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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Ludwig Stiegler, SPD Margitta Terborg, SPD >>

Die Befürworter des Umzugs nach Berlin pochen auf die Glaubwürdigkeit der Zusage, nach Herstellung der deutschen Einheit Regierung und Parlament in Berlin anzusiedeln. Ich muß für mich und viele meiner Generation sagen, daß ich jedenfalls Erklärungen dieser Art nie wörtlich genommen habe. Sie waren für mich Chiffre dafür, daß wir Freiheit und Sicherheit Berlins verteidigen und halten, solange diese Freiheit bedroht war.

Berlin ist heute nicht mehr bedroht. Es ist eine Metropole, die in die Selbständigkeit entlassen werden kann, auch wenn sie in der Übergangszeit noch Hilfe und Unterstützung im Osten der Stadt braucht. Viele Berlin-Befürworter beschwören, daß Berlin in den schlimmen Zeiten standgehalten habe. Das ist wahr und doch nur die Hälfte der Wahrheit. Berlin hat nur dank der Bonner Politik widerstehen können, weil außenpolitisch, sicherheitspolitisch und wirtschaftspolitisch viele Opfer für Berlin gebracht worden sind. Die Hauptlasten dafür hat sehr lange Zeit Nordrhein-Westfalen getragen, das bis zu seiner eigenen Strukturkrise die Hauptlast des Finanzausgleiches getragen hat.

Die Glaubwürdigkeit der Aussagen in dieser Zeit um das Ringen für das Überleben der Stadt muß sich auch an den Veränderungen der deutschen und europäischen Politik messen lassen. Ist es nicht so, daß viele, die heute Glaubwürdigkeit für Berlin einklagen, auch den sich abzeichnenden Verzicht auf die ostdeutschen Gebiete als Verrat gebrandmarkt haben? Haben nicht auch alle, die solche Positionen einmal vertreten haben, mit Recht den deutsch-polnischen Grenzvertrag abgeschlossen und bei den völkerrechtlichen Verträgen zur außenpolitischen Absicherung der Deutschen Einheit unhaltbare Positionen geräumt? Es gibt keinen Grund, diejenigen am Portepee der Glaubwürdigkeit zu fassen, die sich heute für Bonn entscheiden.

Es ist oft unterstrichen worden, daß Bonn Symbol für die erste funktionierende Demokratie in Deutschland ist. Bonn ist Symbol eines gelungenen kooperativen Föderalismus; Bonn ist Symbol für eine Regierungs- und Parlamentsstadt, die die Entwicklung aller regionalen Zentren nicht behindert, sondern gefördert hat. Ein Blick zurück in die Geschichte lehrt, daß in der Weimarer Republik die Konflikte zwischen Berlin und den Ländern zu den schwersten Belastungen des gescheiterten ersten Versuches der Deutschen, eine parlamentarische Demokratie zu schaffen, gehört haben. Für mich gehört es zu den Grundgesetzen einer regionalen Entwicklung, daß Metropolen wie Berlin kraft ihrer Eigendynamik fast gesetzmäßig dazu neigen, zentripetale Kräfte zu entfalten und die Regionen auszusaugen und in ihrer Entwicklung zu behindern. Ich bin für die Gleichheit der Lebensverhältnisse im ganzen Land. Ich fordere auch Entwicklungschancen für die neuen Länder und auch für alte unterentwickelte Regionen. Eine Entscheidung für die Metropole Berlin ist eine Entscheidung gegen die ländlichen Regionen und die kleineren und mittleren regionalen Zentren im Osten wie im Westen. Nur ein polyzentrisches Deutschland gewährleistet die Gleichheit der Lebensverhältnisse überall und das politische Gleichgewicht zwischen Region und Zentrale.

Bonn ist für mich das Symbol für ein europaverträgliches Deutschland. Die Bonner Politik hat die Deutschen in die Europäische Gemeinschaft geführt, zu einem geachteten Mitglied der Völkergemeinschaft gemacht und auch in die Lage versetzt, die Brücken nach Osteuropa zu schlagen. Das Vereinte Deutschland muß darauf achten, daß es europaverträglich bleibt, daß nicht wieder ein deutsches Bewußtsein entsteht, das nicht verträglich ist mit den Notwendigkeiten unserer europäischen Nachbarn. Bonn ist die Stadt des effektiven deutschen Understatements, das allein die angemessene Reaktion auf unsere gewachsene politische Bedeutung ist. Bonn ist der Ausdruck eines europaverträglichen Deutschlands. Die erste deutsche Einheit, die mit dem Namen Berlin verbunden ist, war nicht europaverträglich.

Für mich gelten aber auch innenpolitische Gründe bei meiner Entscheidung für Bonn. Wir sind dabei, die deutsche Wirtschaft und die Finanzkraft zu überfordern. Wir verlangen alle von unseren Mitbürgern erhebliche Opfer, wahrscheinlich für lange, lange Zeit. Wir werden alle in unseren Wahlkreisen spüren und erleiden, daß viele Wünsche zurückgestellt werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist jede nicht unbedingt notwendige Ausgabe verantwortungslos. Die Kosten eines Umzuges gehören dazu.

Wir haben eine funktionierende Regierungszentrale. Jeder Pfennig Mehrausgabe hält uns von notwendigen Ausgaben für den Wiederaufbau im Osten Deutschlands und -- daran darf wohl auch noch erinnert werden -- auch hier im Westen ab. Ich darf daran erinnern, daß es auch in der alten Bundesrepublik noch Regionen gibt, die zurückgeblieben sind oder zurückfallen sollen. Diese müssen jetzt vor den neuen Bundesländern zurückstehen. Es ist aber nicht verantwortbar, auch nur eine Mark mehr für Symbole auszugeben.

Ein letztes: Wir brauchen in der Zeit des Übergangs einen festen archimedischen Punkt. Dies ist Bonn. Wer jetzt auflöst, hat keinen Anker mehr. Ich stimme für die Bonner Tradition und für die Stabilität, damit wir in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit dem deutschen und europäischen Osten helfen können, ohne unsere Aufgaben in der Dritten Welt zu vernachlässigen.

Margitta Terborg, SPD >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_197
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