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Martin U. Müller
"Ich schaue lieber nach vorn als
zurück"
Julia Bonk ist als Parteilose in den
sächsischen Landtag eingezogen und hat mehr als nur ein
schönes Gesicht
Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch im
Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie der Partei, fast jeder
Kontakt ist auch politisch. Der Weg in die große Politik ist
lang. Doch sie wollen ihn gehen: Ehrgeizige Talente gibt es in
allen Parteien - trotz aller Nachwuchssorgen. Das Parlament stellt
einige Jungpolitiker vor.
Ein ganz normaler Dienstag in der Klasse 9.1 am Franziskaneum in
Meißen. Bis in der zweiten Stunde plötzlich die Tür
aufgerissen wird, eine vermummte Gestalt hineingestürmt kommt
und mit zwei großen Messern 22 Mal auf die eigene
Geschichtslehrerin einsticht. Nur drei Minuten dauert das
alles.
Julia Bonk ist damals 13 Jahre alt, besucht die achte Klasse des
zweisprachigen Dresdner Romain-Rolland-Gymnasiums und hat gerade
das Amt als Klassensprecherin an Schulfreundin Anita abgegeben.
Schnell stellt sie sich den nächsten Wahlen - zur
Schulsprecherin. "Ich wollte wirklich etwas bewegen", sagt sie
heute. "Die Motivation war der Mord an der Lehrerin in Meißen,
auch wenn das jetzt wie für die Zeitung gesprochen klingt."
Klingt es tatsächlich, aber es wirkt glaubwürdig. Es
folgen Ämter in der Schülervertretung auf Stadt- und
Landesebene. Das "schöne Gesicht des Sozialismus" ("Neues
Deutschland") geht seinen Weg, verwaltet neben Hausaufgaben und
Klassenarbeiten 60.000 Euro Budget für die
Landesschülerarbeit, gibt Broschüren heraus und
organisiert Diskussionen. "Ich forderte damals den Rücktritt
des sächsischen Kultusministers und hatte eigentlich keine
richtige Ahnung vom Thema." Aber alle klatschten.
Von ihrer neu bezogenen Wohnung in der Dresdner Neustadt, heute,
fünf Jahre später, ist es nicht weit zu den Orten, wo sie
anfing Politik zu machen. Sie müss-te bloß die
Louisenstraße entlang gehen, vorbei an der Imbissbude mit den
leckeren Crêpes und an ihrer alten Schule in der
Weintraubenstraße, hinein in das Büro des
Landesschülerrates. Doch der neue Weg geht links ab, am
Polizeirevier in den kleinen Weg hinein und über den
Albertplatz. Dort könnte sie noch einmal drei Kilometer
Richtung Elbe laufen, dann kommt der Eingang zum sächsischen
Landtag und dahinter die große politische Welt.
Seit einigen Wochen hat Julia Bonk dort im vierten Stock ihr
Büro. Sie ist die jüngste Berufspolitikerin Deutschlands.
Mit gerade 18 Jahren ist sie als parteilose Abgeordnete in das
sächsische Landesparlament eingezogen. Jünger als Anna
Lührmann und Carsten Schneider in den Bundestag oder Ilka
Schröder ins Europaparlament kamen. "Mich haben die
Grünen und die PDS gefragt, ob ich für sie auf der Liste
kandidieren möchte", erzählt sie. Nach Tagen und
Nächten, in denen sie grübelt und die Wahlprogramme
wälzt, findet Julia Bonk die größten
Übereinstimmungen mit der Politik der PDS. "Ich kann mich aber
nicht immer rückhaltlos mit allen Inhalten identifizieren",
rechtfertigt sie ihre Entscheidung, nicht in die Partei eingetreten
zu sein. Im Kampf um die Listenplätze weht ihr zum ersten Mal
der politische Wind etwas rauer um die Nase. "Man hat mir
vorgeworfen, dass ich die Mühlen der Lokalpolitik nicht
durchlaufen hätte." Doch es reichte knapp, die
Parteidelegierten nominieren die "rote Julia" ("Bild") für
Platz 21 der Landesliste.
Es folgen die Wochen des Straßenwahlkampfes. Und das
heißt interessiert sein, zuhören, argumentieren,
Grußworte - und bloß nicht gähnen. RTL ist auch da.
