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Karl-Heinz Baum
An der Hochschulpolitik schieden sich die
politischen Geister
Das Aus für die
Föderalismuskommission
Eine Woche vor Weihnachten ist das
größte Reformwerk für die Verfassung seit 35 Jahren,
die Neuordnung der Bund-Länder-Beziehungen, gescheitert. Nach
einem Jahr intensiver Beratungen war die Bundesstaatskommission am
17. Dezember wie geplant zu ihrer letzten, erneut vertraulichen
Sitzung zusammen gekommen. Nach einer halben Stunde stellte sie das
Aus fest. Das Scheitern lag an unterschiedlichen Auffassungen
über die Zuständigkeiten in der Bildung.
Nach der Sitzung bedauerten die beiden
Vorsitzenden, SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering
und Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Edmund
Stoiber, das Scheitern. Beide sprachen von einer vertanen Chance.
Sie schoben aber jeweils der anderen Seite die Schuld
zu.
Müntefering erklärte, die Mehrheit
der Länder - gemeint sind damit die CDU/CSU-geführten
Bundesländer - habe darauf bestanden, die alleinige
Zuständigkeit für die Bildung vom Kindergarten bis zur
Hochschule zu erhalten. Die SPD und die Minderheit der Länder
hätten sich fragen müssen, ob sie nachgeben könnten
oder lieber das Scheitern in Kauf nehmen sollten. Zu einem so weit
gehenden Rückzug des Bundes aus der Bildung sei man nicht
bereit. Es sei ihm unverständlich, dass in der Kommission
bereits erreichte Verabredungen auf elf Politikfeldern an diese
eine Frage geknüpft wurden. Er wäre bereit gewesen, sagte
Müntefering, das Thema Bildung bis zum Frühjahr
nachzuverhandeln und erst einmal das bereits Erreichte auf den Weg
zu bringen. Im übrigen sei er trotz des Scheiterns
überzeugt, dass die von der Kommission beratenen Themen in den
nächsten Monaten und Jahren eine große Rolle in der
politischen Auseinandersetzung spielen werden.
Stoiber begann seine Ausführungen mit
dem Hinweis, dass immer "alles mit allem zusammen hängt". Die
Länder seien dem Bund sehr weit entgegen gekommen, seien
bereit gewesen, auf Rechte in der Gesetzgebung zu verzichten; sie
hätten zugestanden, dass einige ihrer Rechte künftig dem
Bund zuständen. Sie seien sogar bereit gewesen, für den
Fall von Sanktionen der Europäischen Kommission wegen
deutscher Verstöße gegen EU-Recht, ein gutes Drittel der
Kosten zu tragen. Sie hätten aber erwartet, dass sie auf ihrem
originären Feld, der Bildung, die alleinige Zuständigkeit
vom Kindergarten bis zur Hochschule erhalten. Nachdem das nicht zu
erreichen gewesen sei, sei man zu dem Schluss gekommen, dass der
gegenwärtige Stand der Bund-Länder-Beziehungen insgesamt
günstiger sei als die Reform ohne die erwarteten Rechte im
Bildungsbereich. Er habe zuweilen den Eindruck, in der
Bundesregierung glaube man, alle Dinge von nationaler Bedeutung
könnten nur in Berlin gelöst werden.
Noch am Donnerstag vergangener Woche schien
der Erwartungsdruck so groß, dass alle Beteiligten nur von
einem positiven Ergebnis für das große Reformwerk
ausgingen. Doch am Freitagmorgen zeichnete sich das mögliche
Scheitern schon ab. Beide Vorsitzende teilten nach der letzten
nächtlichen Verhandlungsrunde unter vier Augen mit, der
für den Nachmittag einberufenen Kommission legten sie keinen
gemeinsamen Vorschlag vor. Es folgte über den Tag ein
politischer Schlagabtausch. Müntefering warf den Ländern
"machtpolitische Herangehensweise" vor. Stoiber beklagte, dass die
SPD nicht bereit sei, den Bildungsbereich zu entflechten. Deshalb
sei alles "jetzt leider an der SPD gescheitert". Die Union war
überzeugt, dass "das Stoppschild aus dem Kanzleramt" komme.
Regierungssprecher Bela Anda sagte am Mittag, der Bund könne
die Zuständigkeit für Teile der Bildungspolitik nicht
aufgeben. Er warf den Ländern den "Standpunkt der
Kleinstaaterei" vor.
