäten und FDJ-Umzügen, bei denen sich unter die Blauhemden späterhin auch Jeanskleidung mischte. Menzel: "Vor allem junge Leute spielten mit diesem rebellischen Symbol, um Autoritäten herauszufordern."

Das war auch in der Bundesrepublik so, bis in die 70er-Jahre hinein wurden mit Jeans Eltern provoziert und Konventionen ausgehebelt. Aber im Westen fehlte der Staat als Gegner. Nicht die DDR-Jugendlichen haben die heißen Hosen zunächst politisiert, es war die SED. Schließlich schaukelten sie sich gegenseitig hoch. Walter Ulbricht wollte "dem Lebensstil aus Texas einen Riegel vorschieben". Jeansträger wurden als staatsfeindliche Subjekte ausgemacht. "In den Augen der Polizei waren wir eindeutig als ?Gammler' erkennbar, die den Sozialismus nicht mit aufbauen wollten", erzählt der in Greifswald aufgewachsene Architekt Robert Conrad.

"Synthetische Lappen aus der Jumo"

Wesentlich beflügelt hat den gesellschaftlichen Durchbruch der Jeans östlich der Mauer 1972 der Dramaturg Ulrich Plenzdorf mit seinem Theaterstück "Die neuen Leiden des jungen W.". In der viel gespielten Inszenierung philosophiert der junge Held Edgar Wibeau in einem langen Monolog ausgiebig über das begehrte Statussymbol: "Jeans sind die edelsten Hosen der Welt. Dafür verzichte ich doch auf die ganzen synthetischen Lappen aus der Jumo, die ewig tiffig aussehen" - "Jumo" ist das Kürzel für "Jugendmode"-Läden. Und dann sagt Wibeau den legendären Satz: "Jeans sind eine Einstellung und keine Hosen." Im Rückblick auf die DDR meint der heute 70-jährige Plenzdorf: "Hätten die gesagt: Besorgt euch Eure Jeans, wo ihr wollt, es ist uns schnuppe, wäre nichts gewesen." Aber weil es so halt nicht war, wurden die Nietenhosen zum Hit, vor allem die aus dem Westen.

Einfach waren die Recherchen der aus Westberlin stammenden Rebecca Menzel nicht, schließlich musste sie in eine längst untergegangene Welt eintauchen. Manche möchten mit jenen Zeiten offenbar auch nichts mehr zu tun haben: Die Firma Levi Strauss wollte die Autorin jedenfalls keinen Einblick nehmen lassen in Unterlagen über die ja durchaus einträglichen Geschäfte mit der DDR. Als ergiebig erweisen sich, bei einem Modethema eher überraschend, alte Polizeiakten: Bei Vopo-Ermittlungen wurden die besagten Hosen oft mit sogenanntem "Rowdytum" in Verbindung gebracht - bei "Rowdytum" war auch der Vorwurf des politisch Bösen schnell bei der Hand. Menzel gesellte sich zu Stammtischrunden mit Ex-DDR-Bürgern, die ihr von tatsächlichem oder erinnerungsselig verklärtem Rebellentum bezüglich der Jeans berichteten. Die Historikerin unterhielt sich mit Mitarbeitern des früheren DDR-Modeinstituts und machte Beschäftigte von volkseigenen Betrieben ausfindig, die seit den 70er-Jahren DDR-Jeans der Marken Wisent, Boxer, Shanty oder Goldfuchs unters Volk brachten.

Mehr noch als die kulturell-politische Analyse der Karriere eines Kleidungsstücks vermögen natürlich persönliche Erlebnisse von Zeitgenossen die Jeans-Ära aufleben zu lassen. Die Schauspielerin und Sängerin Chris Doerk wurde in den 50er-Jahren bei einem "Fahnenappell" auf einem Dresdner Schulhof vom Direktor nach vorne zitiert und angeraunzt: "Wenn ich Sie noch einmal mit Jeans in der Schule sehe, können Sie sich auf eine saftige Strafe gefasst machen!" Bei einem solchen Fahnenappell in Halle wurden auf einen Schlag an die 40 Jeansträger weggeschickt, um mit angemessener Kleidung in die Schule zurückzukommen. Der Fotograf Peter Oehlmann: "Wir sind in Klassenstärke fröhlich vom Hof getrabt und mitnichten nach Hause gegangen, sondern in die nächste Kneipe." Dieter Birr, Gitarrist der Puhdys, über die Cleverness beim Umgang mit dem Jeansverbot im Unterricht: Das habe man zuweilen genutzt, "wenn wir keine Lust auf Schule hatten". Einen Lehrer setzte Oehlmann einmal argumentativ schachmatt mit dem Hinweis, dass Jeans doch die Hosen der amerikanischen Arbeiterklasse seien: Zur Strafe für diese dialektische Raffinesse musste er ein Referat über die US-Arbeiterbewegung schreiben.

