Inhalt
Häftlingshilfestiftung
Pilotprojekt
für die virtuelle Rekonstruktion von vorvernichteten
Stasi-Unterlagen beginnen
Stasi-Unterlagengesetz
Spätheimkehrer
Rehabilitierungsgesetzänderungsgesetz
Extremismus
Einsatz von
Bildauswertungssystemen
Pilotprojekt für die virtuelle Rekonstruktion von
vorvernichteten Stasi-Unterlagen beginnen
Herr
Präsident,
meine Damen
und Herren,
bereits im
Jahr 2000 hatte der Deutsche Bundestag beschlossen, elektronische
Bildauswertungssysteme zur Rekonstruktion von zerrissenen
Stasi-Unterlagen einzusetzen. Dieser Beschluss wurde von allen
Fraktionen getragen.
Begründet
wurde er vor allem damit, dass die vorvernichteten Stasi-Unterlagen
hochaktuell sind, weil sie vorwiegend aus den letzten DDR-Jahren
stammten. Sie waren hierdurch besonders wertvoll und authentisch.
Aus einem sehr sorgfältigen Ausschreibungsverfahren, an dem
sich 15 Anbieter beteiligt hatten, ging der Zuschlag
schließlich an ein Konsortium aus dem Fraunhofer Institut
für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik und der
Lufthansa-Tochter GbD.
Der
Ausschreibungssieger erstellte zunächst einmal eine
Machbarkeitsstudie.
Diese Studie
formulierte die technischen Möglichkeiten, die Kosten und auch
die politische, historische und menschliche Bedeutung der bereits
zusammen gesetzten Unterlagen. In 10jähriger
Puzzletätigkeit sind Papierschnipsel aus 250 Säcken
zusammengesetzt worden. Das ist zwar gerade einmal 1,5 % der
Gesamtmenge.
Aus dieser
relativ geringen Zahl sind allerdings äußerst bedeutsame
personen- und sachbezogene Unterlagen hervorgegangen. Immerhin 970
registrierte Vorgänge über Opfer und Täter haben
sich hieraus ergeben.
Aus der
Literatur waren es Günter Wallraff, Sascha Anderson, Stefan
Heym oder Jürgen Fuchs. Es fand sich Material über die
Dopingmediziner Wendler und Krämer, die RAF-Terroristen
Baader-Ensslin, Maier-Witt oder Albrecht. Aber auch wichtige
Unterlagen über Oppositionelle, wie Robert Havemann,
Bärbel Bohley, Ulrike und Gerd Poppe, Rainer Eppelmann oder
Wolf Biermann wurden zusammengesetzt.
Von den
Sachvorgängen nenne ich nur Berichte und Maßnahmen zu
Parteien-gründungen und Protestbewegungen des Herbst 1989,
über Verhandlungen zum Grundlagenvertrag oder über
Rechtsextremismus und jugendliche Randgruppen in der DDR. Damit
sind in den insgesamt noch nicht bearbeiteten 16.250 Säcken
noch zahlreiche interessante Unterlagen zu erwarten.
Das
Pilotprojekt hätte den Charme nicht nur die praktische
Wirksamkeit des elektronischen Verfahrens in der Alltagspraxis auf
den Prüfstand zu stellen. Es würde auch ohne eine
mögliche Fortsetzung nach einem Jahr Sinn machen.
Mit Blick auf
die bisherigen wertvollen Erkenntnisse der zusammen gepuzzelten
Seiten, sind auch aus den 400 zusätzlichen Säcken weitere
interessante Inhalte zu erwarten. Wir wissen jetzt auch, dass das
Puzzeln von Hand sogar bedeutend teurer war, als die elektronische
Anwendung. Denn auch das manuelle Verfahren war nicht umsonst. Wenn
man die gleichen Maßstäbe anwendet, welche das
Innenministerium für das elektronische Verfahren gesetzt hat,
dann ist das Handpuzzeln dreimal so teuer wie die neuen virtuellen
Möglichkeiten. Bisher sind in 10 Jahren immerhin 11,385
Millionen Euro für 250 Säcke aufgewandt worden.
Elektronisch rekonstruiert kosten 400 Säcke jetzt 6,3
Millionen Euro.
Leider
scheinen Sie von Rot-Grün die Maxime ausgegeben zu
haben:
Hinhalten der
Opposition und der Wissenschaft durch Beschäftigung. Eine
ganze Reihe von Terminen mit der Birthler-Behörde, mit dem
Fraunhofer-Institut und mit den Haushaltsberichterstattern sollte
der Öffentlichkeit vorspielen, ihnen sei es mit dem Suchen
nach einer Lösung ernst. Vollmundig wird immer wieder die
Wichtigkeit der weiteren Aufarbeitung der Stasi-Akten betont. Noch
am 22.Oktober 2003 wollte Herr Wiefelspütz wörtlich:
„das Projekt energisch vorantreiben. Es dauert mir zu
lange.“
Wenn es
allerdings konkret wurde, dann wurden Sie ganz kleinlaut. Ihr
ganzer Aktionismus war also reine Nebelwerferei.
Seit dem Juli
2000 haben Sie immer wieder Anträge der Union abgelehnt,
zumindest erste kleinere Summen in die jeweiligen Haushalte
einzustellen.
Herr
Wiefelspütz, Frau Stokar: Sie haben uns immer wieder
versichert, dass Ihre Regierung Ihren Worten auch glaubhafte Taten
folgen lassen würde.
Bei den
Haushaltsberatungen im Innenausschuss mussten Sie kapitulieren. Sie
stellten keinen einzigen Cent für das Projekt ein. Herr
Wiefelspütz selbst bezeichnete diesen Vorgang als
„Stunde der Wahrheit.“
Gerade in
diesen Tagen fällt auf, dass diese Bundesregierung nach wie
vor ein gebrochenes Verhältnis zur Überwindung der
deutschen Teilung hat.
Sie wollen die
Häftlingshilfestiftung für SED-Opfer im nächsten
Jahr abwickeln.
Sie statten
die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht mit den
notwendigen Mitteln aus. Engagierte Koalitionsvertreter wie Markus
Meckel oder Werner Schulz beklagen sich darüber zu
recht.
Sie wollten
sogar allen Ernstes den Tag der Deutschen Einheit als gesetzlichen
Feiertag streichen.
Die
Aufarbeitung und Bewältigung der SED-Diktatur hat bei dieser
Regierung keine Lobby.
