Experten uneins über nachträgliche Sicherungsverwahrung
Berlin: (hib/MAP) Die Sicherungsverwahrung soll auch ohne Vorbehalt nachträglich angeordnet werden können, wenn sich die Gefährlichkeit verurteilter Straftäter während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe ergibt, so Oberstaatsanwalt Christoph Frank vom Deutschen Richterbund in seiner schriftlichen Stellungnahme zur heutigen öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses. Ziel der Veranstaltung, die um 14 Uhr im Jakob-Kaiser-Haus begonnen hat, ist es, Gesetzentwürfe der Koalition (15/350) und der CDU/CSU (15/29) zu Änderungen im Sexualstrafrecht von Sachverständigen beurteilen zu lassen. Es sei staatliche Verpflichtung, auch mögliche künftige Opfer zu schützen, so Frank. Die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung sei ohne Zweifel ein schwerer Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen, doch dieser sei abzuwägen gegen das ebenfalls grundgesetzlich geschützte Recht der Bevölkerung auf eine funktionierende Strafrechtspflege und auf den staatlichen Schutz vor Straftätern. Auch Thomas Rösch, Leitender Regierungsdirektor der Justizvollzugsanstalt Freiburg im Breisgau, äußert sich zustimmend zur Verschärfung der Sicherungsverwahrung. Der Druck, der von der Regelung ausgehe, führe zu einem ersten Schritt in Richtung Therapie. Anders beurteilt dies Professor Dr. Norbert Leygraf vom Institut für Forensische Psychiatrie in Essen. Seinen Ausführungen zufolge laufe die nachträgliche Anordnung in der Regel auf den Versuch einer Korrektur von (angeblich oder tatsächlich) falschen Urteilen im Erkenntnisverfahren hinaus. Der Gedanke, dass sich die wahre Gefährlichkeit eines Straftäters erst während des Strafvollzugs herausstellen könne, gehe an der prognostischen Realität vorbei, so Leygraf. Im Übrigen ergäbe sich die Gefahr einer prognostischen Überbewertung des Vollzugsverhaltens. Überaus erstaunt sei er darüber, welche Hochachtung man hier gegenüber Prognosesachverständigen zeige, während man ansonsten die mangelnde Qualität und Zuverlässigkeit der Prognosegutachten kritisiere.
Diskussionsbedarf ergibt sich nach den Experteneinlassungen auch hinsichtlich der beabsichtigten Veränderungen bei den Straftatbeständen gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Kritisch zur Streichung "minder schwerer Fälle" beim sexuellen Kindesmissbrauch äußert sich Professorin Monika Frommel, Direktorin des Instituts für Sanktionenrecht und Kriminologie in Kiel. Der Änderungsvorschlag von SPD und Bündnisgrünen breche sich in Einzelfällen an einer soziologisch und sexualwissenschaftlich gut dokumentierten Veränderung des Sexualverhaltens und der Sexualmoral junger Menschen. Die "Zubilligung" eines "minder schweren Falles" garantiere im Einzelfall das sexuelle Selbstbestimmungsrecht 13-Jähriger. Ebenso ablehnend, aber aus anderem Grunde, steht dem Regierungsentwurf Reinhard Nemetz, Leitender Oberstaatsanwalt in Augsburg, gegenüber. Der Entwurf würde seinem Anspruch, das Sexualstrafrecht fortzuentwickeln, nicht gerecht. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes gelte in der Öffentlichkeit als "Verbrechen schlechthin" und müsse daher auch, wie im Oppositionsentwurf vorgesehen, mit einem "markanten" Grundstrafrahmen ausgestaltet werden. Der sexuelle Kindesmissbrauch würde dann als besonders verwerflich gekennzeichnet.
Die Forderung der CDU/CSU (15/31) Erkenntnisse aus sozialtherapeutischen Maßnahmen für inhaftierte Sexualstraftäter bundesweit auszuwerten, wird in den Stellungnahmen begrüßt. Das Projekt sei sinnvoll, so Nemetz, da es letztlich der Verbesserung dieser Behandlungsmaßnahmen und damit auch dem Opferschutz diene. Rösch schlägt sogar vor, die wissenschaftliche Begleitforschung auf "andere gefährliche Straftäter" auszuweiten.