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Debatte
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Wortlaut der Reden

Robert Antretter, SPD Hans Klein (München), CDU/CSU >>

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mich haben die Beiträge am meisten beeindruckt, die von den Kolleginnen und Kollegen aus den fünf neuen Ländern kamen, die ihrer Besorgnis Ausdruck gegeben haben, unsere Aufmerksamkeit könnte durch die Konzentration auf eine große Hauptstadt von den Problemen ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger abgelenkt werden.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Das war kein Pathos, das war Praxis!)

Die nüchterne Darstellung der Sorgen des Bürgermeisters von Halle, der hier als Kollege der FDP gesprochen hat, beeindruckt mich mehr als die beschwörenden Verweise auf die Einlösung eines historischen Auftrags.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Bündnisses 90/GRÜNE und der CDU/CSU)

Ich halte es sogar für gefährlich, fast keinen Einwand ertragend den Eindruck zu vermitteln, die deutsche Geschichte würde nur in der richtigen Richtung laufen, wenn wir uns heute für Berlin entscheiden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich kann mit den Aufgaben nichts anfangen, die unser Kollege Rupert Scholz einer Hauptstadt zuweist, nicht in seinem heutigen Beitrag, sondern in einem Plädoyer, das er jüngst schriftlich gegeben hat:

Hauptstadt . . . ist jene Metropole, in der sich das Schicksal eines Volkes erfüllt, in der sich eine Gesellschaft zum staatlichen Gemeinwesen konstituiert, wo sich der einzelne Bürger am besten mit seinem Gemeinwesen identifiziert beziehungsweise wo er am besten seine auch staatsbürgerliche Sozialisation empfängt.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Dann müssen wir alle nach Berlin!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht, daß politische Fragen, auch nicht die Frage der Hauptstadt, zu einem Naturereignis werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Das, was der Kollege Scholz wohlmeinend einer Hauptstadt zudenkt, das erfüllt sich in unserem föderalen Staat draußen in unseren Wahlkreisen, in den Regionen,

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!)

das erfüllt sich am Vorabend der Europäischen Union in den Hauptstädten unserer Länder, in den Vereinen, den Kirchen und Gewerkschaften. Da findet das statt, was er der Hauptstadt zudenkt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Das Risiko, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist mir zu groß, jetzt darüber zu philosophieren, ob diese Republik denn nicht eine andere werden müßte. Nein, im Herbst des vorigen Jahres ist unser Land ein anderes geworden, mit neuen Menschen, mit neuen Ländern, ein Land mit neuen Möglichkeiten, neuen Chancen, neuen Sorgen und neuen Hoffnungen. Diese Hoffnungen haben sich zuallererst darauf gerichtet, daß dieses hohe Maß an Freiheit, an Gerechtigkeit, an sozialer Sicherheit und an Wohlstand, das diese freiheitliche Ordnung 40 Jahre lang unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern möglich gemacht hat, auch wirksam werden möge in den neuen Ländern, mit denen wir zusammengekommen sind, weil sie zu uns gehören.

Dazu gehört, daß wir jetzt in dieser Situation, wo ein abgewirtschaftetes Land neu aufgebaut werden muß, nicht alles auf einen Punkt konzentrieren, was uns an Kräften und auch an Mitteln zur Verfügung steht. Das sind wir Leipzig schuldig, das sind wir Dresden schuldig, ebenso Rostock, Schwerin und den vielen anderen Städten in den neuen Ländern.

Da beeindruckt mich nicht die Anrufung der Stunde der Wahrheit, sondern da fühle ich mich herausgefordert durch die Gefahr, daß es zum politischen Unwetter kommen kann, wenn die soziale Unruhe weiter wächst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Stabilität der Demokratie in den neuen Ländern ist nicht der Hauptstadtfrage, sondern der Sozialfrage wegen gefährdet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Es kommt darauf an, daß wir denen keine Chance lassen, die anderen Völker wieder mit nationalistischen Tönen das Fürchten lehren, die uns einreden, die Lösung liege in der Parole: Deutschland den Deutschen.

Es kommt darauf an, daß wir die Versprechungen der Bundesregierung einlösen, nach der Währungsunion und nach Herstellung der Deutschen Einheit kämen die Investitionen. Darauf warten die Menschen in den fünf neuen Ländern.

Herr Kollege Schäfer, es mag sein, daß Ihre ausländischen Gesprächspartner manches nicht verstehen, was wir in diesen Tagen diskutieren. Die kommen ja meistens aus den Hauptstädten. Im Elsaß, in Estremadura und in Kalabrien sieht das ganz anders aus. Und was in Ländern wie Frankreich, England oder Italien die glänzende Hauptstadt ist, die alles an sich ziehen darf und das ganze Land zu repräsentieren sich berufen fühlt, das ist in der Bonner Republik die Bestimmung des Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 geworden, die den Bund auf die Herstellung und Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse verpflichtet. Das heißt natürlich nicht, daß diese Verfassung eine Hauptstadt ausschließt, aber ihrem Geist entspricht eine kleine Hauptstadt mehr als eine große Kapitale.

Deshalb stimme ich für Bonn.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP sowie des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/GRÜNE])

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun erteile ich dem Abgeordneten Klein das Wort.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_095
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