Sie haben sich
auch geweigert, die neu entstandene Gerechtigkeitslücke in
Deutschland zu schließen. So haben Sie zwar die Auflage des
Bundesver-fassungsgerichts erfüllt, nach der ehemals
staatsnahe Personen bis hin zu Stasimitarbeitern verbesserte
Rentenzahlungen erhielten. Gleichzeitig stimmten Sie aber gegen
unseren Antrag nach einer Besserstellung auch der
SED-Opfer.
Herr Schily
weigerte sich zudem, mit Frau Birthler gemeinsam in der Sendung vom
19. September bei Sabine Christiansen aufzutreten. Dabei ist die
Stasi-Unterlagenbehörde zu einem Exportschlager für viele
Staaten geworden, die gerade eine linke oder rechte Diktatur
überwunden haben. Die Birthler-Behörde ist ein
moralischer TÜV, der für die Ausbildung einer
verfeinerten politischen Kultur in Deutschland von immenser
Wichtigkeit ist.
Immer weniger
Menschen kennen die DDR aus eigenem Erleben. So kommt Einrichtungen
wie der Stasi-Unterlagenbehörde oder der Stiftung zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur eine immer größere
Bedeutung zu.
Wenn Sie schon
für die Deutsche Einheit und für die Opfer der
SED-Diktatur nur wenig übrig haben, dann geben Sie doch
wenigstens der Anwendung einer neuen technischen Innovation eine
Chance. Angeblich wollen Sie ja auch deshalb keine Mittel in die
Vergangenheitsbewältigung stecken, weil Sie einen Schwerpunkt
Ihrer Arbeit in Forschung und Technologie sehen.
Unter dem
Eindruck eines Transrapid, der im Alltagsbetrieb nicht zwischen
Hamburg, Schwerin und Berlin fährt, sondern in China,
fällt es allerdings schwer Ihnen dies zu glauben.
Wenn Sie diese
Maxime trotzdem für sich beanspruchen, dann verstehe ich
überhaupt nicht, warum Sie die Chance nicht nutzen wollen, die
sich aus weiteren möglichen Anwendungsmöglichkeiten des
virtuellen Verfahrens ergeben.
Wie wir
wissen, bestehen aus dem Ausland bereits Anfragen aus so
unterschiedlichen Fachgebieten wie Archäologie, Kunst,
Medienwirtschaft, Kriminal- und Polizeitechnik.
Seit Monaten
fordere ich die Bundesregierung auf, einen Vertragsentwurf zu
erarbeiten, der dem Deutschen Bundestag die Rechte an dem
technischen Verfahren sichert. Bereits im Mai hat das
Fraunhofer-Institut in einem Schreiben an Innenministerium und
Berichterstatter darauf hingewiesen, dass die Umsetzung dieser
Pläne nur gelingen wird, wenn es schnell geht.
Wörtlich
heißt es:
„Wie der
internationale Forschungs- und Industriemarkt zeigt, hängen
Innovationen insbesondere davon ab, wie schnell man Ideen umsetzen
kann. Wir müssen leider bereits registrieren, dass in mehreren
Ländern Forschungszentren bzw. Industrieunternehmen unsere
Ideen im Zusammenhang mit der virtuellen Rekonstruktion
aufgegriffen haben, man von staatlicher und privater Seite
investiert und in diese Richtung Produkte plant. Es wäre
schade, wenn der wissenschaftliche und technische Vorsprung
verspielt wird und hoch qualifizierte Arbeitsplätze in unserem
Land nicht entstehen würden.“
Ende des
Zitats.
Ich kann Sie
nur bitten, nach vier Jahren Diskussion endlich ein Zeichen zu
setzen. Nutzen wir die sich bietenden Möglichkeiten zur
praktischen Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Geben wir dem
technischen Produkt eine praktische Anwendungschance in
Deutschland.
Stasi-Unterlagengesetz
Herr
Präsident,
meine Damen
und Herren,
Joachim Gauck
sprach mit Blick auf die Zusammenarbeit von CDU/CSU, SPD, FDP und
Grünen in Fragen des Stasi-Unterlagengesetzes von einer
„Koalition der Vernunft“.
Diese
„Koalition der Vernunft“ ist im vergangenen Jahr durch
eine stürmische und strittige Diskussionsphase
gegangen.
Ich bin froh,
dass wir nach den gegensätzlichen Meinungen zur Verwendung von
Unterlagen zu Personen des Öffentlichen Lebens wieder zur
lange praktizierten Zusammenarbeit zurückgekehrt
sind.
Ich finde die
Zusammenarbeit der vier Fraktionen vor allem deshalb so wichtig,
weil ich glaube, daß hierin einer der Hauptgründe
für die große Akzeptanz des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
bei der Bevölkerung liegt.
Nach Geist und
Buchstaben ist das Stasi-Unterlagengesetz ein Öffnungs- und
ein Opfergesetz.
Dem Einzelnen
soll Klarheit über das Einwirken des MfS auf seinen
Persönlichkeits-bereich gegeben werden. Die Chance die eigene
Biographie in Ordnung zu bringen, haben mittlerweile mehr als 2
Millionen Menschen genutzt und Einsicht in ihre Akte
genommen.
Der
Tätigkeitsbericht, und vor allem die wieder nach Deutschland
zurückgekom-menen Rosenholz-Unterlagen zeigen uns auch
deutlich, dass das unselige Wirken des Ministeriums für
Staatssicherheit eben kein reines DDR-Thema, sondern ein
gesamtdeutsches Problem war.
Wir wissen
jetzt, daß die Gleichung, Opfer gab es in Ost und West, aber
der Stasi-Täter kam ausschließlich aus Deutschland-Ost,
nicht nur zu undifferenziert, sondern einfach falsch
ist.
Im Laufe der
Jahre haben 20 bis 30.000 Westdeutsche als inoffizielle Mitarbeiter
für das MfS gearbeitet.
Hoffentlich
wird manch ein westdeutscher Redakteur etwas demütiger, wenn
er sich an seine reißerische Berichterstattung über die
Stasiverseuchung im Osten Deutschlands erinnert.
Diese
einseitige Betrachtungsweise hat nicht nur das
Selbstwertgefühl der Menschen aus den neuen Ländern hart
getroffen, es hat dazu beigetragen, den Graben in den Herzen und
Hirnen der Deutschen zu vertiefen.
Diese Sicht
läßt auch keinen Raum für die Wahrheit. Auch in der
DDR waren die Menschen die Anstand behielten und Zivilcourage
zeigten in der Mehrheit.
