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Sandra Schmid
"Abgeordnete sind auch nur Menschen"
Nachwuchsredakteure erleben Politik und Medien
hautnah im Deutschen Bundestag
40 Schülerzeitungsredakteure schauten eine
Woche lang beim Workshop "Medien und Politik - (un)geliebte
Beziehungen?" in Bundestag und Hauptstadtredaktionen hinter die
Kulissen, trafen Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zum
Mittagessen, begleiteten Hauptstadtkorrespondenten in die
Bundespressekonferenz und kamen dabei zu erstaunlichen Einsichten:
Politiker sind keine Übermenschen und Journalisten gar nicht
so eitel wie gedacht.
Hauptstadtjournalisten und Abgeordneten
endlich einmal jede Frage stellen können und auch noch eine
Antwort bekommen, dazu hatten junge Nachwuchsjournalisten eine
Woche lang Gelegenheit: Auf Einladung des Deutschen Bundestags, der
Bundeszentrale für politische Bildung und der Jugendpresse
Deutschland reisten 40 Schülerzeitungsredakteure vom 29.
November bis zum 3. Dezember nach Berlin, um herauszufinden, wie
Politik und Medien funktionieren. Wie arbeitet der Bundestag? Warum
ist das Plenum so leer, und warum darf man dort nicht
fotografieren? Wie bekommen Journalisten ihre Informationen, und
was bedeutet es, wenn ein Politiker zu einem Journalisten etwas
"unter drei" sagt?
Focus-, Bild-; ARD-, oder dpa-Redakteure
nahmen die 14 bis 22-Jährigen einen Tag lang mit auf Termine,
in ihre Redaktionen und Studios und ließen sie dort ein wenig
Journalistenalltag schnuppern. Von diesen Begegnungen waren dann
nicht nur die jungen Redakteure begeistert, auch einer der "alten
Hasen" zeigte sich beeindruckt: "Angeblich gehört ihr zur
Null-Bock-Generation, aber selten habe ich so engagierte junge
Menschen gesehen, die so zielstrebig an ihrer Zukunft basteln",
sagte Gerd Reuter, dpa-Journalist, bei einem gemeinsamen Abendessen
im Bundestagsrestaurant. "Bleibt so, wie ihr seid!"
Neugierig, aufgeweckt, kritisch - so blieben
sie zumindest während der folgenden Tage in Berlin. Für
die jungen Journalisten öffneten sich Türen, die sonst
für normale Besucher geschlossen bleiben: ein Essen in der
parlamentarischen Gesellschaft, ein Besuch im Bundeskanzleramt und
in der Bundespressekonferenz. Durften hier die
Nachwuchsjournalisten ausnahmsweise mal nichts fragen, so konnten
sie dafür anschließend Regierungssprecher Bela Anda
löchern. Der musste sich dann nicht nur fragen lassen, warum
er die Seite des Schreibtischs vom Journalisten zum Pressesprecher
gewechselt habe, wann er eigentlich aufstehe und ob man - mal ganz
ehrlich - nicht auch ein wenig eitel sein müsse, um so einen
Job machen zu wollen.
Der Kanzler war zwar nicht zu Hause, als die
Jugendlichen bei der Führung durch das Kanzleramt einen Blick
in sein Arbeitszimmer warfen, Bundestagspräsident Wolfgang
Thierse jedoch nahm sich Zeit für ein gemeinsames Mittagessen
und tat damit einiges, um Vorurteile über Politiker zu
widerlegen. Es sei "wichtig, hinter die Kulissen zu schauen",
meinte der zweite Mann im Staat dann auch, denn: "Vorurteile
stellen sich von allein ein, für Sachkenntnis muss man
arbeiten." Die Sache "mit dem hinter die Kulissen schauen" nahmen
die Nachwuchsjournalisten ganz wörtlich: Paul-Löbe-Haus,
Reichstagsgebäude, Jakob-Kaiser-Haus - in Fahrstühlen,
Fluren und unterirdischen Gängen trafen sie immer wieder auf
bekannte Gesichter: Im Plenum gab Umweltminister Jürgen
Trittin die Regierungserklärung zum Inkrafttreten des
Kyoto-Protokolls ab, Friedrich Merz, ehemaliger
Unions-Fraktionsvize und Finanzexperte seiner Partei, wurde auf dem
Weg zu einem Meeting gesichtet, genauso wie
FDP-Fraktionsführer Wolfgang Gerhardt beim Warten auf den
Aufzug. Besondere Begeisterung löste aber eine unerwartete
Begegnung mit Gerhard Schröder aus: "Ich war zu spät
für das Abendessen im Bundestagsrestaurant im ersten Stock und
wartete bei der Kontrolle am Eingang," erzählte eine
Teilnehmerin, "als ich plötzlich zur Seite treten musste." Der
Kanzler kam und wollte eben auch zu Abend essen - zwei Stockwerke
darüber, auf der Dachterrasse.
