|
|
Jutta Witte
An der Uni Münster werden Islam-Lehrer
ausgebildet
Nordrhein-Westfalen übernimmt
Vorreiterrolle
Im Vorlesungsverzeichnis der Westfälischen
Wilhelms-Universität Münster finden Studenten
Lehrangebote wie "Einführung in die islamische Theologie" und
"Die Hauptgebiete der islamischen Theologie", aber auch
"Koranexegese". Dozent ist Professor Dr. Muhammad Sven Kalisch, der
vom nordhrein-westfälischen Ministerium für Wissenschaft
und Forschung auf den bundesweit ersten "Lehrstuhl für
Religion des Islam" berufen wurde. Der neue Lehrstuhl ist
eingebettet in das "Centrum für Religiöse Studien (CRS),
das die interreligiöse Forschung im Bereich des Islams, der
Orthodoxie und des Judentums vertiefen soll. Der 38-Jährige
kommt aus Hamburg und gilt als "herausragender
Islamwissenschaftler". Vornehmliche Aufgabe von Professor Kalisch
soll es sein, Lehramtswärter für den islamischen
Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ausbilden. Damit
bietet Münster bundesweit als erste deutsche Hochschule ein
wissenschaftliches Hochschulstudium im Bereich Lehrerausbildung
Islamunterricht.
Der 1966 in Hamburg geborene Wissenschaftler,
der bereits mit 15 Jahren vom Protestantismus zum Islam wechselte,
ist nach Auffassung von NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft
nicht zuletzt auf Grund seiner Promotion an der TH Darmstadt und
seiner Habilitation im Fach Islamwissenschaft an der
Universität Hamburg besonders für die neue Aufgabe
geeignet. Vor seinem Wechsel an die Universität Münster
war Kalisch als Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg am
Fachbereich Orientalistik tätig.
NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft
verspricht sich von dem neuen Lehrstuhl neben der bundesweiten
Ausstrahlung auch erhebliche Wirkung auf das Studienangebot des
Landes NRW insgesamt und die Profilbildung der Universität
Münster im Besonderen. Ihre Kollegin im Schulministerium Ute
Schäfer weist darauf hin, dass der neue Lehrstuhl "ein
wichtiger Schritt ist, hin zur Integration und Gleichberechtigung
der Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens.
"Islamunterricht unter staatlicher Aufsicht bietet die Gewähr
dafür, dass jungen Menschen keine Inhalte vermittelt werden,
die nicht mit der Werteordnung des Grundgesetzes vereinbar
sind."
"Das Interesse der Studenten ist groß",
stellt Professor Kalisch in einer ersten vorsichtigen Bilanz fest.
Vor allem bekommt er viele Nachfragen von in Deutschland lebenden
türkischen Studenten und aus der Türkei direkt. Obwohl
der Ergänzungsstudiengang für Islamunterricht erst mit
dem Sommersemester 2005 offiziell aufgenommen wird, hat Professor
Kalisch schon jetzt mit Vorlesungen und Seminaren begonnen. Nach
seinen Schätzungen sind es knapp 30 Studenten, die das
Zusatzstudium machen wollen. Exakte Daten gibt es nicht. "Bestimmt
sind unter meinen jetzigen, ersten Hörern auch einige, die
ernsthaft den Ausbildungsgang absolvieren wollen", ist sich der
Islamexperte sicher. Allerdings fehlt den meisten Anwärtern
noch die Voraussetzung für das Ergänzungsstudium. Erst,
wenn zum Sommersemester 2005 die Studienordnung fertig gestellt
ist, wird man exakte Aussagen machen können. "Derzeit wird die
Studienordnung zwischen Schulministerium, einem eigens
gegründeten Beirat, in dem Vertreter der verschiedenen
muslimischen Verbände vertreten sind, und der Hochschule
abgestimmt. Sobald diese Abstimmung fertig ist, wird sie uns
vorgelegt und verabschiedet", erklärt ein Sprecher des
Wissenschaftsministeriums. Ausdrücklich wird im
Vorlesungsverzeichnis für das laufende Wintersemester 2004/05
darauf hingewiesen, dass für augenblicklich besuchte
Veranstaltungen erst im kommenden Semester die Scheine
nachgeliefert werden können.
Überhaupt ist der tatsächliche
"run" auf den neuen Studiengang geringer als erwartet. Das
erklärt sich rasch aus den Bedingungen, die ein Student
erfüllen muss, wenn er den Erweiterungsstudiengang absolvieren
möchte. Voraussetzung ist nämlich ein abgeschlossenes
Hochschulstudium als Lehrerin/Lehrer oder ein derzeitiges
Lehramtsstudium mit zwei regulären Hauptfächern.