Trotz
schwierigster Umstände in einer Diktatur scheiterten drei von
fünf Anwerbeversuche des Staatssicherheitsdienstes.
In
Westdeutschland wurde eine Stasi-Mitarbeit zumeist freiwillig
erklärt, ohne die vielfältigen Pressionen des
SED-Staates.
Geld und auch
die politische Überzeugung den Sozialismus in allen Teilen
Deutschlands voranzubringen, stand bei den meisten westdeutschen
IM's im Vordergrund.
Frau Birthler
nannte es in einem Interview mit der TAZ vom 14. September:
„Bemerkenswert, wenn Menschen der Demokratie den Rücken
kehren und mit dem Geheimdienst einer Diktatur
zusammenarbeiten.“
Ich kann ihr
in der Schlussfolgerung nur zustimmen, wenn sie sagt: „gerade
die Geschichte der Westlinken könne schon etwas an
Aufarbeitung vertragen.“
Besonders in
diesem politischen Bereich können mögliche
zusätzliche Erkenntnisse aus den sogenannten
Rosenholz-Unterlagen noch sehr hilfreich sein.
Die
Rückholung der Datenträger mit den Kopien mikroverfilmten
Karteikarten der Hauptverwaltung Aufklärung ist ebenfalls ein
gutes Beispiel für das positive Wirken der Koalition der
Vernunft.
Jahrelang
haben wir uns bemüht die Datensätze
zurückzubekommen. Die Bericht-erstatter der vier Fraktionen
hatten mit vielfältigen Aktivitäten die Bundesregierung
unterstützt, die amerikanische „Geheimeinstufung“
zurückzunehmen.
Jetzt
können wir die Rosenholzunterlagen so behandeln, wie alle
anderen Stasiunterlagen auch.
Eigentlich
sind die Bestimmungen des Stasiunterlagengesetzes völlig
ausreichend, damit die Behörde bei neu auftauchenden
Erkenntnissen dies der „zuständige Stelle“ ohne
Ersuchen mitteilen kann.
Für die
Beschäftigten in der Behörde ist es aber praktisch
schwierig, die auftauchenden Namen richtig einer zuständigen
Stelle zuzuordnen.
Aus diesem
Grund unterstütze ich nachdrücklich einen Beschluß
meiner Fraktion, nachdem wir als Abgeordnete uns unser Vorbildrolle
bewusst sein müssen und uns erneut freiwillig
überprüfen lassen sollten.
Deshalb habe
auch ich einen Antrag unterschrieben, um mich ein viertes mal auf
Stasi-Mitarbeit überprüfen zu lassen.
Ich finde es
ebenfalls gut, dass FDP und Grüne dieses Thema ebenso offensiv
angehen und den Mitgliedern ihrer Fraktionen eine erneute
Überprüfung empfohlen haben.
Positiv im
Sinne des vereinten Deutschland ist auch, dass sich nicht nur die
Landtagsabgeordneten der östlichen Bundesländer, sondern
auch etliche westdeutsche Landtage überprüfen lassen
wollen.
Ich
möchte hier beispielhaft Niedersachsen, Hamburg und
Baden-Württemberg nennen.
Umso mehr
fällt auf, dass die Sozialdemokraten in Bund und Ländern
zögerlich bis ablehnend an diese Frage herangehen.
Ich will mir
mit Blick auf unsere gerade wiederhergestellte gemeinsame
Aktionsfähigkeit jetzt versagen, dies hier weiter zu
vertiefen. Ansonsten könnte ich ihnen schon einen sehr bunten
Strauß aus Zitaten von zahlreichen SPD-Kollegen hierzu
vortragen.
Es wäre
aber wohl ein Akt der politischen Hygiene und ein Wahrnehmen des
Vorbildcharakters, wenn auch die SPD-Bundestagsfraktion
entsprechende Beschlüsse und Empfehlungen wie die anderen
Fraktionen dieses Hauses fassen würde.
Mein Apell
einen erneuten Antrag zu stellen, geht an alle Bundestagskollegen
egal wo sie politisch oder regional herkommen. Die Zusammenarbeit
aller Bundestags-fraktionen wird nämlich gerade in dieser Zeit
immer wichtiger.
Als sich die
letzten Tagen der DDR abzeichneten, ergriff die damaligen
Machthaber und ihre Vasallen die Panik. Alles was an belastendem
Material vorhanden war, sollte vernichtet werden.
Vieles wurde
auch endgültig vernichtet. Aber nicht alles. In Zirndorf in
Bayern lagern derzeit ca. 600 Millionen Schnipsel in 16.250
Säcken nur zerissener Unterlagen.
In
mühsamer Handarbeit gelang es in den letzten Jahren einer
Projektgruppe mit
40
Mitarbeitern ca. 550.000 Einzelblätter wieder
zusammenzusetzen.
Die Dimension
ist wahrlich gigantisch. Wenn die Geschwindigkeit von heute
beibehalten wird, dann haben wir die Chance in 375 Jahren mit
dieser Arbeit fertig zu werden.
Diese
Puzzlearbeit ist wie das Ausschöpfen des Ozeans mit einem
Teelöffel.
Häufig
sind es nur diese zusammengesetzten Seiten, welche den Tätern
von gestern heute noch zum Verhängnis werden.
So wurde
beispielsweise, hierdurch ein Professer Bress aus Kassel enttarnt.
Bress hatte mehr als 30 Jahre lang für das Agentenhonorar von
350.000 DM für die Stasi im Westen spioniert.
Ebenso fanden
sich entscheidende Beweise gegen den Thüringer Landesbischoff
Ingo Braeklein oder den Literaten Sascha Anderson in den
Säcken mit vorver-nichteten Akten.
Aber auch
wichtige Unterlagen von ausgespähten Stasi-Opfern wurden
entdeckt. So wurden Akten über Bärbel Bohley oder Werner
Fischer gefunden.
Es gibt
allerdings jetzt neue technische Möglichkeiten. Es war erneut
ein gemein-samer Antrag und Parlamentsbeschluß vom Dezember
2000, nach dem wir eine Ablösung des manuellen Verfahrens
durch eine IT-gestützte Lösung gefordert
haben.
Der Deutsche
Bundestag forderte in seinem Beschluß die Bundesregierung
auf, „diese Bemühungen im Rahmen des finanziell
vertretbaren zu unterstützen.“
Aus 13
verschiedenen Anbietern ist in einer europaweiten Ausschreibung ein
Anbieter ausgesucht worden.
