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15.03.2005
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Einführende Worte zur Pressekonferenz vom Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Dr. Willfried Penner am 15. März 2005


Es gilt das gesprochene Wort


Einleitung
Auch dieser Bericht ist ein kritischer Bericht; er ist wie zuvor auch ein Bericht über Mängel. Das kann auch gar nicht anders sein; nach dem Wehrbeauftragtengesetz wird der Wehrbeauftragte tätig, wenn ihm "Umstände bekannt werden, die auf eine Verletzung der Grundrechte der Soldaten oder der Grundsätze der Inneren Führung schließen lassen". Das ist eindeutig: Der Wehrbeauftragte hat sich um Schwächen zu kümmern. In der Beschaffenheit des Berichts muss sich das widerspiegeln; es entspricht dem gesetzlichen Ansatz und hoffentlich auch den Erwartungen des Parlaments - meines Auftragsgebers.
Der jährliche Bericht des Wehrbeauftragten kann nicht den Anspruch darauf erheben, den Zustand der Bundeswehr abzubilden, wie er tatsächlich ist. Aber er soll mehr sein als die Aneinanderreihung von Sorgenketten von Soldatinnen und Soldaten, die nichts mit dem Ganzen, also der Bundeswehr insgesamt, zu tun hätten. Das Gegenteil ist richtig. Der Bericht soll bei der parlamentarischen Kontrolle helfen und Aufschluss darüber geben, wie Bundeswehr eben auch ist.
Der Bericht stützt sich besonders auf Eingaben aus der Truppe, aber auch auf Wahrnehmungen bei direkten Begegnungen mit Soldaten wie auch auf andere Hinweise.

* * *

Mit dem Thema Personalangelegenheiten, mit dem Thema Bundeswehr im Einsatz, mit dem Thema Infrastruktur, mit dem Thema Misshandlungen, mit dem Thema Vertrauenspersonen haben sich fünf Schwerpunktthemen für das Jahr 2004 herausgeschält.

Stichwort Personalangelegenheiten
Dieser große Komplex macht wie zuvor auch ein Drittel der Eingaben aus; er ist übrigens auch der Schwerpunkt bei Gesprächen mit Soldaten. Da geht es um Unterschiedliches. Ich nenne das Beförderungswesen und Beförderungsstrategien, Weiterverpflichtungsmöglichkeiten, Versetzungen, Laufbahnwechsel, Unzulänglichkeiten bei der Antragsbearbeitung, Berufsförderungsdienst, Zivile Aus- und Weiterbildung (ZAW), Stellenbesetzungshoheit und Personalrekrutierung aus der Truppe heraus.
Zu Personalangelegenheiten zählt auch die Arbeit der Zentren für Nachwuchsgewinnung. Sie wird von der Truppe scharf kritisiert. Zu starke Berücksichtigung theoretischer Ansätze bei der Personalauswahl, das Wecken unrealistischer Vorstellungen im Hinblick auf den Truppenalltag, eine zu starke Betonung ziviler Erfahrungen sind die Hauptkritikpunkte.
Zu Personalangelegenheiten gehören auch Auswirkungen des Attraktivitätsprogramms.
Mit dem Attraktivitätsprogramm werden die älteren Feldwebel immer noch nicht fertig. Mit ihrer großen militärischen Erfahrung und ihren Qualitäten in der Menschenführung müssen sie immer wieder erleben, dass weitaus Jüngere, die sie teilweise selbst ausgebildet haben, an ihnen vorbeiziehen. Was auf den Schulterklappen zu sehen ist oder vermisst wird, wirkt schwer.

