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Robert Luchs
Dünne Luft für Rentenkassen
Wird das Tafelsilber verscherbelt?
Ursula Engelen-Kefer zeigt sich verständnisvoll: Jede
Regierung, gleich welcher Couleur, sei zu einer tendenziell
optimistischen Beurteilung der künftigen wirtschaftlichen
Entwicklung geradezu verpflichtet. Klafften aber Anspruch und
Wirklichkeit wieder einmal auseinander, dann habe die gesetzliche
Rentenversicherung darunter zu leiden, resümiert die
stellvertretende DGB-Vorsitzende, zurzeit auch
Vor-standsvorsitzende des Verbandes Deutscher
Renten-versicherungsträger (VDR). Denn die Entwicklung der
Bruttolohn- und -gehaltssumme als Determinante für die
Beiträge der Rentenversicherung entzieht sich allem
Wunschdenken. Und da liegen die Forschungsinstitute mit ihrer
Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung meist näher
an der Realität.
Diese Realität aber sieht düster aus. Die Finanz-decke
der Rentenkassen ist so dünn, wie nie zuvor. Frau
Engelen-Kefer aber lässt auf einem Seminar des VDR gar nicht
erst Panikstimmung aufkommen; durch die Garantie des Bundes sei die
Auszahlung der Renten "zu jedem Zeitpunkt" gewährleistet, auch
wenn der finanzielle Spielraum der Rentenversicherung mittlerweile
gegen Null tendiere. Eine ausreichende Liquditätsreserve, mit
der Löcher gestopft werden könnten, sei nicht mehr
vorhanden, stellte Engelen-Kefer fest.
Der Notgroschen der gesetzlichen Rentenversiche-rung, die so
genannte Schwankungsreserve, reiche nur noch für 0,2
Monatsausgaben aus. Es ist inzwischen eine Weile her, dass die
Politik sich zurücklehnen konnte, weil beruhigende zwei bis
drei Monatsausgaben vorhanden waren. Sollte sich abzeichnen, dass
der "auf Kante" genähte Finanzmantel nicht halte,
beispielsweise weil zu optimistische Annahmen der Regierung nicht
einträten, dann würden die Anforderungen an den ohnehin
stark belasteten Bundeshaushalt noch höher, betonte
Engelen-Kefer.
Seit 2002 hat die gesetzliche Rentenversicherung je-des Jahr mit
einem negativen Saldo von Einnahmen und Ausgaben abgeschlossen.
2002 mit minus 4,1 Milliarden Euro und 2003 mit minus zwei
Milliarden Euro. Obwohl die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in
diesem Jahr merklich nach oben tendierte, hat sich bei den
Einnahmen der Rentenkassen keine auch nur annähernd
entsprechende Entwicklung gezeigt. Enge-len-Kefer: "Auch in diesem
Jahr werden die Ausgaben die Einnahmen weit übersteigen."
Die Rentenversicherung wird in diesem Jahr voraus-sichtlich mit
Einnahmen in Höhe von rund 224,3 Mil-liarden Euro und Ausgaben
von 227,8 Milliarden Eu-ro und damit mit einer negativen Bilanz von
3,5 Milliarden Euro abschließen. Die finanzielle Lage
wäre noch desolater, wenn die Bundesversicherungsanstalt
für Angestellte (BfA) in Berlin nicht die Wohnungsgesellschaft
GAGFAH mit immerhin 2,1 Milliarden Euro verkauft hätte. Jetzt
ist kein Tafelsilber mehr vorhanden, die Reserven sind aufgezehrt.
Auch im kommenden Jahr wird die Rentenerhöhung ausfallen; das
heißt, die rund 20 Millionen Rentner in Deutschland werden
noch weiter von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt. Trotz
dieser Tatsache ist so wenig Geld vorhanden, dass erstmals Anfang
Mai 2005 rund 500 Millionen Euro durch vorgezogene Raten des
Bundeszuschusses abgedeckt werden müssen. Anfang Oktober
reicht das Geld nicht einmal mehr, um alle Renten zu
überweisen. Das führt dazu, dass Bundesfinanzminister
Hans Eichel (SPD) erneut einspringen muss. Da der Minister der
Rentenversicherung keinen Blankoscheck ausstellen kann, muss im
nächsten Jahr "permanent über den Zufluss von
Bundesmitteln entschieden werden", kündigte Frau Engelen-Kefer
an.
