Jörg Kürschner
Urteile zum Parlamentsrecht
Entscheidungen aus Karlsruhe
Das Bundesverfassungsgericht hat seit dem Zusammentritt des
Ersten Bundestages am 7. September 1949 eine Vielzahl von
Entscheidungen getroffen, die das Parlamentsrecht betreffen.
Insbesondere die Rechtsstellung der Fraktionen und der Abgeordneten
standen im Mittelpunkt der Rechtsprechung des höchsten
deutschen Gerichts.
Zu nennen ist das so genannte Wüppesahl-Urteil vom 13. Juni
1989. Der frühere Abgeordnete Thomas Wüppesahl vom
Bündnis 90/Die Grünen hatte nach seinem
Fraktionsausschluss seine Rechte als fraktionsloser Parlamentarier
eingeklagt. Er hatte sich dagegen gewehrt, dass fraktionslosen
Abgeordneten die Mitarbeit in einem Ausschuss als der eigentlichen
Arbeitseinheit des Bundestages fast stets verwehrt war. Diese
Rechtslage folgte aus der früheren Fassung der
Geschäftsordnung des Bundestages, nach der das Benennungsrecht
für die Ausschüsse ausschließlich den Fraktionen
vorbehalten war.
In der Entscheidungsformel des Bundesverfassungsgerichts
heißt es dazu: "Der Deutsche Bundestag verletzt die Rechte des
Antragstellers aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz dadurch,
dass er ihm keine Möglichkeit eingeräumt hat, in einem
Ausschuss als Mitglied mit Rede- und Antragsrecht mitzuwirken."
Daraufhin änderte der Bundestag seine
Geschäftsordnung. In Paragraf 57 Absatz 2 Satz 2 heißt es
seitdem: "Der Präsident benennt fraktionslose Mitglieder des
Bundestages als beratende Ausschussmitglieder." Das von
Wüppesahl zugleich beantragte Stimmrecht im Ausschuss war vom
Bundesverfassungsgericht allerdings als "überproportional
wirkend" abgelehnt worden.
Eine Stärkung von Minderheitenrechten ergab auch das
Organstreitverfahren von 17 PDS-Bundestagsabgeordneten, das diese
gegen den Bundestag 1991 angestrengt hatten. Die Parlamentarier
waren bei der ersten gesamtdeutschen Wahl am 2. Dezember 1990 in
den Bundestag gewählt worden. Der Antrag der PDS-Abgeordneten,
die Fraktionsmindeststärke herabzusetzen (31 Mitglieder), war
vom Bundestag abgelehnt worden. Zugestanden wurde von der
Bundestagsmehrheit ein speziell ausgestalteter Gruppenstatus. Im
Ergebnis ihrer Klage sprach der Zweite Senat den Abgeordneten
weitergehende Mitwirkungsrechte in den Gremien des Bundestages
zu.
Die Entscheidungsformel des Urteils vom 16. Juli 1991 lautet:
"Der Deutsche Bundestag verletzt die Rechte der Antragstellerin aus
Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes dadurch, dass er ihr
nicht das Recht auf Mitgliedschaft in den Unterausschüssen des
Deutschen Bundestages eingeräumt und ihr die Rechte einer
,Fraktion im Ausschuss' vorenthalten hat, soweit sie aufgrund der
Zahl ihrer Mitglieder zu einer Vertretung im Ausschuss berechtigt
ist."
Erhebliche parteipolitische Bedeutung hatte der Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 21. Mai 1996 zur
Überprüfung von Bundestagsabgeordneten auf eine
frühere Stasi-Mitarbeit. Nach Paragraf 44 Abgeordnetengesetz
können die Abgeordneten auf eine Tätigkeit oder
politische Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst der
ehemaligen DDR überprüft werden. Der
PDS-Gruppenvorsitzende Gregor Gysi hatte sich gegen das
Überprüfungsverfahren des Immunitätsausschusses
gewandt und argumentiert, seine Rechte als Abgeordneter würden
verletzt sowie sein Ruf als Rechtsanwalt und seine persönliche
Ehre auf's Spiel gesetzt. Im übrigen habe er nicht als
Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gearbeitet.
Das Gericht anerkannte, mit Rücksicht auf den
verfassungsrechtlichen Status der Abgeordneten sei es nur in
Ausnahmefällen erlaubt, ein Verfahren einzuführen, mit
dem das Verhalten von Abgeordneten vor ihrer Wahl untersucht wird.
Ein solcher Ausnahmefall liege aber in der "historischen Situation
des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie in den neuen
Ländern", die eine Beschäftigung mit der Rolle des
seinerzeit gefürchteten Staatssicherheitsdienstes und der in
seine Machenschaften verstrickten Personen nahe legt. Allerdings
gab das Gericht dem Bundestag auf, dem Betroffenen
Beteiligungsrechte einzuräumen, die nicht nur rechtliches
Gehör sichern, sondern die es ihm ermöglichen, aktiv am
Zustandekommen des Untersuchungsergebnisses mitzuwirken. Das
Verfahren nach Paragraf 44 Abgeordnetengesetz erfülle diese
Voraussetzungen, doch sei angesichts der Beschränkung der
Beweismittel Zurückhaltung bei der Beweiswürdigung
geboten.
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