Münteferings Vorschlag, wenigstens die
unstrittigen Punkte in Kraft zu setzen, konterte Hessens
Ministerpräsident Roland Koch mit der Forderung an die
Bundesregierung, sich zu bewegen. "An ihr hängt jetzt alles.
Ohne Bildung gibt es keine Einigung." Bildung sei Sache der
Länder. Die FDP-Vertreter kündigten einen Antrag auf
Vertagung bis zum Januar an. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident
Wolfgang Böhmer (CDU) riet zu einer "Atempause". Noch schien
die Lage nicht hoffnungslos; war alles nur ein Pokerspiel? Die
hundertköpfige Kommission - ihr gehören neben den
Politikern aus Bund und Ländern auch zahlreiche
Sachverständige aus Politik und Wissenschaft an - brauchte
nicht einmal dreißig Minuten, um das Scheitern zu
besiegeln.
Im Kern geht es im Streitpunkt Bildung darum,
ob und inwieweit der Bund sich in der Bildung engagieren soll und
darf. Nach der reinen Verfassungslehre ist Bildung
Ländersache. Die reine Lehre war in den vergangenen
Jahrzehnten mit Zustimmung der Länder allmählich
aufgeweicht worden. Der Bund hatte sich finanziell engagiert, und
das war einst den Ländern ganz recht. Das finanzielle
Engagement brachte dem Bund freilich auch eigene
Zuständigkeiten. Allerdings war in jüngster Zeit das
Bundesprogramm "Schulen ans Netz" oder das Programm zur Einrichtung
der Ganztagsschulen, um nur einige Punkte zu nennen, auf Kritik aus
den Ländern gestoßen. Es wurde als Hineinregieren in ihre
eigenen Angelegenheiten empfunden.
Mit dem Scheitern war auch der von Stoiber
und Müntefering zu Beginn der Woche vorgelegte "Vorentwurf"
über hinfällig. Danach hatte eine Sitzung die andere
gejagt - am Dienstag unterrichteten beide die Bundestagsfraktionen;
am Mittwoch trafen sie die 16 Länderchefs, die am Abend zur
Ministerpräsidentenkonferenz zusammentraten; am Donnerstag
berieten die Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler. Alles
schien auf besten Weg: In der Nacht wollten Stoiber und
Müntefering ein überarbeitetes Papier vorlegen, das die
Kommission am Abend des 17. Dezember annehmen sollte. Doch das
Papier blieb aus. Auch ein letzter Rettungsversuch in
Münteferings Arbeitszimmer am Nachmittag
scheiterte.
Der "Vorentwurf" enthielt nicht wenige
grundlegende Änderungen des Verfassungsaufbaus in Deutschland,
auch wenn manch Problemfeld der Bund-Länder-Beziehungen
strittig blieb und ausgeklammert war.
Wichtigster Punkt: Nur noch ein gutes Drittel
der vom Bundestag beschlossenen Gesetze sollte die Zustimmung der
Länderkammer benötigen. Bisher gilt das - und nun auch
künftig - für rund drei Fünftel der Gesetzesvorlagen
aus dem Bundestag. Der Bundestag hätte also künftig bei
den meisten Gesetzen einen Einspruch der Länderkammer mit
absoluter Mehrheit, der sogenannten Kanzlermehrheit,
zurückweisen können. Der Bundesrat hätte nicht
einmal ein Drittel der Gesetzesvorlagen an seinem Nein scheitern
lassen können. Wenn in den Ländern mehrheitlich andere
politische Farben als im Bund regieren, war bisher zu allen Zeiten
die Verlockung groß, Stärke zu demonstrieren und
Bundesgesetze scheitern zu lassen. "Blockade" nennen das dann die
Regierenden im Bund, "unser gutes Recht" die Regierenden in den
Ländern und die Opposition im Bundestag. Das wird nun so
bleiben.
Ziel der Arbeit der Kommission war es, die im
Laufe der Jahre immer unklarer gewordenen Verantwortlichkeiten
für Politikentscheidungen wieder sichtbar zu machen. Da der
Bundesrat zwei von drei Gesetzen scheitern lassen kann, bekommt
manches Gesetz erst im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und
Bundesrat sein eigentliches Gesicht. Was wirklich in diesem
Ausschuss beraten wird, ist in der Regel bis zur
übernächsten Wahlperiode des Bundestags vertraulich.
Ebenso verwischen die Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund und
Ländern mit ihrer "Mischfinanzierung" die eigentliche
Verantwortlichkeit. Beide Politikinstrumente -
Vermittlungsausschuss und Gemeinschaftsaufgaben - hatten dazu
geführt, dass der Bürger kaum noch weiß, wer
eigentlich für was verantwortlich ist. Das sollte anders
werden. Auch dieses Manko wird nun, jedenfalls für eine
längere Zeit, bleiben.
