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Susanne Sitzler
Jeder muss sich selbst prüfen
Medienethik, quo vadis?
Kritik an den Massenmedien gibt es seit deren Bestehen. Es wird
pauschalisiert, polemisiert, aber auch zurecht gerückt: Wir
verkommen alle, die Ethik in den Medien geht zum Teufel, das Niveau
weicht der Quote. Aber was ist von den Medien und deren Machern
überhaupt zu erwarten? Ist die Debatte moralisch
überfrachtet? Und muss man Ethik nicht auch in der Ausbildung
vermitteln, bevor man sie einfordern kann? Mit diesen Fragen setzte
sich die zweitägige Fachtagung "Medienethik" in Leipzig
auseinander, die von der Bundeszentrale für politische Bildung
organisiert worden war.
Helmut Thoma, Ex-Chef bei RTL, sagte, erlaubt sei, was Quote
bringt. Nach diesem Grundsatz richteten sich die privaten Medien
von Anfang an, aber auch die öffentlich-rechtlichen immer
häufiger. Sendungen, die nicht genügend Zuschauer
erreichen, werden aus dem Programm gestrichen. Casting- und
Quiz-Shows, Schönheits-OPs, Semi-Promis auf der Alm oder im
Dschungel laufen in der Flimmerkiste, solange es Leute gibt, die
einschalten. Erlaubt ist alles. Doch der ethische Standpunkt fragt
nicht nach der Erlaubnis. Er fragt danach, was gut und richtig ist.
Darin unterscheidet sich die Medienethik vom Medienrecht.
Doch was sind überhaupt ethische Medien-Standards? Im
Printbereich haben sich die Journalisten und Verleger schon 1973
auf einen Pressekodex geeinigt. In ihm schrieben sie fest - in
einer Art freiwilliger Selbstverpflichtung - wie sie ihre
Berichterstattung betreiben wollen. Stichworte wie Achtung vor der
Wahrheit, Menschenwürde, Verzicht auf unangemessen
sensationelle Darstellung und redaktionelle Unabhängigkeit
sind darin festgelegt.
Den Pressekodex kann man aber nicht ohne weiteres auf den
Rundfunk übertragen, stellte Klaus Beck, Professor für
Medienwissenschaft an der Universität Greifswald, klar. Radio
und Fernsehen unterliegen anderen Gesetzen, weil sie anders
arbeiten. Eine Liveberichterstattung beispielsweise kann man nur
schwer kontrollieren - eben, weil live gesendet wird. Zudem ist das
Fernsehen stärker als der Print-Journalismus auf Bilder
angewiesen. Mitunter würden da, so Beck, manipulierte Bilder,
gestellte Bilder, alte Bilder verwendet werden. Der Zeitdruck,
unter dem viele Journalisten arbeiten, tue sein übriges.
Doch Journalisten haben nicht nur Zeitdruck, sondern vor allem
wirtschaftlichen Druck - das betonte Sven Gösmann,
stellvertretender Chefredakteur der "Bild"-Zeitung. Für sein
Blatt gelte das nicht: "Wir können es uns leisten, Anzeigen
auch mal abzulehnen", sagte er. Viel schwieriger sei das bei
kleinen Lokalzeitungen, so Gösmann. Dort könnten
große Anzeigenkunden Druck auf die Redaktion ausüben. Die
"Bild", das Blatt, das in den vergangenen Jahren am häufigsten
wegen Verletzung des Pressekodex gerügt wurde, verteidigte er:
"Sie würden staunen, wie viele Bilder wir nicht
veröffentlicht haben."
Weil der Redaktionsalltag es den Journalisten also schwer macht
- aufgrund des Zeitdrucks, der immer schneller einsetzbaren
Technik, dem Konkurrenzdruck und dem wirtschaftlichen und
redaktionellen Druck, mit immer weniger Leuten noch mehr zu
produzieren - forderte Beck neue Qualitätsstandards für
den Rundfunkbereich. "Es gibt viele rundfunkethische Richtlinien,
doch die sind zu abstrakt", sagte der Wissenschaftler, der sich
aktuell mit diesem Thema beschäftigt. Um die Situation zu
verbessern, müsse man den Journalisten im Alltag helfen: mit
Ansprechpartnern, die im Zweifelsfall beraten und einem
Qualitätsmanagement in der Redaktion.
Am wichtigsten sei es aber, dass die Medienmacher selbst ihre
Arbeit überprüfen. "Ich habe die idealistische Idee von
der Selbstregulierung", sagte Beck. Von starren Reglements
hält er nicht viel - eher schon von informellen
Gesprächen mit Kollegen oder Experten. Ähnlich sieht das
auch Matthias Viertel, Direktor der evangelischen Akademie
Hofgeismar: "Es gibt eine Sehnsucht nach Tabellen, nach abfragbarem
Wissen. Doch damit werden wir im ethischen Bereich nichts
erreichen", so Viertel, der auch journalistisch arbeitet. Nach
seinem Willen sollen die Medienmacher selbst von Fall zu Fall
prüfen, was sie senden oder schreiben wollen, und was
nicht.
Der Journalist ist also in der Pflicht. Und ein gewisses
Berufsethos gibt es natürlich schon lange - beim einen mehr,
beim anderen weniger. Daran solle man sich doch orientieren,
schlägt Ernst Elitz, Intendant des DeutschlandRadios und
Deutschlandfunks vor. Nur Fakten berichten, die Vielfalt der
Meinungen darstellen, keine Unterhaltung unter der Gürtellinie
liefern und keinen "Schlüsselloch-Journalismus" betreiben, das
seien einige der Richtlinien. Außerdem soll man "dem Publikum
in Geschmacklosigkeit nicht noch voraus sein", so sein Appell.
Doch werden diese Standards in der Ausbildung auch vermittelt?
Formell jedenfalls nicht. "Das DeutschlandRadio hat seine Kriterien
nie aufgeschrieben", musste Elitz bekennen. Kollegin Ingrid Kolb,
die seit 1995 die Henri-Nannen-Journalistenschule leitet, setzt auf
die Praxis: "Die ständige Diskussion ist wichtiger als
einzelne Unterrichtseinheiten", sagte sie. Auch an ihrer Schule
wird Medienethik als eigenständiges Fach nicht gelehrt. In
Hamburg lernt der journalistische Nachwuchs aber von Profis, die
ihren Beruf auch als gesellschaftliche Aufgabe sehen. Heribert
Prantl, Innenpolitik-Chef der "Süddeutschen Zeitung",
hält dort Seminare - der im letzten Jahr verstorbene Herbert
Riehl-Heyse tat das auch. "Was das Publikum wollte, interessierte
ihn nicht", sagt Kolb über Riehl-Heyse. Rückgrat habe er
den Schülern vermittelt. Von solchen Vorbildern lerne man
besser, als durch graue Theorie.
Doch was Kolb von ihren Schülern aus der Praxis hört,
schockiert selbst die erfahrene Journalistin. Gegen eine anders
denkende Mehrheit kann sich auch der bestgeschulte Nachwuchs nicht
durchsetzen. Kolb: "Wenn die Medien insgesamt ihre Prinzipien
aufgeben, ist der Einzelne mit seinem Ethos am Ende."
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