Wesentliche Bedingung ist außerdem die muslimische
Glaubenszugehörigkeit. "Da muss man also schon eine ganze
Menge Idealismus aufbringen", bestätigt Professor Kalisch.
Inhaltlich will der erste Professor für "Religion des Islam"
die Lehrerausbildung so gestalten, dass der Islam in seiner
gesamten historischen Breite vermittelt wird. Da die Mehrheit der
muslimischen Schulkinder einen türkischen Hintergrund habe,
"wird ein gewisser Schwerpunkt bei den herrschenden Richtungen aus
der Türkei liegen", meint Kalisch.
Beitrag zur Integration
"Ich wünsche mir, dass die Studenten,
die diesen Ergänzungsstudiengang zum islamischen
Religionslehrer beendet haben, anschließend einen
Überblick über die gesamte Vielfalt des Islam haben." In
jedem Fall soll der Studiengang nicht abgeschottet von anderen
Religionen und Fächern stattfinden. "Wir wollen den
Studiengang auch eingebettet sehen in interreligiösen Dialog
und die interdisziplinäre Forschung", betont der Professor. In
jedem Fall hat sich Kalisch vorgenommen, mit der Ausbildung von
Islamlehrern einen wichtigen Beitrag zur Integration seiner
Glaubensgefährten zu leisten. Dabei ist er überzeugt,
dass er den Rückhalt unter den Muslimen in Deutschland
genieße: "Ich gelte in der islamischen Gemeinschaft als
jemand, der frischen Wind bringt, aber anderen nicht seine Meinung
aufdrängt."
Im NRW-Wissenschaftsministerium wird derzeit
noch davon ausgegangen, dass das Studium in sechs Semestern zu
bewältigen ist. Studenten vor Ort halten das für
unmöglich. Allein das notwendige Arabisch lernen würde
vier Semester in Anspruch nehmen, sind sie überzeugt. Damit
werden frühestens 2008 die ersten Absolventen des Studiengangs
die Universität verlassen. Ungeklärt ist bisher auch
noch, wie der Unterricht an den Schulen organisiert wird. Ob die
neuen Lehrer dann regulären Religionsunterricht oder lediglich
einen "islamkundlichen Unterricht" erteilen werden, hängt
davon ab, ob bis dahin in NRW Bekenntnis gebundener islamischer
Unterricht als Schulfach eingeführt werden kann. Dazu
müssen sich wiederum die verschiedenen islamischen
Verbände in einem Dachverband zusammenschließen, mit dem
das Land Nordrhein-Westfalen einen Vertrag schließen
kann.
Wie wichtig die Ausbildung der islamischen
Religionslehrer ist, macht Professor Kalisch allein schon an der
Zahl der in Deutschland lebenden 3,2 Millionen Muslime deutlich.
Man schätzt, dass etwa 800.000 muslimische Schüler
derzeit auf deutsche Schulen gehen. Sie alle hätten nach der
im Grundgesetz verankerten Religionsfreiheit einen Anspruch auf
Religionsunterricht. Um für all diese Schüler
ausreichendes Lehrpersonal zur Verfügung zu stellen, wird noch
einige Zeit vergehen. Mit einem Lehrstuhl werde man da auf Dauer
auch nicht hat auskommen, ist der Islamexperte
überzeugt.
In Nordrhein-Westfalen wird seit den
80er-Jahren an den Schulen "Islamische Unterweisung" im Rahmen des
muttersprachlichen Unterrichts in Türkisch, Arabisch und
Bosnisch erteilt. In einem Modellprojekt wird seit 1999
Islamunterricht in deutscher Sprache als eigenständiges
Unterrichtsfach an rund 110 Schulen aller Schulformen angeboten, an
dem sich rund 6.000 Kinder von insgesamt 282.000 in NRW beteiligen.
Mit dem neuen Ergänzungsstudium an der Uni Münster
für Islamunterricht bietet sich eine neue bessere Chance
für islamische Schüler. Nach Auffassung von Professor
Kalisch könnte die flächendeckende Einführung des
Bekenntnis gebundenen islamischen Religionsunterrichtes auch
möglichen Extremisten in Deutschland den Boden entziehen.
Kalisch: "Ich denke, dass Extremisten es schwerer haben werden,
wenn die Schüler ein differenziertes Bild vom Islam erhalten.
Der Religionsunterricht kann dazu beitragen, dass die
Anfälligkeit für Extremismus nachlässt."
Zurück zur Übersicht
|