Eine
Machbarkeitsstudie die den Rekonstruktionszeitraum auf 5 Jahre
abkürzen würde, liegt uns derzeit zur Entscheidung
vor.
Allein durch
dieses Verfahren sind die hierfür notwendigen Mittel bereits
erheblich zusammengeschrumpft. Es sind aber immer noch knapp 58
Millionen Euro, die in fünf Jahren zu schultern
wären.
Wir haben in
ersten Bewertungen gemeinsam mit Mitgliedern des
Haushaltsaussschusses versucht, diese Summe noch etwas zu
drücken.
Wir wollen
auch Verwerfungen wie bei anderen Privat/staatlichen Kooperationen
-ich nenne hier nur die LKW-Maut- gar nicht erst entstehen
lassen.
Jetzt wird
sich auch erweisen, was an der vollmundigen Erklärung des
innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter
Wiefelspütz, dran ist.
Er
argumentierte bei der Ablehnung eines recht bescheidenen
Haushaltsantrages meiner Fraktion im letzten Jahr: „Herr
Büttner - wenn diese Lösung umsetzungsreif ist und wir
Geld in die Hand nehmen müssen - werden wir für die
notwendigen finanziellen Mittel sorgen.“
Meine Damen
und Herren, wir werden Sie an Ihren Taten messen. Unsere
Unterstützung hierfür haben Sie.
Spätheimkehrer
Herr
Präsident,
meine Damen
und Herren,
Die
Entschädigung von Spätheimkehrern - welche auf das Gebiet
der früheren DDR entlassen worden sind - ist wahrlich kein
Ruhmesblatt für den Deutschen Bundestag.
Wie ich immer
wieder betont habe, kann ich leider meine eigene Fraktion von der
Kritik nicht ausnehmen. Allerdings ging auch von keiner anderen
Fraktion des Bundestages eine für die Heimkehrer positive
Initiative aus.
Wir haben also
alle gemeinsam zu verantworten, dass wir die betroffenen Menschen
bisher im Stich gelassen haben.
Aus diesem
Grund, hatte ich bei den Beratungen im Innenausschuß darum
gebeten, auf die sonst üblichen parteipolitischen
Schuldzuweisungsrituale zu verzichten. Dieser Appell ist leider
weitesgehend fruchtlos geblieben.
Wie wir in der
beeindruckenden Anhörung feststellen konnten, ist dies die
allerletzte Chance, für die von der Geschichte so hart
gebeutelten Menschen, eine Entschädigungsleistung des
demokratischen Deutschland auch noch erleben zu
können.
Die
Jüngsten dieser hochbetagten Menschen sind nämlich
mittlerweile 80 Jahre alt.
Für mich
war die Anhörung aufschlussreich und interessant.
Aufschlussreich, weil mehr als 250 Betroffene trotz ihres hohen
Alters nach Berlin kamen und sich nachdrücklich für eine
Entschädigung, für ihre Gleichbehandlung und
Gerechtigkeit in Deutschland einsetzten.
Bei den
Spätheimkehrern handelt es sich um Menschen, die als
Kriegsgefangene zwei oder mehr Jahre in der Gefangenschaft vieler
Siegerstaaten waren.
Die
Kriegsgefangenen die in das westliche Deutschland entlassen worden
sind, erhielten Leistungen nach dem
Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz.
Die
Gesamtentschädigung war auf einen Höchstbetrag von
immerhin 12.000 DM begrenzt worden.
Kriegsgefangene mit dem gleichen Schicksal, die in die SBZ
oder die spätere DDR entlassen worden sind, erhielten hingegen
außer 50 Ostmark keinerlei Ent-schädigungszahlungen. Im
Gegenteil, sie mussten für den verbrecherischen Krieg der
braunen Diktatur doppelt und dreifach bezahlen.
Wir haben in
der Anhörung erschütternde Berichte gehört, welchen
Pressionen diese Menschen auch noch durch die rote Diktatur in der
DDR ausgesetzt waren.
Vertreter der
Regierungskoalition wiedersprechen dem Wunsch nach einer
Ent-schädigung mit dem Argument, dass die
Entschädigungsleistungen im Westen
lediglich eine
Eingliederungshilfe in die deutsche Gesellschaft gewesen
wäre.
Der
Gesetzestext des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes von
1954 spricht allerdings eine andere Sprache: Hier heißt es in
§3 wörtlich:
Für das
Festhalten im ausländischen Gewahrsam wird eine
Entschädigung gewährt.
Nun sagen Sie
- nun ja das ist der Wortlaut des Gesetzes - aber vom Charakter war
das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz eben doch nur eine
Eingliederung in die westdeutsche Gesellschaft.
Aber liebe
Kolleginnen und Kollegen, diese Argumentation wird allein durch die
puren Fakten wiederlegt. Das erste Gesetz wurde erst neun Jahre
nach Kriegsende verabschiedet. Die zahlreichen Neufassungen wurden
teilweise sogar mehr als 20 Jahre nach Kriegsende
beschlossen.
Zum Zeitpunkt
der finanziellen Leistung an die Betroffenen im Westen, war die
Eingliederung allein durch Zeitverzug zumeist völlig
abgeschlossen gewesen.
Diese
Anhörung hat uns überhaupt in vielen Bereichen neue
Erkenntnisse geliefert:
So zur Zahl
der Berechtigten.
Die Zahlen die
uns vorliegen, sind durch eine offizielle Mitteilung des
Präsidenten des Statistischen Bundesamtes ermittelt worden.
1998 ging das Bundesamt noch von insgesamt 50.000 berechtigten
Personen aus.
Aufgrund der
hohen Sterblichkeitsquote aus den Statistiken des
Heimkehrer-verbandes dürften jetzt nur noch 24.000 ehemalige
Kriegsgefangene und nur noch 14.000 sogenannte
Geltungskriegsgefangene, dass sind verschleppte Zivilpersonen,
leben.
Damit
würde dem Bund diese Entschädigungszahlung jetzt nur noch
22 Millionen Euro kosten. Es fällt schwer, unter dem Eindruck
der immer mehr zurückgehenden Zahlen, nicht zynisch zu
argumentieren.
Neue
Erkenntnisse gab es scheinbar auch durch einen Beitrag unseres
Kollegen Hans-Joachim Hacker, welcher darlegte, dass für die
Zwangsdeportierten aus den früheren deutschen Ostgebieten
längst eine Regelung gefunden worden sei.
Die
Geltungskriegsgefangenen, wie die besonders bestialisch
gequälte Frau Nowacki, hätten einen Anspruch auf
Leistungen aus dem Fond der Stiftung für Politische
Häftlinge.