Stichwort Bundeswehr im Einsatz
Zur Vorbereitung auf den Einsatz sollte grundsätzlich die Ausbildung im Inland stattfinden und abgeschlossen sein. Das ist nicht immer der Fall gewesen, wie Soldaten berichtet haben. Beispiele: Engpässe bei der Ausbildung an geschützten Transportfahrzeugen, unzureichende Funkausbildung für Einsätze bei KFOR und in Kunduz, eine unzureichende Einweisung an medizinischen Geräten für einen Rettungssanitäter bei KFOR.
Solide Fremdsprachenkenntnisse werden gerade bei integrierter Verwendung im Einsatz immer wichtiger. Das muss durch ein entsprechendes Lehrangebot auch verbessert werden.
Bundeswehr im Einsatz muss entsprechend ausgestattet sein. Auch insoweit gab es Mängel. Es fehlten Funkgeräte bei Patrouille außerhalb eines afghanischen Feldlagers. Es fehlten teilweise Kampfrucksäcke in Tarndruck, Kampfschuhe in Tropenausstattung, Bergschuhe. Der Zulauf von Ersatzteilen für Geräte erfolgte vielfach nicht rasch genug.
Der Sinn von Einsätzen muss aus der Sicht von Soldaten erkennbar sein und erklärt werden können. Trotz geringer politischer Fortschritte kann Einsatz auf dem Balkan auch aus der Sicht von Soldaten Sinn machen, weil damit Massenflucht nach Westen eingedämmt werden kann. Hingegen kann der Einsatz in Afghanistan Zweifel am Sinn befördern, zumal die Bekämpfung des Drogenanbaus und des Drogenhandels - aus guten Gründen - unterbleiben muss.
Die Fähigkeit zu weiteren Einsätzen wird in der Bundeswehr unterschiedlich beurteilt. Die militärische Führung hält dies überwiegend für möglich. Soldaten unterhalb der Leitungsebene sehen dies weit zurückhaltender. Zu den Skeptikern zählen namentlich die Fernmelder, die Pioniere, Sanitätspersonal, die Logistiker, namentlich auf dem Hintergrund ihrer bisherigen Erfahrungen.

Stichwort Infrastruktur
Die ostdeutschen Kasernen sind durchweg in gutem Zustand; das Erneuerungsprogramm "Kaserne 2000" hatte wohl vollen Erfolg. Das gilt nicht für Kasernen in Westdeutschland. Im Wesentlichen wurden folgende Mängel festgestellt: Schimmelbefall, marode Installationen (vor allem Rohrleitungen), erneuerungsbedürftige Sanitärräume, Überbelegung; aber auch verschlissene Matratzen und abgenutztes sonstiges Mobiliar, aber auch beschädigte Fensterrahmen müssen berichtet werden. Die Mängel sind größtenteils schon seit Jahren bekannt. Die Soldaten können mit Recht erwarten, dass sie endlich abgestellt werden, zumal nachdem die Standortentscheidungen gefallen sind und damit Planungssicherheit für den Einsatz von Finanzmitteln geschaffen worden ist.

Stichwort Misshandlungen
Vorkommnisse bei der Grundausbildung eines Bataillons in Coesfeld haben ein großes öffentliches Echo ausgelöst. Meine Mitarbeiter haben dazu die seinerzeit im Amt befindlichen Vertrauenspersonen und deren Stellvertreter angehört. Danach hat kein betroffener Rekrut sich in dieser Angelegenheit an sie gewandt. Die Vertrauenspersonen selbst haben sich auch nicht darüber beschwert; sie hielten das betreffende Ausbildungsmodul für rechtmäßig, auch weil der Kompaniechef zumindest teilweise anwesend war. Sie bemängelten allerdings, dass sie unzureichend in ihre Aufgabe als Vertrauenspersonen eingewiesen worden waren.
Zusätzlich hat ein Verfahrensbevollmächtigter für mehrere Soldaten das Recht auf ein faires Verfahren und ein Soldat persönlich Schutz vor Vorverurteilungen in einer persönlichen Vorsprache bei mir geltend gemacht.
Als Reaktion auf Coesfeld sind bei der Dienststelle bis zum Jahresende 43 Eingaben eingegangen; danach sind zwei hinzugekommen. Sie sind unterschiedlicher Beschaffenheit; teils sind es Schilderungen von Ereignissen, die schon mehr als fünf Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliegen (22), drei haben Begebenheiten aus den letzten zwei Jahren zum Gegenstand, zwölf sind zeitlich nicht bzw. noch nicht einzuordnen, wiederum andere beschränkten sich auf Bewertungen und Meinungsäußerungen. Mit allen Vorgängen ist das Bundesministerium der Verteidigung befasst worden. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass das BMVg die Sachverhalte nicht nach rechtsstaatlichen Maßstäben aufarbeitet.
Beim Wehrbeauftragten sind im Berichtsjahr 94 (= 69+25) Fälle von Misshandlungen mitgeteilt worden; im Vorjahr waren es 58 (= 35+23). Die Zahl der einschlägigen Eingaben ist gegenüber dem Vorjahr fast unverändert - 2003: 23 / 2004: 25. Bei den besonderen Vorkommnissen (BV), die das Bundesministerium der Verteidigung von Amts wegen mitteilt, sind die Zahlen gegenüber dem Vorjahr gestiegen (35 aufgegriffene BVs in 2003, 69 aufgegriffene BVs in 2004). Die einschlägigen Vorfälle gliedern sich wie folgt auf:
  • Kameradenmisshandlung, also Ausübung von Gewalt ohne formelles Vorgesetztenverhältnis