Bei Auftritten im Fernsehen durften die Puhdys bis 1973 keine Jeans tragen. Auch der Musiker Klaus Renft hatte mit seiner in der DDR angesagten Combo gleichen Namens wegen der Nietenhosen "immer wieder Ärger mit den Kulturbeauftragten". Der 62-jährige Renft, der 1976 in die Bundesrepublik wechselte, ist noch heute stolz über seine ersten Jeans, die er 1957 im damals für DDR-Bürger zugänglichen Westberlin gekauft hatte: "Damit war ich in Leipzig der Stärkste, und die Mädchen standen Schlange."

Doch Schulverweise, Bühnenverbote, Gaststättenrausschmisse und andere Repressionsmaßnahmen nutzten nichts: Irgendwie fanden Westjeans immer wieder den Weg in die DDR, notfalls wurden Hosen in Heimarbeit aus Divandecken, Möbelplüsch oder OP-Stoff genäht. 1968, sowieso ein geschichtsträchtiges Jahr, streckte die SED die Waffen: Aus Ungarn wurden erstmals Jeans importiert.

Bald lief die Produktion von DDR-Jeans an. Die "Cottino-Hosen", wie sie anfangs hießen, fanden zunächst reißenden Absatz. Die Jugendmode-Läden warben mit dem Motto "Sonnige Jugend - ideenreich gekleidet", kurz "Sonnidee". Aber, resümiert Rebecca Menzel, "die DDR-Jeans hatten ein Imageproblem": Als "billige Kopie" hätten sie nie den Kultstatus der US-Markenjeans erreicht.

Mal wurden die Ostkleider als modisch indiskutable "Großraumhosen" verspottet, in den 80er-Jahren wollte es mit dem seinerzeit angesagten Stone-washed-Flair nicht klappen. Gelegentliche offizielle Westimporte waren schnell vergriffen.

So wünschte in der Akademie der Wissenschaften, die eines Tages ein Sonderangebot von "original amerikanischen Strauss-Levis" offerierte, ein Aushang "guten Einkauf", natürlich nur mit Dienstausweis. Für harte D-Mark, die man sich halt beschaffen musste, waren Westjeans auch in Intershops zu erstehen.

Warum die Produktion der alten DDR-Jeans-Marken nach der Wiedervereinigung so rasch erlosch, ist letztlich schwer zu sagen. Die betreffenden Unternehmen teilten das Schicksal vieler ehemaliger volkseigener Betriebe, für die sich keine finanzkräftige Investoren mit langfristigen Marktstrategien fanden. Wenn Beschäftigte ihre daniederliegenden Jeans-Firmen zwecks Rettung in Eigenregie kaufen wollten, lehnte die Treuhand ab.

Allerdings war es eben auch so, dass in der Euphorie der Wendezeit viele Ostdeutsche heimische Produkte verschmähten und zu Westmarken umschwenkten. Noch heute kann der Musiker Klaus Renft über diese Haltung schimpfen: Auf diese Weise hätten DDR-Bürger ihrer eigenen Wirtschaft das Wasser abgegraben.

Inzwischen sind echte DDR-Jeans eine Rarität. Für die Dekoration einer Lesung mit solchen Nietenhosen mussten Menzel und der Verlag auf einen Kostümfundus in Berlin-Adlershof zurückgreifen. Die Autorin: "Bei persönlichen Gesprächen während meiner Recherchen hat nie jemand eine DDR-Jeans aus dem Schrank geholt, darauf hatte ich immer gewartet." Vergeblich.

Rebecca Menzel: Jeans in der DDR. Christoph Links Verlag, Berlin September 2004. 200 Seiten, 14,90 Euro.

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