Herr Hacker
erweckte den Eindruck, durch Gesetzesänderungen und durch
Aufstockung des Stiftungsbetrages hätte es bei etwas mehr
Pfiffigkeit der Antragsteller längst zu einer
Entschädigung kommen können.
Doch leider
weit gefehlt. Welche Enttäuschung als wir feststellen mussten,
dass uns im wesentlichen finanzielle Luftschlösser und
Trugbilder als Alternativen vorge-gaukelt worden sind.
Realität
ist: Derzeit warten über 800 anerkannte ehemalige politische
DDR-Häftlinge auf eine Unterstützung - wie soll da eine
Leistung für eine neue Gruppe wie die Geltungkriegsgefangenen
noch zusätzlich finanziert werden?
Wenn also die
bisherigen klassischen Leistungen von dieser Stiftung nicht
erbracht werden können, dann ist ihr Hinweis auf die 14.000
Zivilverschleppten reine Augenwischerei.
Zumal auch die
Heimkehrerstiftung mit dem Rücken an der Wand steht und ihre
ureigenen Aufgaben nicht finanzieren kann.
Selbst der
Vertreter der Bundesregierung in der Anhörung, Herr
Ministerialrat Kind sowie der Sachverständige Dr. Koch und
Herr Oppermann von der Heimkehrer-stiftung führten aus, dass
auch die finanzielle Ausstattung der Heimkehrerstiftung zu
wünschen übrig lasse und das Stammvermögen in diesem
Jahr aufgebraucht sei.
Bleibt also
als dritter Pfeiler ihrer sehr dünnen Argumentation nur noch
übrig, dass mit der Entschädigung für die
Spätheimkehrer ein erneuter Präzedenzfall aufgerissen
würde.
Auch das ist
ein reines Scheinargument. Andere Gruppen aus den neuen
Bundes-ländern haben sich nicht mit
Entschädigungsforderungen als Kriegsfolgelasten
gemeldet.
Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen,
Sie haben
bereits vor zwei Jahren ein moralisches und politisches
Armutszeugnis abgeliefert, in dem Sie damals einen Vorschlag, der
auch von Abgeordneten ihrer Fraktion miterarbeitet worden ist,
niedergestimmt.
Heute haben
Sie die Chance, diese Fehlentscheidung zu korrigieren und zumindest
etwas späte Gerechtigkeit in Deutschland zu
schaffen.
Rehabilitierungsgesetzänderungsgesetz
Herr
Präsident,
meine sehr
verehrten Damen und Herren,
der Deutsche
Bundestag hat mit zahlreichen Initiativen und Gesetzen versucht,
das von der SED-Diktatur zu verantwortende schreiende Unrecht
aufzuarbeiten und wo es noch möglich war, die Folgen zumindest
etwas zu mildern.
Kernstücke waren die beiden
SED-Unrechtsbereinigungsgesetze vom 29.10.1992 und 23.6.1994. Diese
Gesetze sind in den Folgejahren weiter verbessert
worden.
Gerade wir
Abgeordnete, die wir uns seit Jahren immer wieder für die
Opfer der 2. Diktatur auf deutschem Boden einsetzen und engagieren,
haben es als bitteren Schlag empfunden, daß ausgerechnet die
ehemals systemnahen Personen - einschließlich der
Stasimitarbeiter - rentenrechtlich durch ein Urteil besser gestellt
werden mußten. Diese Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts war vom Deutschen Bundestag umzusetzen.
Der Gesetzgeber war aber frei in seinen
Handlungsmöglichkeiten, auch den Rentenbezug der Opfer des
SED-Regimes zu verbessern.
Die Fraktionen
von SPD und Grünen in diesem Haus haben es zu verantworten,
daß die Schere zwischen Tätern und Opfern jetzt weiter
denn je auseinanderklafft. Unser Antrag, für die Haft- und
Zersetzungsopfer eine monatliche Ehrenpension von 1.000 DM zu
zahlen, wurde alternativlos abgelehnt. Damit wird das Gefühl
der SED-Opfer und ihrer Verbände verstärkt, erneut zu den
Verlierern der deutschen Geschichte zu gehören.
Wir sollten
auch aus diesen Erfahrungen heraus einen Vorschlag aufgreifen, der
uns von den Landesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehmaligen DDR bereits im Februar
erreichte. Die fünf Landesbeauftragten von
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Berlin, Thüringen und
Sachsen regten an, die am 31.12. diesen Jahres auslaufende Frist
zur Antragstellung für die beiden
SED-Unrechtsbereinigungsgesetze unbefristet zu
verlängern.
Als
Begründung wurde genannt, daß noch breite Kreise von
Berechtigten von den rechtlichen Möglichkeiten der
Rehabilitierung nichts erfahren hätten. Als Beleg wurden
Aktionen der Landesbeauftragten in Thüringen und
Sachsen-Anhalt genannt, nach denen zahlreiche Personen erstmals
Anträge nach Vor-Ort-Beratungen gestellt haben. Die
Landesbeauftragten waren selbst überrascht über das
plötzliche zahlenmäßige Ansteigen der
Antragstellungen nach den Aktionen. Auch 11 Jahre nach der
Wiedervereinigung besteht immer noch ein
Beratungsbedarf.
Damit
SED-Opfer am 2. Januar 2002 nicht eine weitere Enttäuschung
ihrer Erfahrungen mit dem demokratischen Deutschland
hinzufügen müssen, sollte der Deutsche Bundestag die
Frist für die Antragstellung beider Gesetze
verlängern.
Die
Landesbeauftragten hatten sogar angeregt, die Fristen aus den
Rehabilitierungsgesetzen ganz zu streichen. Die FDP-Fraktion
schlägt eine Verlängerung um zwei Jahre vor. Von der
Bundesregierung und den sie tragenden Parteien hört man
überhaupt nichts zu diesem Thema. Obwohl alle Fraktionen des
Deutschen Bundestages zweimal im Februar und Oktober von den
Landesbeauftragten und auch von den Opferverbänden VOS, BSV
und Bürgerbüro im Juni angeschrieben worden sind, gab es
von der Koalition bisher keinerlei Reaktion.
Sie, meine
Damen und Herren, sollten die Gelegenheit jetzt nutzen, um sich in
den Ausschüssen des Deutschen Bundestages unseren Antrag zu
eigen zu machen.