Damit sei der "schmale Grat", auf dem sich die
Ren-tenversicherung unter den "ehrgeizigen" Eckwerten der
Bundesregierung bewegen werde, deutlich vorge-zeichnet. Die
Wirtschaftsforschungsinstitute sehen den Zuwachs der Lohnsumme
für das nächste Jahr mit 1,3 Prozent um 0,3 Prozent
geringer als die Bundesregierung. Der Bundeszuschuss deckt bereits
27,4 Prozent der Rentenausgaben ab.
2005, dem Jahr der nächsten Bundestagswahl also, droht dann
sogar der monatlich von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu zahlende
Beitrag von derzeit 19,5 auf 19,7 Prozent zu steigen, wie
Pro-fessor Franz Ruland, Geschäftsführer des Verbandes
Deutscher Rentenversicherungsträger, betonte. Die
rot-grüne Bundesregierung war 1998 mit dem Ziel angetreten,
die Lohnnebenkosten zu senken. Ruland erwartet, dass die Renten zum
1. Juli 2006 um 0,3 Prozent steigen. Das macht beim
Durchschnittsrentner lediglich drei Euro aus, gleicht also bei
weitem nicht die Inflationsrate aus.
Zu dem Risiko, dass die Lohnsumme als Berech-nungsgrundlage
für die Rentenversicherung nicht wächst, kommen weitere
Risiken hinzu. So könnte der Bundeszuschuss aus der
Mehrwertsteuer - weil der Konsum weiter sinkt - geringer ausfallen
als angenommen. Die Höhe der Beiträge auf das
Arbeitslosengeld II könne zudem nur grob geschätzt
werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Beiträge
später abgeführt werden. Ob die Krankenversicherung ihren
Beitrag wegen des Sonderbeitrags der Arbeitnehmer und Rentner - wie
von der Regierung unterstellt - senken kann, wird bereits
kontrovers diskutiert. Dabei bedeutet jedes Zehntel
Beitragssatzpunkt, um den der Beitragssatz zur Krankenversicherung
nicht sinkt, eine Mehrbelastung der Rentenversicherung von rund 100
Millionen Euro jährlich. Diese Unsicherheiten könnten den
Rentenversicherern noch einmal eine halbe Milliarde Euro an
Verlusten bescheren.
Um den Problemen wenigstens teilweise begegnen zu können,
müsse das Renteneintrittsalter steigen, sagte die
VDR-Vorstandsvorsitzende. Nicht unterschätzen wollte sie auch
die wachsende Zahl der Minijobs. Im-mer mehr Unternehmen
würden sozialversicherungs-pflichtige Vollzeitjobs durch
Minijobs ersetzen. Den Rentenversicherern gehen dadurch erhebliche
Sum-men verloren, die allerdings heute noch nicht genau zu
beziffern sind. Wenn sich dieser Trend fortsetze, dann müsse
die Politik handeln, forderte Frau Enge-len-Kefer.
Einen eigenen Sparbetrag wollen VDR und BfA durch eine
Organisationsreform leisten, die ab Okto-ber nächsten Jahres
in Kraft tritt. Ein entsprechendes Gesetz wurde bereits von
Bundestag und Bundesrat verabschiedet. BfA und VDR werden zu einer
Körperschaft zusammengefasst, der Deutschen Rentenversicherung
Bund. Aus der Bundesknappschaft, der Bahnversicherungsanstalt und
der Seekasse wird ein zweiter Bundesträger, die Deutsche
Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, gebildet. Ein Ziel der
Organisationsreform ist es, die inzwischen überholte
Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten auch für
den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zu Gunsten eines
einheitlichen Versicherungsbegriffs aufzugeben.
Schließlich will der Gesetzgeber erreichen, dass die
Verwaltungs- und Verfahrenskosten der Rentenversicherung in
Höhe von 1,7 Prozent um zehn Prozent gesenkt werden. Dies soll
durch Fusionen und engere Zusammenarbeit der
Versicherungsträger erreicht werden. Die
Landesversicherungsanstalten bleiben als "Regionalträger"
unter der Bezeichnung Deutsche Rentenversicherung erhalten, sie
heißen künftig dann zum Beispiel Deutsche
Rentenversicherung Baden-Württemberg oder Deutsche
Rentenversicherung Westfalen. Entsprechend werden durch das Gesetz
auch die Auskunfts- und Beratungsstellen den Regionalträgern
zugeordnet.
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