    • Ein Beispiel für Kameradenmisshandlung:
      das so genannte "Nierenspiel". Dabei schlugen sich die Kontrahenten - teilweise unter Alkoholeinfluß - abwechselnd in die Nieren - bis zur Aufgabe des einen, der einen Milzriß erlitt und dem in anschließender Notoperation das Organ entfernt werden mußte. Die zuständige Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet.

  • Untergebenenmisshandlung

    • Ein Beispiel für Untergebenenmisshandlung:
      ein Offizier schlug Soldaten mit einem Kabelende auf mehrere Körperpartien, nahm einen anderen Soldaten in den Schwitzkasten und trat einem weiteren in das Gesäß. (Der Offizier erhielt ein Beförderungsverbot und eine Kürzung der Dienstbezüge.)

  • Vorgesetztenmisshandlung (d.h. ein tätlicher Angriff auf Vorgesetzte)

    • Ein Beispiel für Vorgesetztenmisshandlung:
      ein Gefreiter schlug in stark alkoholisiertem Zustand einen Unteroffizier vom Dienst, der ihn aufgefordert hatte, sich ruhig zu verhalten, mehrfach mit der Faust ins Gesicht. Er erhielt einen Arrest und verschärfte Ausgangsbeschränkung.


Die Bundeswehr hat auf diese und andere Vorfälle differenziert und angemessen reagiert.

Stichwort (Vertrauenspersonen) / Soldatenbeteiligung
Das Thema "Vertrauenspersonen" ist auf zwei Informationsveranstaltungen mit Vertrauenspersonen aller Dienstgradgruppen sowie Disziplinarvorgesetzten eingehend erörtert worden.
Soweit es die Vertrauenspersonen selbst angeht, haben sie auf folgende Sachverhalte besonders aufmerksam gemacht:
Unzulänglichkeiten vor allem bei der Einweisung in die Aufgabe, fehlende Teilnahmemöglichkeit an den vorgesehenen Seminaren, zu geringe Mitsprache bei der Gestaltung des Dienstbetriebes.
Die Disziplinarvorgesetzten räumten mögliche Mängel bei der Einweisung der Vertrauenspersonen ein; sie machten jedoch geltend, dass sie durch den Dienst überbeansprucht würden. Außerdem wünschten sie sich eine Straffung der Beteiligungsrechte, namentlich im Hinblick auf die Beteiligung am Dienstbetrieb.

* * *

Zu den Themenfeldern Frauen in der Bundeswehr, Wehrpflicht und Rechtsextremismus bemerke ich:

Stichwort Frauen
Die Integration von Frauen in die Bundeswehr gehört heute zum Truppenalltag. Über 10.000 Frauen leisten jetzt in der Bundeswehr Dienst; im Vorjahr waren es rd. 9.000 Frauen. Überwiegend werden sie - wunschgemäß - im Sanitätsdienst und Stabsdienst eingesetzt. Nennenswerte Abwehrreaktionen von Soldaten sind selten geblieben. Manche ältere Soldaten tun sich im Umgang mit ihren Kameradinnen schwerer als jüngere; sie wollen keine Fehler machen und sich vor unliebsamen Gerüchten schützen. Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung ist gewahrt; das Gender-Training soll auf den Umgang zwischen Soldaten beiderlei Geschlechts vorbereiten.
Auf Verstöße reagiert die Bundeswehr angemessen. Im vergangenen Jahr sind beim Wehrbeauftragten 159 Vorfälle (= 40 Eingaben + 119 BVs) mit dem Verdacht auf einen Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung bekannt geworden; im Vorjahr waren es 112 (=29+83). In Rede stehen Zudringlichkeiten verbaler Natur, teils auch mit körperlichen Kontakten, machistisches Gehabe oder auch eindeutige Angebote per SMS.
Wenn das im Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz indirekt avisierte Ziel von 15 % Frauenanteil erreicht werden soll, wird dies auch vom Ausbau familienfreundlicher Strukturen im militärischen Dienst abhängen. Ich nenne nur Teilzeitdienst, ich erwähne Kinderbetreuung und heimatnahe Verwendung. Im Übrigen unterscheiden sich die Eingaben von Soldatinnen wie auch mündliches Vorbringen inhaltlich nicht von den diesbezüglichen Äußerungen ihrer männlichen Kameraden. In der Regel geht es um Sorgen, um Ärger, um Schwierigkeiten und um Nöte des militärischen Alltags mit ganz persönlichem Bezug.

