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Karl-Otto Sattler
Schrumpfkur an der Saar
Bevölkerungszahl wird drastisch sinken -
Folgen schon spürbar
Einen "massiven Bevölkerungsrückgang"
in der Landeshauptstadt ortet Heinz Pötz, Leiter des
SaarbrückerAmts für Statistik. Allerorten an der Saar
rüsten Elterngruppen und Gemeinderäte zum Feldzug gegen
Kultusminister Jürgen Schreier, weil der CDU-Politiker rund
120 und damit ein Drittel aller Grundschulen im Land schließen
will - was die Regierung mit der Ebbe im Etat, aber auch mit
sinkenden Schülerzahlen rechtfertigt. Alarmiert zeigt sich
Rüdiger Zakrzewski: "Die Leute ziehen weg, weil attraktive
Jobs fehlen." Der Vorstandsvorsitzende der saarländischen
Arbeitskammer, ein öffentlich-rechtliches Pendant der
Industrie- und Handelskammer, stellt eine pessimistische Prognose:
Die Saar gehöre "zu den großen Verlierern". Zakrzewski:
"Nur die neuen Bundesländer haben einen noch stärkeren
Bevölkerungsrückgang zu erwarten."
Ist von einer negativen demografischen
Entwick-lung die Rede, so richten sich angesichts abnehmender
Einwohnerzahlen die Blicke auf das Territorium der Ex-DDR, auch
noch auf einige Städte im Ruhrgebiet. Der Süden und der
Südwesten der Republik hingegen gelten weithin als
Wachstumsregionen, mancherorts sogar als Magnet für Zuwanderer
aus dem In- und Ausland. Im Schatten dieser Debatten wurde bislang
kaum wahrgenommen, dass das Saarland zu den vom
Bevölkerungsminus am heftigsten betroffenen Gegenden
zählt. Die Daten sprechen Klartext: Nach den Prognosen der
Statistiker werden statt momentan 1,06 Millionen im Jahr 2050 nur
noch 800.000 Menschen an der Saar leben - ein Schwund von sage und
schreibe einem Fünftel. Nach den Vorhersagen der Arbeitskammer
wird es bereits bis 2020 einen Rückgang um fast neun Prozent
geben - womit der Winkel im Südwesten "mit Abstand das
Schlusslicht unter den westlichen Bundesländern" bildet, so
Zakrzewski.
Auch im Saarland wurden die Analysen der
Statistiker lange Zeit nicht wirklich ernstgenommen. Der Streit um
die Schließung von Grundschulen und die neuesten Daten haben
das Thema indes auf die politische Tagesordnung gesetzt.
Umweltminister Stefan Mörsdorf meint, angesichts der Tendenzen
in jüngerer Zeit werde sich das Bevölkerungsminus sogar
noch weiter beschleunigen. Zwar ist zwischen dem parteilosen
Minister und Heinz Pötz vom Statistikamt der Hauptstadt ein
Streit über die Interpretation der Zahlen im Detail
ausgebrochen - ob man tatsächlich von einer aktuellen
Verschärfung der Lage sprechen könne, wie
Ausländerkinder mit deutschem Pass oder wie der Zeitpunkt des
Wegzugs von Migranten einzuordnen sind, wie ausländische
Studenten zu berücksichtigen sind. Doch eines ist
offensichtlich: Der Trend weist ungebrochen nach unten.
Der entscheidende Faktor ist die
Geburtenziffer. 1950 erblickten an der Saar mehr als 18.000 Babys
das Licht der Welt, 1963 waren es gar 21.500. Starben 1950 noch
9.000 Menschen, so waren es 2003 bereits knapp 13.000 - denen nur
7.600 Geburten gegenüberstanden. Anfang der 70er-Jahre wurden
erstmals mehr Sterbefälle als Geburten verzeichnet, und seit
1990 wird diese Lücke stetig größer. 2004
dürfte man einen neuen Tiefstand erreichen: Im ersten Halbjahr
bereicherten nur noch 3.600 Babys das Land und die Statistik. Zu
Beginn der 90er-Jahre wurde die Abnahme der Saar-Bevölkerung
vorübergehend abgebremst, als nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs verstärkt Osteuropäer zuwanderten, etwa
Spätaussiedler oder jüdische Emigranten aus
Russland.
Drastisch bietet sich die Situation in
Saarbrücken dar: In der Hauptstadt verringerte sich die
Einwohnerzahl von 214.000 im Jahr 1970 auf jetzt noch 182.000 -
also fast 30.000 weniger. Jedes Jahr ein Minus von tausend
Bürgern: Das ist happig. Die zentrale Ursache für die
Problematik ist auch in Saarbrücken das massive
Geburtendefizit, so Amtsleiter Pötz. Unter den 182.000
Einwohnern finden sich 24.000 Ausländer, während es 1989
lediglich 15.000 waren. Ohne Zuwanderer sähe es noch
düsterer aus. Doch auch der Zustrom der Migranten hat
nachgelassen, Minister Mörsdorf konstatiert für das ganze
Land inzwischen sogar Abwanderungstendenzen bei
Ausländern.
Die Folgen des demographischen Umbruchs
liegen auf der Hand. Überall sinkt der Bedarf an
Kindergärten, Schulen und damit auch Lehrern. Der
Immobilienmarkt in Saarbrücken, so Pötz, "ist recht
gedämpft".
Mörsdorf macht sich gegenüber den
saarländischen Gemeinden dafür stark, Kindergärten,
Schulen, Bäder, Bibliotheken oder Sportplätze
künftig nicht mehr an jedem Ort zu unterhalten, sondern die
eine Einrichtung hier und die andere da kostensparend gemeinsam zu
nutzen. In Saarbrücken wollen alle Fraktionen im
Kommunalparlament die Stadt familienfreundlicher gestalten - durch
die Ausweisung von Bauland für Familien, durch mehr Kinder-
und Schülerbetreuung.
Aber lässt sich so die Geburtenziffer
steigern? Vielleicht sind Männer und Frauen zwischen 25 und 40
ja gar nicht sonderlich zeugungs- und gebärfaul, vielleicht
leben einfach zu wenige dieser Leute an der Saar. Wenn Rüdiger
Zakrzewski fehlende Jobs als Abwanderungsmotiv nennt, so lenkt er
den Blick auf den Zusammenhang mit der wirtschaftlichen
Entwicklung. Der Vorsitzende der Arbeitskammer: "Das Saarland
verliert seit Jahrzehnten insbesondere in der mittleren, zumeist
hoch qualifizierten Altersgruppe." In der Tat büßt die
Region kontinuierlich sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse ein, momentan gibt es noch
etwa 345.000 reguläre Jobs (wobei viele Arbeitskräfte aus
der Pfalz und aus Lothringen einpendeln): Von Herbst 1999 bis
Herbst 2004 verringerte sich deren Zahl um 14.000 - und dies trotz
positiver Wachstumsraten. Allein für 2004 ist mit einem Minus
von rund 4.000 zu rechnen. Und wer will sich ohne verlässliche
Einkommensperspektive für Kinder entscheiden? Da sucht man
lieber in der Ferne sein Glück.
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