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Hartmut Hausmann
EU will mit der Türkei ab 2005 über
einen Beitritt verhandeln
Europäischer Gipfel in
Brüssel
Die Staats- und Regierungschefs der
Europäischen Union haben auf ihrem Gipfeltreffen am 16. und
17. Dezember in Brüssel der Türkei Beitrittsverhandlungen
angeboten, die am 3. Oktober 2005 beginnen können. Es gebe
aber keine Garantie, dass die auf eine Dauer von knapp zehn Jahren
angesetzten Verhandlungen auch automatisch zur Aufnahme der
Türkei führten, erklärte der EU-Ratsvorsitzende Jan
Peter Balkenende nach Abschluss der ersten Gesprächsrunde am
späten Abend des 16. Dezember.
EU-Kommissionspräsident Jose Manuel
Barroso fügte hinzu: "Die EU hat der Türkei die Tür
weit geöffnet." Über die ergänzenden, so genannten
Schutzklauseln fanden die Beratungen aber erst am 17. Dezember
statt und waren bei Redaktionsschluss noch nicht
beendet.
Als einzige Bedingung wurde von der
Gipfelrunde verlangt, dass die Regierung in Ankara bis zum Beginn
der Gespräche das Zusatzprotokoll zur bereits bestehenden
Zollunion zwischen der EU und der Türkei unterzeichnen
müsse. Die Bereitschaft dazu solle gleich in Brüssel vom
türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan
paraphiert werden. Eine solche einseitige Vorleistung lehnte
Erdogan nach seinem Gespräch mit Balkenende noch in der Nacht
als unzumutbar ab, weil durch das Zusatzprotokoll, das sich auf die
erweiterte Union und damit auch auf Zypern bezieht, eine
Anerkennung der nur von den griechischen Zyprioten
repräsentierten Insel Zypern impliziert werde.
Hintergrund dieses zunächst noch
ungeklärten Problems ist die Androhung des
Ministerpräsidenten von Zypern, Tassos Papadopoulos, die
Türkei-Verhandlungen durch sein Veto solange zu blockieren,
bis sein Land durch die Regierung in Ankara anerkannt worden sei.
Es sei doch undenkbar, dass ein Staat Mitglied in der
Europäischen Union werden wolle, das selbst nicht einmal alle
25 Staaten anerkenne. Dieses Faustpfand der Anerkennung mochte
Erdogan nicht vorschnell aus der Hand geben. Erst müsse
sichergestellt sein, dass die Wiedervereinigung der
türkischsprachigen und der griechischsprachigen Landesteile
Zyperns wieder in Gang komme.
Der mit Hilfe der Vereinten Nationen
ausgehandelte Friedensplan, auf dessen Grundlage ganz Zypern der EU
beitreten sollte, war im Frühjahr vom griechischen
Südteil der Insel abgelehnt worden, der aber trotzdem in die
EU aufgenommen wurde, während der türkisch besetzte
Norden trotz Zustimmung weiter warten muss. Als Kompromiss
könnte Jan Peter Balkenende, wie aus niederländischen
Delegationskreisen am Morgen des 17. Dezembers verlautete, den
Regierungschefs vorschlagen, eine Anerkennung Zyperns durch die
Türkei noch vor Aufnahme der Beitrittsgespräche zu
fordern, gleichzeitig aber auch einen neuen Anlauf für die
Wiedervereinigung der Insel zu initiieren.
Dennoch kann Erdogan mit dem bisher
Erreichten zufrieden sei. Nicht nur, dass er den übrigen
Regierungschefs Europas die Auszeichnung "Europäer des Jahres"
voraus hat, mit der ihn ein englischsprachiges Europa-Journal wegen
der von ihm durchgesetzten Reformen geehrt hatte, es gelang ihm
zudem in seinen Gesprächen der letzten Tage, die wichtigsten
Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die den erhofften
Gipfelbeschluss noch hätten block-ieren
können.
Dass die Eröffnung der
Beitrittsverhandlungen erst im zweiten Halbjahr 2005 liegen wird,
war von Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac
durchgesetzt worden, um nicht das Referendum über die
Europäische Verfassung mit der Türkei-Frage zu belasten.
Das kann Erdogan nur Recht sein, denn eine der
unumstößlichen Vorbedingungen für die Aufnahme
seines Landes ist das vorherige Inkrafttreten der
EU-Verfassung.
Zufriedenheit herrscht in der türkischen
Delegation auch darüber, dass es voraussichtlich keine
unzumutbaren Vorabbedingungen gibt, wie ursprünglich aus
einigen Hauptstädten verlautete; auch keine dauerhafte, weil
diskriminierende Einschränkung der Freizügigkeit für
Türken.
Ernsthaftere Irritationen drohten dagegen
noch von dem Treffen der konservativen Staats- und Regierungschefs
am Vortag des Gipfels auszugehen. Auf Wunsch von Österreichs
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sollte in die
Gipfelerklärung eine Formulierung aufgenommen werden, nach der
als Ziel der Verhandlungen nicht nur die Vollmitgliedschaft der
Türkei festgehalten werden sollte, sondern auch die
Möglichkeit einer besonderen Partnerschaft dieses Landes mit
der EU, die eine Aufnahme in beiderseitigem Interesse
überflüssig machen würde.
Doch nachdem diese Idee bereits am Tag zuvor
mit einer fast Zweidrittelmehrheit abgeschmettert worden war, blieb
die Unterstützung für Schüssel eher zaghaft. Im
Gegenteil, sowohl Balkenende als auch der Präsident der
EU-Kommission, Jose Manuel Barroso, forderten einen eindeutigen
Gipfelbeschluss und warnten vor neuen Vorbedingungen.
Schwerer wird es jedoch für Erdogan,
seinen Landsleuten begreiflich zu machen, dass die
Beitrittsverhandlungen frühestens 2013 beendet werden
können, selbst wenn das Land Dank seiner Reformfreudigkeit
wesentlich schneller als erwartet alle Voraussetzungen für die
Integration in die EU erfüllen sollte.
Sowohl die Kommission als auch die
Europaabgeordneten vertreten die Auffassung, dass erst, wenn eine
Einigung über die nächste ab 2014 beginnende
Finanzperiode erreicht worden sei und feststehe, über welche
Mittel die EU anschließend verfüge, seriös über
die der Türkei dann zufließenden Mittel für die
Landwirtschaft und für Strukturhilfen gesprochen werden
könne.
Diese langfristige Perspektive ist es, die
die Gegner der Türkei trotz ihrer abzusehenden Niederlage beim
Gipfel weiter hoffen lässt. Die Türkei werde weiter
schnell wachsen und sich unter dem Druck des Einflusses seiner
islamischen Nachbarn so verändern, dass sie selbst gar nicht
mehr nach Europa wolle. Die Befürworter hoffen hingegen, dass
sich das Land am Bosporus mit seinen Reformen so an die
Europäische Union anpassen werde, dass der Vollzug der
Mitgliedschaft in etwa 15 Jahren schließlich überall als
völlig selbstverständlich begrüßt
werde.
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