Wir werden in
den Ausschüssen den Antrag stellen, die Antragsfrist für
Leistungen nach dem strafrechtlichen-, verwaltungsrechtlichen und
beruflichen Rehabilitierungsgesetz bis zum 31.12.2006 zu
verlängern. Wir verbinden diesen Verlängerungsantrag mit
dem Wunsch und der Aufforderung, daß diese fünf Jahre
von allen öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen, die
sich mit der SED-Opfer-Thematik befassen, genutzt werden
müssen, um die Betroffenen über die
Rehabilitierungsmöglichkeiten zu beraten.
Neben den
Opferverbänden sollten vor allem die Landesbeauftragten
für die Stasi-Akten ihre Aktionen auch über die anderen
Länder ausdehnen. Damit hätten wir einen Beitrag für
mehr Rechtsfrieden und mehr Gerechtigkeit in Deutschland
geleistet.
Extremismus
Herr
Präsident,
meine Damen
und Herren,
die Ungeister
von gestern scheinen wieder auferstanden zu sein. Rechtsextremisten
in Uniformen und Knobelbechern marschierten durch das Brandenburger
Tor.
Ausländer
und fremdartig erscheinende Menschen in unserem Land haben
zunehmend Angst. Einige von ihnen wurden bedrängt, gejagt und
sogar getötet.
Deutschland im
Herbst 2000 scheint ein Land geworden zu sein, daß seine
Weltoffenheit als Kultur-, Import- und Gastland einer großen
Prüfung unterzieht.
Die Zahlen des
Bundesamtes für Verfassungsschutz belegen, daß die
Demokraten in Deutschland die Entwicklung des rechten Extremismus
genau beobachten und ihnen klar entgegen treten müssen. Ende
des letzten Jahres gab es immerhin 134 rechtsextremistische
Organisationen und Zusammenschlüsse. 10.037 Straftaten wurden
von Rechtsextremisten verübt, davon 746 Gewalttaten, darunter
ein Tötungsdelikt. Im ersten Halbjahr dieses Jahres scheinen
die Gewalttaten etwas rückläufig zu sein. Gegenüber
402 im Vorjahr reduzierten sie sich auf 330. Es wäre
schön, wenn sich die Tendenz einer abnehmenden Gewaltanwendung
auch im 2. Halbjahr fortsetzen würde. Ich warne aber vor eine
vorschnelle Entwarnung. Fast drei Viertel der rechtsextremen
Gewalttäter sind Jugendliche. Gerade in diesem Bereich ist es
entscheidend, daß die staatliche Reaktion möglichst
rasch erfolgt. Eine schnelle, konsequente und spürbare Ahndung
der Straftat mit einer raschen Aburteilung, beeindrucken den
jugendlichen Täter mehr, als eine Strafe die erst nach vielen
Monaten verhängt wird. Deshalb sollten wir gemeinsam
möglichst schnelle Gerichtsverfahren einfordern. Je schneller
die Strafe der Tat tatsächlich auf dem Fuße folgt, um so
eher wirkt die Strafe auch präventiv. Dabei sollten
Deutschlands Richter gerade gegenüber jugendlichen Tätern
das Instrumentarium um sogenannte pädagogische Strafen
erweitern können. So fordere ich die Einführung eines
Warnarrestes. Die zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe wird
von vielen Jugendlichen kaum als Sanktion wahrgenommen. Die
gleichzeitige Anordnung eines Jugendarrestes würde dem jungen
Menschen nachdrücklich den Ernst der Lage vor Auge
führen. Sollten hierzu gesetzliche Ergänzungen notwendig
sein, ist meine Fraktion dazu bereit.
Natürlich
muß der rechtsextremen Szene auch die Möglichkeit zu
medienwirksamen Aufmärschen und Veranstaltungen genommen
werden. Dabei wird es auch zu einer Änderung des
Versammlungsrechts kommen müssen. Beschämende Bilder, wie
am 29.Januar hier in Berlin, dürfen sich nicht wiederholen.
Daß Neo-Nazis mit schwarz-weiß-roten Fahnen durch das
Brandenburger Tor marschieren können, ist unerträglich.
Solche Bilder beschädigen das Ansehen unseres Landes vor der
ganzen Welt.
Diese
öffentlichen Ereignisse und die zahlreichen Gewalttaten lassen
selbst bei Politikern des linken politischen Lagers zunehmend nach
einer stärkeren Rolle von Polizei und Justiz rufen.
Viele von
ihnen haben sich in der Vergangenheit sehr zurückhaltend oder
ablehnend gegenüber polizeilichem Handeln gezeigt und vor
allem sozialpädagogischen Konzepten den Vorzug
gegeben.
Auch die Rolle
des Verfassungsschutzes wurde aus diesen Kreisen mehr als eine
Gefahr für die innere Liberalität, als ein Eckstein der
wehrhaften Demokratie angesehen. Traurigstes Beispiel ist für
mich mein Heimatland Sachsen-Anhalt. Die frühere
bürgerliche Koalition aus CDU und FDP hatte den
Verfassungsschutz behutsam aufgebaut. Ca. 120 Mitarbeiter
zählte der Verfassungsschutz beim Regierungswechsel 1994. Er
sollte mittelfristig auf 150 Mitarbeiter ausgebaut werden. Seit dem
Regierungswechsel zu einer PDS gestützten
Minderheitsregierung, gab es hier auch einen totalen Kurswechsel.
Unter dem Druck der PDS wurde der Verfassungsschutz auf 80 Personen
reduziert. Mit der Hälfte der ursprünglich vorgesehenen
Mitarbeiter, soll eine deutlich gestiegene Bedrohungslage
beobachtet werden. Mein Heimatland hat sich leider zu einem
Schwerpunktfeld rechtsextremistisch motivierter Straftaten
entwickelt. Bezogen auf die Einwohnerzahl hatten wir sowohl 1998
als auch 1999 die meisten Gewalttaten mit rechtsextremen
Hintergrund aller 16 deutschen Bundesländer. Auf dem Altar des
unsäglichen Magdeburger Modells wurden die
Sicherheitsinteressen unserer Mitbürger geopfert.
Aber auch
einige andere Länder, wie z. B. Niedersachsen, haben nicht
anders gehandelt. Niedersachsen reduzierte während der
Amtszeit des Ministerpräsidenten Gerhard Schröder seinen
Verfassungsschutz um nahezu die Hälfte. Damit haben Sie dem
Rechtsstaat die Mittel genommen, die Totengräber unseres
Gemeinwesens von rechts und links zumindest wirkungsvoll beobachten
zu können.