So waren sich Müntefering und Stoiber
einig, wenigstens eine Gemeinschaftsaufgabe aus der gemeinsamen
Zuständigkeit von Bund und Ländern (aus der sogenannten
Mischfinanzierung) zu entlassen und allein den Ländern zu
übertragen: den Hochschulbau. Aber Küstenschutz,
Agrarstruktur, Forschungsförderung und Bildungsplanung sollten
als Gemeinschaftsaufgaben erhalten bleiben. Der entscheidende Punkt
war auch hier offenkundig die Bildungsplanung. Die
Ministerpräsidenten billigten beim Hochschulwesen dem Bund nur
noch zu, für die Hochschulzulassung und für
Hochschulabschlüsse zuständig sein. Für die
Überleitung des Hochschulbaus an die Länder hatte man
sogar schon ein Finanzierungskonzept gefunden. Die
Übergangsfrist sollte bis Ende 2019 dauern. Da diese
Milliarden nach einem komplizierten Schlüssel den Ländern
übertragen werden sollten, fürchteten Mitte der Woche die
östlichen Bundesländer, diese Milliarden könnten
womöglich irgendwie mit den vom Bund im Korb 2 des
Solidarpakts zugesagten 51 Milliarden Euro verrechnet werden und
forderten einen Hinweis darauf im entsprechenden neuen
Grundgesetzartikel (143 c) wie: "Die Mittel des Solidarpakts
bleiben unangetastet."
Müntefering und Stoiber hatten im
Vorentwurf wichtige Teile der Bund-Länder-Beziehungen
ausgeklammert: "Die Vorsitzenden haben die Kompetenzfelder
Hochschulrecht und Bildungsplanung, Umweltrahmenrecht, Innere
Sicherheit, Bundeskriminalpolizeiamt - Kompetenz für
Terrorismusbekämpfung, Kompetenz für
Katastrophenschutz/Zivilschutz, Mitwirkung der Länder in
Europafragen (Art. 34 Abs. 6 GG), EU-Haftung erörtert. Eine
Einigung über eine Veränderung des Status quo wurde in
diesen Punkten nicht erzielt." Nun ist alles
gescheitert.
Beim Bundeskriminalamt hatte es dann doch
eine Annäherung gegeben: Die Ministerpräsidenten gaben
nach: Das Amt sollte als Bundespolizei für die
Terrorismusbekämpfung zuständig sein. Nun sind es
weiterhin die Länder. Das Amt darf wie bisher nur beim
Verdacht auf länderübergreifende Kriminalitäüt
aktiv werden.
Nach dem Scheitern muss nun auch Berlin auf
die zugesagte Hauptstadtklausel im Grundgesetz warten. Der Bund
sollte in Berlin Verpflichtungen übernehmen. Ob freilich auch
die Aufgaben einzeln aufgezählt werden sollten, blieb bis zum
Ende strittig. Der Bund fürchtete neue finanzielle
Belastungen.
Die Länder sollten zusätzliche
Rechte erhalten: Versammlungsrecht, Strafvollzug,
Ladenschlussrecht, Flurbereinigung und die allgemeinen
Rechtsverhältnisse der Presse sollten in ihre
Zuständigkeit fallen. Auch für die Rechte der
Landesbediensteter sollten sie zuständig sein. Es war ihnen
zugebilligt, das Recht des öffentlichen Dienstes zu regeln
"und fortzuentwick-eln", eine Klausel, die besonders den
Beamtenbund auf den Plan rief und ihn mit Streik drohen
ließ.
Der Bund sollte dafür künftig
allein für das Waffen- und Sprengstoffrecht zuständig
sein, für die Versorgung Kriegsbeschädigter und
Kriegshinterbliebener und ehemaliger Kriegsgefangener, für
Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken und
deren Anlagen und für den Schutz deutschen Kulturguts gegen
Abwanderung ins Ausland.
Das ist nun alles Makulatur - jedenfalls
vorerst. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Peer
Steinbrück (SPD) rief zu neuen Verhandlungen im Frühjahr
auf. Sachsen-Anhalts Regierungschef Böhmer erwartet einen
neuen Anlauf erst nach der Bundestagswahl 2006. Auch aus der
Wirtschaft, der Wissenschaft und den Verbänden gab es Aufrufe
zu neuem Anlauf.
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