"Das Medieninteresse war schon immer recht groß", stellt sie
nüchtern fest und vermutet auch eine Strategie der PDS: "Die
haben mich ganz gern so in der Ecke des hübschen Gesichtes der
Partei." Der Einsatz des demokratisch-sozialistischen
Bodenpersonals zur Verteilung von Aufklebern, Wutbällen,
Hanftütchen und anderem Spielzeug zeitigt Erfolg. Trotz
Stasi-Affäre des Lokalmatadors Peter Porsch steht bereits um
18 Uhr am Wahlabend fest: Julia Bonks Platz im Landtag ist sicher.
Von einem "Emotionscocktail" redet die Dresdnerin und beantwortet
strahlend die Fragen der Journalisten. Gleichzeitig posiert die
Führungsriege der NPD um Holger Apfel in plakativer Siegerpose
für die Fotografen. "Die NPD hat Forderungen, die ebenso
andere Parteien vertreten können. Das Entscheidende an rechter
Ideologie ist, dass sie auf Herabwürdigung und Ausgrenzung
bestimmter Gruppen ausgelegt ist", sagt Julia Bonk. Als bei der
konstituierenden Landtagssitzung mehr als 150 Journalisten auf die
Pressetribüne mit Elbblick gekommen sind, schießen sich
die Objektive der Fotografen schnell auf ein Motiv ein: Die
jüngste deutsche Politikerin aller Zeiten protestiert im
Sitzungssaal auf ihre Art und Weise. "Schöner leben ohne
Nazis" steht auf ihrem T-Shirt geschrieben. "Ich habe bis zur
letzten Minute überlegt, ob ich das wirklich machen kann."
Doch die NPD ist auch hier kurzsichtig, und am nächsten Tag
geht ein Foto um die Welt.
Jetzt türmen sich im Landtagsbüro, wo Julia Anastasia
Bonk Politik macht, Papierstapel, Anträge, Protokolle und
Briefe, darunter viele mit Glückwünschen. Das Telefon
klingelt unaufhörlich. Zeitungen, Fernsehsender, Magazine -
alle wollen nur das Eine von Julia Bonk: Interviews und Bilder.
"Ich habe noch nicht mal Lampen an den Decken meiner Wohnung." Aber
das ist der "Bild" egal, und auch der "Stern" meldet sich bei ihr
zu Hause an. Das Handy vibriert, der "Focus" möchte etwas
über ihre politischen Ansichten wissen. Doch die Zeit
drängt, ein Gespräch für das Mittagsmagazin des MDR
steht an und auch ein Treffen für die Talkshow mit Johannes B.
Kerner.
Schade, nur die Laufmasche ist Thema
"Es ist schon ein sehr komisches Gefühl, wenn die
?Bild'-Zeitung etwas über eine Laufmasche in meiner
Strumpfhose wissen möchte", sagt Julia Bonk, die viel lieber
über Hartz IV und Haushaltspolitik reden würde.
Politische Visionen hat die Jungpolitikerin viele. Wichtig sei ihr
vor allem der starke Austausch zwischen dem Leben außerhalb
und dem parlamentarischen Geschehen innerhalb des Landtages.
"Parlament ist kein Selbstzweck, es vertritt die Interessen der
Menschen in Sachsen, und genau dafür möchte ich mich
einsetzen", sagt Julia Bonk und feilt währenddessen an den
letzten Statements für eine bildungspolitische
Podiumsdiskussion. "Ich halte eine grundlegende Veränderung im
sächsischen Schulsystem für unbedingt notwendig," sagt
sie und eilt in Richtung Hauptbahnhof. Auf der Fahrt zum Treffen
des Arbeitskreises Bildung erklärt sie im Zug, warum sie am
liebsten in Fahrtrichtung sitzt: "Ich schaue lieber nach vorn als
zurück." Und sie spricht von der Zukunft. Nach den fünf
Jahren im Landtag, die vor ihr liegen, möchte sie gerne
Journalistin werden, am liebsten in Frankreich. Julia Bonk spricht
fließend Französisch, studiert Politik und Geschichte.
Oder, sagt sie ohne Furcht, sie schafft es schon 2006 als
Abgeordnete in den Bundestag. Das wiederum halten Korrespondenten
großer Zeitungen auf der Pressetribüne des Landtages
durchaus für möglich. Wieder klingelt das Telefon: Es
geht um eine Reportage des TV-Senders Arte über junge
Politiker. Ein ganz normaler Dienstag im Leben der Julia Bonk.
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