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Debatte
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Wortlaut der Reden

Ingrid Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU Eberhard Diepgen,
Regierender Bürgermeister von Berlin >>

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU in Schleswig-Holstein hat sich auf ihrem Parteitag fast einstimmig für Berlin ausgesprochen. Auch mein Herz schlägt für Berlin. Doch mit dem Herzen allein kann keine verantwortliche Politik gemacht werden. Die Vernunft gebietet mir, mich heute für Bonn als Parlaments- und Regierungssitz auszusprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Daß ich mir diese Entscheidung angesichts des Votums meiner Partei nicht leichtgemacht habe, kann sich wohl jeder vorstellen. Deshalb muß ich ausdrücklich betonen, daß ich bei meinem Votum für Bonn keinerlei persönliche Interessen verfolge und daß ich kein Eigentum in Bonn habe oder keine andere Verflechtungen mit dieser Stadt habe. Für mich persönlich wäre Berlin näher und schneller zu erreichen. Meine Entscheidung für Bonn ist ausschließlich von der Sorge um die Menschen in den neuen Bundesländern, aber auch um die Menschen in Bonn und Umgebung getragen.

(Dr. Franz Möller [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Wir alle haben in diesen Wochen unendlich viele Briefe von Bürgern, nicht nur aus dem Wahlkreis, sondern aus ganz Deutschland erhalten. Der häufigste Vorwurf, der mir gemacht wurde, war der des Wortbruchs und der Unehrlichkeit, sollte ich mich gegen Berlin entscheiden. Am meisten aber wird wieder einmal die Glaubwürdigkeit der Politiker in Frage gestellt.

Dieser Vorwurf macht mich betroffen; aber er trifft nicht zu. Niemand konnte 1949 absehen, wann die deutsche Einheit zu gewinnen sei.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das haben wir alles nicht so gemeint?)

-- Herr Kollege Nolting, wahrscheinlich sind Sie nachher noch dran; dann dürfen auch Sie hier noch etwas sagen.

Die Einheit, über die ich sehr glücklich bin, hat Kosten verursacht und wird weitere Kosten verursachen, deren Höhe uns zu Beginn des Einigungsprozesses nicht klar war und deren Höhe auch zur Zeit noch nicht wirklich absehbar ist. Das kommunistische Regime in der ehemaligen DDR hat das Land in einem Zustand hinterlassen, der so desolat ist, daß es sich zur damaligen Zeit einfach kein Mensch vorstellen konnte.

Aufgrund dieser für uns neuen Tatsachen, die 1949 noch nicht geschaffen und auch nicht absehbar waren, muß es verantwortungsbewußten Politikern auch gestattet sein, 1991 neu zu überlegen. Wir können nicht ohne Rücksicht auf Finanzierbarkeiten Entscheidungen treffen. Die Lebensverhältnisse der Menschen in den neuen Bundesländern, die dortige Verkehrsinfrastruktur, die Wohnverhältnisse und die Arbeitsmarktsituation sind derzeit noch so schlecht, daß es einfach unverantwortlich wäre, hier nicht helfend einzugreifen und statt dessen neue Regierungs- und Parlamentsgebäude in Berlin zu errichten.

(Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD] und der Abg. Editha Limbach [CDU/CSU])

Unsere Brüder und Schwestern in den neuen Bundesländern haben

40 Jahre lang auf der Schattenseite des Lebens gestanden, weil sie zufällig im Osten Deutschlands und somit unter sowjetischer Besatzung und kommunistischer Unterdrückung leben mußten. Deshalb sehe ich es als unsere wichtigste Aufgabe an, diese Menschen zu entschädigen, ihnen zu helfen. Weil ich für die Menschen in den neuen Bundesländern bin, bin ich für Bonn.

(Zuruf von der SPD: Fragen Sie mal die Menschen!)

-- Oh, ich habe die Menschen gefragt, Herr Kollege, ich habe viel Verwandtschaft. Ich habe sie nicht erst nach der Einigung entdeckt, sondern ich habe die Bande arg gepflegt. Ich weiß, was die Menschen denken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Schon Konrad Adenauer sagte -- wörtlich --: »Als wir 1949 wieder mit dem Aufbau anfingen in Deutschland, da habe ich mir extra zur Hauptstadt eine kleine Stadt genommen, nämlich Bonn, und nicht nur, weil Berlin unerreichbar war, sondern weil politische Entscheidungen immer besser reifen in der ruhigen Atmosphäre einer Kleinstadt als in der Hektik einer Großstadt.« Adenauer hat mit dieser Entscheidung recht gehabt.

40 Jahre lang haben wir von Bonn aus politische Entscheidungen getroffen, die uns Deutschen die beste, dauerhafteste und stabilste Demokratie gebracht hat. Dazu aber haben auch ganz entscheidend die Menschen in Bonn und den umliegenden Regionen beigetragen. Diesen 35 000 Bediensteten mit ihren Familien schulden wir Dank und Dankbarkeit, der Putzfrau, dem Pförtner, dem Fahrer, dem Angestellten und dem Beamten.

(Dr. Franz Möller [CDU/CSU]: An die sollte man auch denken! -- Zuruf von der SPD: Die gab es auch damals!)

Weil ich mich auch für diese Menschen entschieden habe, entscheide ich mich für Bonn.

Die mutigen Männer und Frauen in der ehemaligen DDR sind nicht auf die Straße gegangen, um für Berlin als deutsche Hauptstadt und als Sitz von Parlament und Regierung zu demonstrieren.

(Konrad Weiß [Berlin] [Bündnis 90/GRÜNE]: Woher wollen Sie das wissen?)

Diese Menschen haben die friedlichste aller Revolutionen begonnen und durchgestanden, weil sie für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eingetreten sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ihr Beispiel für diese Ziele war die Politik, die von Bonn ausgegangen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Vizepräsident Helmuth Becker: Nunmehr hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Eberhard Diepgen, das Wort.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_020
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