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75/1999
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GEDENKSTÄTTEN-LEITER GEGEN EIN NEUES HOLOCAUST-MUSEUM

Berlin: (hib) Die Debatte im Deutschen Bundestag über ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin sollte genutzt werden, um ein grundsätzliches Zeichen im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu setzen. Dazu riefen Professor Reinhard Rürup von der Stiftung "Topographie des Terrors" und Johannes Tuchel von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand die Abgeordneten des Ausschusses für Kultur und Medien am Dienstag vormittag auf. In der ersten Ausschußsitzung im umgebauten Reichstagsgebäude hörten die Abgeordneten die Vertreter von Gedenkstätten, Vereinigungen und Institutionen im Beisein einer großen Zahl von Zuhörern.

Für Rürup muß die Frage geklärt werden, ob in Berlin ein Denkmal für die Opfer des Holocaust oder ein Mahnort, der an die Verbrechen der Deutschen erinnert, entstehen soll. Rürup plädierte für ein Holocaust-Mahnmal, das an die Verbrechen erinnert. Den Vorschlag, das Denkmal durch einen "Museumskomplex" zu verbinden, lehnte er dagegen ab. Die Entscheidung für ein Museum wäre eine Entscheidung gegen die gewachsene Museumskultur in Deutschland und gegen die bisherige Politik, an den konkreten Orten zu gedenken. Tuchel sprach sich dafür aus, die bestehenden Gedenkstätten stärker in die Diskussion einzubeziehen. Die Gedenkstätten seien nicht mehr nur Erinnerungsorte. Dies verlange, die Erinnerungsarbeit stärker mit politischer Bildung und Forschungsaufgaben zu verknüpfen. Um glaubwürdig zu sein, müßte vor der Errichtung eines Denkmals die Frage einer Entschädigung der letzten noch lebenden Opfer geregelt sein. Die Entscheidung des Bundestages für ein zentrales Mahnmal mache die Unterstützung der vorhandenen Gedenkstätten erforderlich. Eine Information sollte auf bestehende Erinnerungsorte in Berlin verweisen, sagte Tuchel.

Peter Jahn vom Deutsch-Russischen Museum hielt ein Museum mit Dokumentation und Bibliothek beim Denkmal für "geschichtsblind", befürwortete jedoch ein damit verbundenes Gebäude, um den Besuchern "einiges über unsere Zweifel und Bauchschmerzen" mitzuteilen. Auch Günter Morsch von der Gedenkstätte und dem Museum in Sachsenhausen wandte sich dagegen, eine Art "Haus der Geschichte" beim Denkmal entstehen zu lassen. Volkhard Knigge von der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten betonte, der Bau des Holocaust-Denkmals müsse sich von der bisherigen ost- und westdeutschen Tradition im Umgang mit historischen Gedenkstätten deutlich unterscheiden. Aus der lebendigen Erinnerung müsse so etwas wie ein kulturelles Gedächtnis werden. Bisher sei es um das Eingeständnis von Schuld gegangen, mit Blick auf künftige Generationen gehe es um Erinnerung. Dies beziehe auch Wissensvermittlung mit ein. Denkmale sind nach Aussage Knigges politische Symbole, Formen nationalen Selbstausdrucks, in denen formuliert wird, was Teil des kollektiven Gedächtnisses sein soll. Ein solches Symbol würde die Arbeit der Gedenkstätten unterstützen. Nach Einschätzung Knigges würde es keinen Sinn machen, "künstliche authentische Orte" zu bauen. Es läge nahe, ein Denkmal zu errichten, das ästhetisch vor allem die Tat in Erinnerung halten soll. Ein weiteres "Friedhofsdenkmal" könne es nicht sein.

Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Siegfried Vergin sprach sich für eine Parlamentsentscheidung zugunsten des Eisenman-II-Entwurfs (Stelenfeld) aus. Am vorgeschlagenen Standort zwischen Regierungsviertel und Geschäftsviertel am Potsdamer Platz werde eine "symbolische Leere" sichtbar, so Vergin. Der Entwurf sei nicht von Monumentalität geprägt und ermögliche stilles Gedenken. Rainer Klemke von der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur äußerte Bedenken gegen das Vorhaben, das Denkmal mit einem Holocaust-Museum zu verbinden. Die "Hinterlassenschaften des NS-Regimes" brauchten in Berlin nicht "musealisiert" zu werden. Wenige Minuten vom Denkmal entfernt befände sich die Stiftung "Topographie des Terrors", wo eine Dokumentation zur Verfügung stünde. Für Prof. Bernd Faulenbach von der historischen Kommission des SPD-Vorstands hat die Anhörung gezeigt, daß es sinnvoll sei, die Frage des Denkmals mit der Gedenkstättenkultur zu verknüpfen. Berlin und seine Umgebung hätten eine entwickelte Gedenkstättenlandschaft. Diese vorhandenen Gedenkstätten sollten stärker gefördert werden. Zum Teil würden überzogene Ansprüche an das Denkmal erhoben, sagte er. Es könne nicht mehr leisten als Denkmale zu leisten vermögen. Nach Meinung Faulenbachs sollte es ein unübersehbares Zeichen sein, daß sich "unsere Demokratie" an den Judenmord und die NS-Taten erinnern will. Die Nähe zu den Zentren staatlicher Macht erscheine angemessen. Nicht zwingend sei ein neues großes "Haus der Erinnerung". Es würde mit den vorhandenen Gedenkstätten sowohl um Besucher als auch um Mittel konkurrieren.



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Quelle: http://www.bundestag.de/bic/hib/1999/9907501
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