Stichwort Wehrpflicht
Zur Perspektive: die Truppe, die überwiegend an der Wehrpflicht wohl festhalten will, erwartet klare Entscheidungen, die auch Bestand haben. Ein allmähliches, sich lang hinziehendes Zerbröseln der Wehrform "Wehrpflicht" würde die notwendigen Anpassungsprozesse, die jetzt Transformation heißen, verlängern und damit die Truppe zusätzlich belasten.
Zur Frage der Wehrform "Wehrpflicht" sind nur vereinzelte Eingaben eingegangen.

Stichwort Rechtsextremismus
Die Anzahl der Verstöße weicht kaum von der der Vorjahre ab. Im Jahre 2004 waren es 134 Vorgänge, gegenüber 139 im Jahre 2003, gegenüber 111 im Jahre 2002. Auch in diesem Jahr sind es durchweg Propagandadelikte wie das Abspielen rechtsradikaler Lieder, das Grölen von Nazi-Parolen, das Zeigen des Hitlergrußes oder rechtsextremistische Schmierereien; dies alles nicht selten unter Alkoholeinfluß. Gewalt wurde dabei nicht verübt.
Die Bundeswehr reagiert auch darauf angemessen - bis hin zur Entfernung aus dem Dienst. Wegweisend war eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach wurde die Entlassung eines Soldaten bestätigt, weil er als NPD-Kreisvorsitzender nicht die Gewähr dafür biete, gemäß dem Soldatengesetz die freiheitliche demokratische Grundordnung anzuerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten.
In der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus genügen Sanktionen allein nicht. Gerade für die Verhinderung, aber auch für die Eindämmung dessen ist Politische Bildung nötig. Dafür muss ausreichend Zeit sein.
Gesellschaftspolitische Prozesse können indessen von der Bundeswehr nicht allein geschultert werden.

Schlußteil
Zum Jahresbericht gehört Statistisches. Nun denn: 62 Truppenbesuche, 54 sonstige Veranstaltungen; vier Informations-Tagungen, zahlreiche Einzelgespräche mit Soldaten, Betreuung von 62 Besuchergruppen (auch internationale) und regelmäßige Teilnahme an den Sitzungen des Verteidigungsausschusses - das ist auch Bilanz des Jahres 2004. 6.154 Vorgänge waren zu bearbeiten; das sind 72 mehr als im Vorjahr und gemessen an der Jahresdurchschnittsstärke der Bundeswehr von 264.000 Soldatinnen und Soldaten die höchste Eingabenquote seit Bestehen des Amtes. Einsender waren Mannschaftsdienstgrade bis hin zu Generalen; die Zeit- und Berufssoldaten waren besonders rege, die Grundwehrdienstleistenden machten sparsamer vom Eingaberecht Gebrauch, nämlich unterproportional.

Eingabezahl für das laufende Jahr 2005: rd. 1.000 Eingaben (Stand 10.03.2005: 978 - das sind im Vergleich zum Vorjahr minus 72). Endgültiges lässt sich natürlich noch nicht prognostizieren - wir sind ja noch am Anfang des Jahres. Aber es spricht viel dafür, dass die Anzahl der Eingaben nicht zurückgehen wird.

Ceterum censeo: Ich gebe die Erwartung nicht auf, dass die Ost-West-Besoldung fällt. Sie passt nicht, besonders nicht für die Parlamentsarmee Bundeswehr.
Quelle: http://www.bundestag.de/aktuell/archiv/2005/wbeauftragt2004/rede
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