Ein Highlight für die meisten der jungen
Journalisten war jedoch das Treffen mit jungen Abgeordneten. Swen
Schulz (SPD), Julia Klöckner (CDU), Andreas Bonde (Grüne)
und Michael Kauch (FDP) zählen zu den Jüngsten in ihren
Parteien und kamen, um einen Abend lang den Jüngsten im
Journalismus über ihr Leben in der Politik zu berichten. Und
auch sie mussten sich einiges fragen lassen: Wie machtgeil man sein
müsse, um auf so viel Lebenszeit zu verzichten? Ob negative
Schlagzeilen verletzen, und wie man es schaffe, die Bodenhaftung
nicht zu verlieren? Die vier Abgeordneten antworteten offen und
manchmal sehr persönlich: Dass es schwer sei, wirklich mal
abzuschalten, dass man sich auch mal unzulänglich fühle.
Das machte Eindruck: "Früher dachte ich bei Politikern
besonders an Reichtum und an Privilegien", sagte die
18-jährige Annika Böddeling aus Hamburg zum Abschluss des
Workshops, "heute sehe ich das anders. Ich bemerke die
Bemühungen der Politiker, wirklich etwas zu
bewegen."
Doch auch Kontroversen hatte der Workshop zu
bieten: Thomas Leif, SWR-Chefreporter und Vorsitzender des Vereins
Netzwerk Recherche traf in einem Streitgespräch auf Michael
Geffken, Leiter des Deutschen Instituts für Public Affairs,
und trat dann allen gleichzeitig auf die Füße: Die
Intransparenz des Lobbyismus war das Thema der Diskussion, die
Kritisierten waren Lobbyisten, Politiker und Journalisten
gleichermaßen. Denn, so monierte Leif, das Prinzip der
Intransparenz, nach dem Lobbyisten arbeiteten, sei in einer
Demokratie höchst bedenklich. Seine Schlussfolgerung lautete
daher: Die Macht des Lobbyismus ist die Schwäche des
Parlamentarismus. Doch weder Politiker noch Lobbyisten hätten
ein Interesse daran, an dieser Situation etwas zu verändern.
Und die, klagte Leif, die eigentlich die Aufgabe hätten, auf
solche Missstände hinzuweisen, würden entweder aus
Zeitnot, Personalmangel oder Faulheit nicht mehr richtig
recherchieren - die Journalisten.
Die Nähe zwischen Politikern und
Lobbyisten, die Nähe zwischen Politikern und Journalisten -
dieses Thema beschäftigte die Nachwuchsredakteure stark. Auch
die Talkrunde, die zum Finale des Workshops im Bundestagsfernsehen
übertragen wurde, drehte sich um das Verhältnis von
Politik und Medien. Moderiert von Katrin Hünemörder,
Jugendpresse Deutschland, diskutierten
Vize-Bundestagspräsidentin Susanne Kastner, der Präsident
der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger,
NBC GIGA-Moderator Christoph Rieth und zwei der Teilnehmer, Rebecca
Beerheide und Julian Kothe, darüber, ob Medien Politik
verzerrt darstellen, wie viel Distanz Journalisten zu Politikern
halten sollten und wie Medien über Politik berichten
können, so dass es Jugendliche interessiert. Ein Weg, wie es
funktionieren kann, junge Zuschauer für Politik gewinnen,
zeigt der Sender NBC GIGA mit seinem Politik-Talk. Jeden Abend
empfängt das Moderatoren-Duo Christoph Rieth und Vanessa
Dreckmann einen Gast im GIGA Real-Studio am Pariser
Platz.
Die Fragen stellen aber nicht nur die
Moderatoren, sondern auch die Zuschauer, die per Mail und SMS ins
Studio gelangen. "Ich bin nicht der kluge Journalist, sondern eher
ein Mittler, der die Fragen an den Talkgast weitergibt",
erklärte Christoph Rieth, der seit 2001 das Magazin moderiert,
seine Rolle. Und wer dort einen Politiker live sähe und selbst
Fragen stellen könne, der entwickle möglicherweise auch
ein größeres Interesse für politische Themen, meinte
Rieth.
Ein Ansatz, den auch Bundestag und
Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Workshop "Medien
und Politik - (un)geliebte Beziehungen verfolgen und jungen
Journalisten den Blick hinter die Kulissen des politischen Berlins
ermöglichen. "Wer einmal selbst hier war, der schaltet
vielleicht auch eine politische Sendung im Fernsehen nicht gleich
wieder ab." Davon ist Susanne Kastner überzeugt. Auf die
Wirkung persönlicher Erfahrungen setzt auch Thomas
Krüger: "Durch konkrete Begegnungen lernt man, baut Vorurteile
ab." Ein Ziel, das der Workshop wohl erreicht hat: "Politiker sind
auch nur Menschen, die ihren Job machen," so das Fazit des
19-jährigen Teilnehmers Florian Humpenöder.
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