In einem
Expertengespräch des Innenausschusses im März 1998 zum
Thema Rechtsextremismus in Deutschland stellten wir bereits
große Unterschiede auch zwischen den ostdeutschen
Bundesländern bei Maßnahmen gegen den rechten
Extremismus fest. Es war das christlich-demokratisch regierte
Sachsen, welches mit der Sonderkommission Rechtsextremismus
konsequent gegen die Gefahren von rechts vorging. Auch im
CDU-regierten Thüringen wird die gleiche Entschlossenheit
gegen den Extremismus angewandt. Gerade die schnelle
Aufklärung des verbrecherischen Brandanschlages auf die
Erfurter Synagoge im April diesen Jahres ist ein weiteres positives
Beispiel aus Ostdeutschland. Nicht zuletzt die rasche Verurteilung
und Bestrafung der Täter hat die rechtsradikale Szene deutlich
beeindruckt. Der Inspekteur der sächsischen Polizei stellte in
unserer Anhörung dar, daß eine unnachsichtige Verfolgung
die einzige Sprache sei, die Rechtsextreme verstehen
würden.
Lange, fast zu
lange hat es gedauert, bis diese Auffassung auch im linken und
grünen Lager mehr und mehr an Boden gewinnt.
Die besondere
Anfälligkeit von Menschen aus den neuen Bundesländern
für den rechten Ungeist ist bereits mannigfaltig analysiert
worden.
Dr. Rainer Erb
vom Zentrum für Antisemitismusforschung sieht die Wurzeln in
der mangelhaften Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in
der DDR. Die DDR hatte einen selbstausgestellten Persilschein,
garantiert faschismusfrei zu sein.
Trotzdem gab
es auch in der DDR rechtsextremistische Tendenzen, die
natürlich alle unter der Decke gehalten wurden.
Gewalttätiger Höhepunkt war ein
Skinheadüberfall auf die Ost-Berliner Zionskirche 1987. Die
Haltung von Skinhead-Gruppen, die in Cottbus, Dresden, Halle,
Magdeburg, Erfurt und Leipzig auffällig geworden waren,
charakterisierte die FDJ als durch „Brutalität, Gewalt,
Neofaschismus, Antisemitismus und Ausländerhaß
gekennzeichnet. Dokumente über diese Vorfälle kann man in
der Gauckbehörde umfassend nachlesen.
Frau Kahane
von der Arbeitsstelle für Ausländerfragen und
Jugendaustausch sieht in einem Mix aus fehlenden demokratischen
Erfahrungen, Unkenntnis im Zusammenleben mit Ausländern, einer
Ablehnung des Schutzes von Minderheiten und sozialer Unsicherheit
die Hauptursachen für die stärkere Bedeutung des
Rechtsextremismus in den neuen Ländern.
Aber ich
möchte davor warnen, daß das Thema Rechtsextremismus so
einfach als ostdeutsche Besonderheit dargestellt wird. Ich bin dem
Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland
Michael Friedmann dankbar, daß er klarstellte, man dürfe
den Rechtsextremismus nicht in Ostdeutschland
„entsorgen“.
Es war ein
ermutigendes Zeichen, daß sich nach den Geschehnissen in
Lübeck so viele Menschen in Deutschland empört haben. Es
darf jetzt nicht heißen, „das ist eben
Ostdeutschland“.
Wir haben in
ganz Deutschland diese Probleme. Nur bei uns in den neuen
Ländern hat der Rechtsextremismus eine besondere Dimension.
Die Rechtsextremen setzen dabei neuerdings auch auf ein „Erbe
des wahrhaften nationalen Sozialismus.“ Die NPD
präsentiert sich klar als Partei mit
sozialistisch-antikapitalistischen Inhalten. Als Chefideologe des
sächsischen NPD-Landesverbandes, macht der Verfassungsschutz
mit Prof. Dr. Nier, einen ehemaligen Professor für
Dialektischen und Historischen Materialismus aus. Im Mai
vergangenen Jahres gründete sich in der Partei eine
Arbeitsgruppe „Sozialisten in der NPD“.
Meine Damen
und Herren von der PDS. Ihre Unruhe und Besorgnis ist durchaus
begründet. Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt
kandidierte die rechtsextreme DVU nur mit einer Landesliste. Keine
andere rechtsextremistische Partei war im Angebot im Wettbewerb um
die Erststimme. Die meisten Erststimmen der DVU-Wähler,
erhielt mit 23 % die PDS. Dieses Wahlergebnis wird auch durch eine
im „Spiegel“ veröffentlichte neuere Umfrage
bestätigt. 17 % der PDS-Wähler könnten sich
vorstellen, auch eine rechte Partei zu wählen. Soviel
rechtsradikales Potential zählen Meinungsforscher bei keiner
Anhängerschaft einer anderen Partei.
PDS-Vordenker
Andree Brie sagte auch warum: "Im Staat des real existierenden
Sozialismus seien die Menschen zu Autoritätshörigkeit,
Hierarchiedenken und Harmoniesucht erzogen worden, die
wörtlich - einen Nährboden für die Neonazis
bilden."
Wie
überhaupt die extremistischen Ideologien von rechts und links
sich im Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung
häufig einig sind. Die Grenzlinien zwischen rechts und links
verschwimmen bei den Nationalrevolutionären von rechts und
Nationalkommunisten von links immer mehr.
Für uns
als Demokraten sollte auch deshalb nicht die ideologische
Ausrichtung der Extremisten von Bedeutung sein, sondern allein ihr
Kampf gegen unser demokratisches Gemeinwesen. Denn bei den
Gewalttaten liegen rechts und links nicht weit auseinander. 1999
standen 746 rechtsextreme Gewalttaten 711 linksextremen Gewalttaten
gegenüber. In dieser Frage sollten sich die Union, die SPD,
die Grünen und die FDP einig sein.
Die
frühere Bundesregierung aus Union und FDP hatte auf diesem
Feld bereits eindeutige Eckpunkte gesetzt:
13
Verbotsverfügungen gegen rechtsextremistische Vereinigungen in
Bund und Ländern
eine
personelle Verstärkung der Abteilung Rechtsextremismus des
Bundesamtes für Verfassungsschutz
Die
öffentliche Kampagne „Fairständnis-
Menschenwürde achten - gegen Fremdenhaß"
Die Verwendung
auch von verfremdeten oder verzerrten Symbolen
nationalsozialistischer oder anderer verbotener Organisationen
wurden unter Strafe gestellt.
