Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen
Konvent
am 21. Januar 2003
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
der deutsch-französische Vorschlag stand im Mittelpunkt zahlreicher kritischer Beiträge der gestrigen Debatte:
Ich möchte dazu drei Anmerkungen machen:
Erstens, bei aller Kritik an dem vorgeschlagenen dauerhaften Vorsitz des Europäischen Rates ist deutlich geworden, dass sehr viele der deutsch-französischen Vorschläge von einer großen Mehrheit der Delegierten unterstützt werden. Das gilt zum Beispiel für die vollständige Aufnahme der Grundrechtecharta in die Verfassung, für die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament, die Richtlinienkompetenz des Kommissionspräsidenten, das Initiativrecht der Kommission, das Weisungsrecht der Kommissare gegenüber den Generaldirektoren, die Ausweitung der Mitentscheidung des Europäischen Parlaments im Gesetzgebungsverfahren, die Trennung von Exekutiv- und Legislativaufgaben im Ministerrat, die Öffentlichkeit der Beratungen des Legislativrates, den europäischen Außenminister und die Rolle der Nationalen Parlamente bei der Subsidiaritätskontrolle im Rahmen eines "Frühwarnsystems".
Zweitens, auch wer den dauerhaften Vorsitz des Europäischen Rates kritisiert oder ablehnt, muss sich mit der Forderung auseinandersetzen, die Aufgaben und Befugnisse des Europäischen Rates in der Verfassung genauer festzulegen, als dies bisher der Fall ist. Mit oder ohne Präsident können sich sonst ganz erhebliche Spannungen zwischen dem Europäischen Rat, der Kommission und dem Kommissionspräsidenten entwickeln. Der Vorsitzende des Europäischen Rates kann nicht mehr Aufgaben und Kompetenzen haben als der Rat selbst. Dessen Aufgaben sollten künftig vor allem im Bereich der strategischen Anstöße, der Entwicklung außenpolitischer Grundentscheidungen und der Mitwirkung bei der Erarbeitung der Mehrjahresprogramme liegen.
Drittens, viele Redner haben sich mit den Vorteilen und Nachteilen des bisherigen Rotationssystems der EU-Präsidentschaft auseinandergesetzt. Als Vorteile sind die verantwortliche Einbeziehung einer jeden Regierung der Mitgliedstaaten in die Führung der EU, die Betonung der Gleichheit vor allem im Interesse der kleineren Staaten, die Möglichkeit neuer Impulse und großer Bürgernähe statt einer Konzentration der Macht allein in Brüssel angeführt worden. Der Hauptnachteil ist der Mangel an Kontinuität.
Ich bin der Auffassung, dass sich der deutsch-französische Vorschlag durchaus so präzisieren lässt, dass die Vorteile des Rotationssystems übernommen und die Nachteile vermieden werden können. Dabei gehe ich davon aus, dass nach der Erweiterung weder ein Europäischer Rat mit 52 Mitgliedern noch die bisherige Rotation mit der Chance einer jeden Regierung, dann alle 13 oder 14 Jahre einmal für sechs Monate die Präsidentschaft zu erhalten, ausreichend für Handlungsfähigkeit und Effizienz der Europäischen Union sorgen kann.
Mein Vorschlag: Der künftige Vorsitzende des Europäischen Rates könnte neben dem Vorsitz des Plenums die Aufgabe erhalten, den Vorsitz und die Geschäfte eines ihn unterstützenden Troikapräsidiums zu führen. Diesem Präsidium müsste immer einer oder auch je zwei Regierungschefs aus der Gruppe der größeren, der mittleren und kleineren Staaten angehören. Das Präsidium wäre die Kernmannschaft des Europäischen Rates. Es würde durch Rotation ständig schrittweise erneuert, aber es erhielte keinen neuen administrativen Unterbau sondern würde vom derzeitigen Sekretariat des Rates unterstützt.
Mein Beispiel, das sich auf die Ebene der Ministerräte anwenden ließe, soll zeigen, dass sich die Befürworter der Rotation und die Befürworter von mehr Kontinuität durchaus in einem vernünftigen Kompromiss treffen können, der die dem deutsch-französischen Vorschlag zugrunde liegende Vision einer Föderation der Nationalstaaten besser umsetzt, als es in der Vergangenheit gelungen ist.