Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen Konvent am 23. Mai 2002
Herr Präsident! Ich möchte im Zusammenhang mit der ersten Frage, ob die derzeitige Kompetenzabgrenzung den ermittelten Aufgaben der Union entspricht und ob sie deutlich genug ist, zunächst einmal davor warnen, das Kompetenzthema zum zentralen Thema dieses Konvents zu machen. Die praktische Erfahrung belegt nach meiner Beobachtung, dass es deutlich weniger als 5% aller politischen Entscheidungen sind, bei denen es Kompetenzprobleme gibt. In der Mehrzahl der Fälle gibt es solche Probleme nicht. Für den Rest von weniger als 5% allerdings sollten wir mehr Klarheit schaffen.
Damit komme ich zur zweiten Frage, wie man die Einhaltung der Kompetenzabgrenzung gewährleisten kann. Es dürfte unstreitig sein, dass Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit wichtige Wegweiser sind, um zu überzeugenden Entscheidungen zu kommen. Aber das sind sehr allgemeine Prinzipien. Es wurde ja in der Vergangenheit oft versucht, sie schärfer zu fassen. Ich bin der Auffassung, dass man eine bessere Fassung nicht - und, Herr Präsident, Sie haben das in Ihrer Zusammenfassung schon zutreffend festgestellt - durch einen für alle Zeiten abschließenden Kompetenzkatalog finden kann und auch nicht dadurch, dass man einen Negativkatalog formuliert, der festlegt, was die Europäische Union für alle Zeiten nicht darf. Aber ich meine, dass man bei Konflikten, die es wie gesagt in weniger als 5% der Fälle gibt, nicht gleich nach den Richtern rufen sollte. Die bisherige Konfliktaustragung geht nach meiner Beobachtung über hohe Beamte. Wenn ich es polemisch formulieren darf, dann sage ich, wir sollten das Europa der Technokraten nicht ablösen durch ein Europa der Richter, sondern dieser Konvent verwirklicht die Idee eines Europas der Parlamentarier. Deshalb sollten wir gemeinsam nachdenken, wie die beiden großen parlamentarisch legitimierten Organe der Europäischen Union, über deren Zusammensetzung und Arbeitsweise wir noch reden müssen, solche Streitfragen in einem Schlichtungsverfahren lösen. Ich könnte mir also vorstellen, dass Streitfragen in einem Schlichtungsverfahren zwischen dem Europäischen Parlament einerseits und dem reformierten Rat andererseits geklärt werden sollten. Die Reform des Rates wird ein Thema für spätere Sitzungen sein.
Frage 3: Da stimme ich mehreren Vorrednern ausdrücklich zu. Wir sollten die Instrumente verringern. Sie sind unübersichtlich. Das ist durch die Dokumentation belegt. Ich könnte mir vorstellen, dass man zum Beispiel Richtlinien und Rahmenbeschlüsse zusammenfasst, denn der Unterschied zwischen beiden ist schwer verständlich zu machen. Dann hätte man Verordnungen als unmittelbar anwendbares Recht, Richtlinien bzw. Rahmenbeschlüsse, die der Umsetzung bedürfen, und schließlich hätte man dann Empfehlungen, mit denen man sich weiter beschäftigen muss. Ob man diese jetzt Standpunkte nennt oder wie immer ist unerheblich. Diese Trias der Instrumente sollte an die Stelle des unübersichtlichen Gewirrs der gegenwärtigen Instrumente gesetzt werden.
Damit beantwortet sich auch Frage 4, denn die derzeitigen Beschlussverfahren sind orientiert an den bisherigen zahlreichen Instrumenten, und deshalb gewährleistet das bisherige Verfahren keine größtmögliche Effizienz.
Am wichtigsten ist mir die Antwort auf Frage 5. Demokratische Legitimation - da möchte ich zwei Hinweise geben, auf die wir uns auch im deutschen Bundestag in der vergangenen Woche in einer Debatte verständigt haben. Erstens sollte immer dann, wenn eine Kompetenz von der Ebene der Mitgliedstaaten auf die europäische Ebene übertragen wird - und das wird in Zukunft auch weiter so sein, denn wir brauchen mehr Integration -, die Kontrolle der Parlamente erhalten bleiben. Der Normalfall wird sein, dass an die Stelle der Kontrolle durch nationale Parlamente die durch das Europäische Parlament tritt. Es sollte nicht so sein, dass eine Übertragung von mehr Kompetenzen auf die intergouvernementale Prozedur erfolgt. Die parlamentarische Kontrolle muss eher vergrößert als verkleinert werden.
(Beifall)
Dazu gehört die zweite Anregung. Wir brauchen für die Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene künftig gleichrangig neben dem Initiativrecht der Kommission, welches wahrscheinlich quantitativ das bedeutendste bleiben wird, das Initiativrecht des Europäischen Parlaments und des - ich betone - zu reformierenden Rates, damit klar ist, wir haben in Europa mehr Demokratie. Dazu sind wir als Konvent auch durch unsere Arbeitsweise verpflichtet. Die sollte sich auch im Inhalt der von uns zu erarbeitenden Verfassung oder Grundregeln für Europa niederschlagen.