Im
Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 gab es einen ganzen Katalog
von Maßnahmen um den Rechtsextremismus
einzudämmen.
In unserem
heute vorliegenden Antrag fordern wir diesen Weg konsequent
fortzusetzen. Neben Maßnahmen der Polizei und der Justiz,
muß vor allem eine umfassende Präventionsarbeit vor Ort
dem Extremismus das Wasser abgraben. Wir haben eine ganze Reihe von
Vorschlägen erarbeitet, wie die Erziehungskraft der Familien
gefördert, die Schulen bei ihrer Erziehungsaufgabe
unterstützt und letztlich die Bürgergesellschaft hierbei
gestärkt werden kann. Wir wollen eine nachhaltige
Bekämpfung des Extremismus aller Schattierungen. Solche
Parteien, die durch mangelnde Trennschärfe selbst
Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes sind, fallen für
uns dabei als Bündnispartner aus. Nach dem
Verfassungsschutzbericht von Baden Württemberg haben sich so
besonders die westlichen Landesverbände der PDS - ich zitiere
wörtlich- zum Tummelplatz von Linksextremisten verschiedener
Herkunft entwickelt.
Wir schauen
geschärft auf die gesamte extreme Szene, denn die Union ist
nicht auf einem Auge blind. Ich würde mir wünschen,
daß wir nach zehn Jahren Deutscher Einheit in diesem
Bundestag damit nicht allein bleiben.
Einsatz
von Bildauswertungssystemen
Herr
Präsident,
meine Damen
und Herren,
in den letzten
Tagen der DDR, als sich abzeichnete, daß die 2. deutsche
Diktatur zu Ende gehen wird, ergriff die damaligen Machthaber und
ihre Vasallen die Panik.
Alles an
belastendem Material sollte vernichtet werden, was zu vernichten
ging.
Dies war gar
nicht so einfach. Die SED-Diktatur und ihr Schwert und
Schild:
Die Stasi -
ist nicht zuletzt an den Massen von Papier erstickt. Zwischen
Wichtigem, sehr Wichtigem und Banalem, blickte bei den Unmengen von
Akten kaum noch jemand durch.
Die Hoffnung,
möglichst alles an Belastungsmaterial verbrannt oder zerrissen
zu haben, war ein wenig trügerisch. Und deshalb müssen
bis heute viele kleine und große Täter zittern, ob denn
nicht tatsächlich noch irgendwo Akten
herumschwirren.
Denn das MfS
war neben aller Unmenschlichkeit, eine bürokratische und
typisch deutsche Behörde. Neben dem Original, gab es immer
wenigstens einen Durchschlag. Meist sogar mehrere. Von der
Kreisbehörde, zum Bezirk bis Ost-Berlin und sogar Moskau
reichte die Kopierwut der DDR-Bürokraten. Der Durchschlag ist
vielen, die Menschenrechte verletzt und die Diktatur durch ihr Tun
am Leben gehalten haben, in den letzten Jahren zum oft einzigen
Beleg für ihr schändliches Tun geworden. Neben dem
intakten Durchschlag waren es aber auch immer wieder
zusammengesetzte Schnipsel von vorvernichtetem Material, die den
Tätern von gestern zum Verhängnis wurden.
So wurde
beispielsweise durch dieses Material Professor Bress aus Kassel
enttarnt.
Bress hatte
mehr als 30 Jahre lang für das Agentenhonorar von 350.000 DM
im Westen für die Stasi spioniert. Ebenso fanden sich
entscheidende Beweise gegen den Thüringer Landesbischof Ingo
Braeklein oder den Literaten Sascha Anderson unter den
zusammengesetzten Schnipseln. Aber auch wichtige Materialien von
ausgespähten Stasi-Opfern wurden entdeckt. So wurden wichtige
Akten über Bärbel Bohley oder Werner Fischer
gefunden.
Immerhin
gelang es in den letzten Jahren einer Projektgruppe mit 40
Mitarbeitern in Zirndorf, ca. 350.000 Einzelblätter wieder
zusammenzusetzen. Diese Puzzlearbeit ist wie das Ausschöpfen
des Ozeans mit einem Teelöffel. Wenn die Geschwindigkeit von
heute beibehalten wird, dann haben wir die Chance in 375 Jahren mit
dieser Arbeit fertig zu werden.
Es gibt jetzt
allerdings neue technische Möglichkeiten. Mittels einer
modernen Bildverarbeitung ist es möglich, die
Rekonstruktionszeit erheblich abzukürzen. Wegen des
Neuheitsgrades der angestrebten Lösungen, sollte in einem
mehrstufigen Ausschreibungsverfahren, das Projekt schrittweise
präzisiert und letztlich an den günstigsten Anbieter
vergeben werden. Maßgebliche Kriterien sollen vor allem die
Rekonstruktionszeit, Qualität, Zuverlässigkeit und nicht
zuletzt der Preis sein.
Gemeinsam mit
der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR wollen wir, daß
der Deutsche Bundestag dieses Verfahren vorantreibt. Die
Behörde der Bundesbeauftragten ist bisher als
Gauck-Behörde bekannt geworden. Ob diese Behörde bald
genau so kurz Birthler-Behörde genannt werden kann, wird sich
in den nächsten Monaten und Jahren erweisen. Ein Kriterium
hierfür ist sicherlich die Weiterführung des
Aufarbeitungsprozesses.
Hierbei
müssen wir jetzt bald entscheiden, ob wir die Arbeit in
Zirndorf ganz einstellen, oder die neuen Verfahren anwenden wollen.
Die andere mögliche Alternative - noch mehr als 300 Jahre
warten zu wollen - wird wohl niemand in diesem Haus als eine solche
ansehen wollen.
Wir sollten
bei dieser Frage, wie bei allen Einzelfragen die den Stasi-Bereich
betreffen, die Zusammenarbeit von Union und FDP mit den heutigen
Regierungsparteien weiterführen. Ich möchte Sie, von der
SPD, den Grünen und der FDP herzlich einladen, um die
Umsetzung unserer Initiative gemeinsam zu gestalten.
Die PDS hatte
in allen Fragen der Stasiproblematik aus guten Gründen nicht
mitgewirkt.
Die
großartige Akzeptanz des Stasi-Unterlagen-Gesetzes bei den
Menschen in den neuen Bundesländern, ist gerade auf die
Zusammenarbeit der großen Mehrheit des Deutschen Bundestages
zurückzuführen.
Wir sollten es
bei dieser aktuellen Frage genau so halten.
Ich danke
Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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