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September 03/1998
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Die Macht der eintausend

Die Rolle der Demoskopie bei den Bundestagswahlen

Blickpunkt Bundestag-Gespräch mit Klaus Peter Schöppner vom Meinungsforschungsinstitut Emnid Welche Rolle spielt die Demoskopie in der Politik, speziell im Wahlkampf? Im US-Präsidentschaftswahlkampf beispielsweise ist die Demoskopie ein zentrales und unerläßliches Mittel, um nicht nur Wählerpräferenzen zu prüfen, sondern auch Stimmungen zu erfassen. Kommt der Kandidat an? Entspricht seine Kleidung dem Geschmack der Mehrheit? Aber Probleme bleiben. Meinungsumfragen werden zu einem Instrument politischer Auseinandersetzung. Durch ständige Bekanntgabe neuer Daten, die einen haushohen Sieg des Labour-Kandidaten Tony Blair vorhersagten, wurde beispielsweise der Wahlkampf der britischen Konservativen "entmutigt", wie ein Manager hinterher einräumte.
Nach welchen Gesetzen funktioniert Demoskopie in Deutschland? Ein Gespräch mit Klaus Peter Schöppner vom Meinungsforschungsinstitut Emnid.

Wie zuverlässig können Meinungsumfragen sein?
Sie sind sehr zuverlässig. Aber natürlich gibt es einen statistischen Unsicherheitsbereich.

Was meinen Sie konkret?
Bei den repräsentativen Umfragen zufällig ausgesuchter Befragter haben Sie immer Abweichungen, denn Sie können den Querschnitt von 60 Millionen Wählern nicht hundertprozentig originalgetreu abbilden. Bei Umfragen mit 1000 Befragten liegt die Ungenauigkeit bei etwa plus/minus drei Prozent. Im Klartext: Wenn eine solche Befragung den Wert von 50 Prozent für eine Partei X ergibt, heißt dies, daß sie irgendwo zwischen 47 und 53 Prozent liegt.

Das wird bei der Fünf-Prozent-Grenze aber problematisch.
Ein von Demoskopen ermittelter Wert von fünf Prozent kann 4,7, aber auch 5,3 Prozent bedeuten.

Mit Ihrer Einschränkung ist beispielsweise ein Drei-Prozent-Vorsprung in Umfragen nicht gerade ein Ruhekissen.
Rein theoretisch kann ein solcher Vorsprung einen ebensolchen Rückstand bedeuten. Aber das ist Theorie. Denn die Umfragen bieten schon den wahrscheinlichsten Wert.

Gilt die Formel: Je mehr Befragte, desto seriöser die Umfragen?
Ja und Nein. Statistisch stimmt es. Bei 2000 Befragten haben Sie eine statistische Unsicherheit von plus/minus 1,8 Prozent. Bei 10 000 Interviewten läge die Unsicherheit bei 1,2 Prozent. Eine umfassende Befragung braucht aber mehr Zeit. Der Abstand vom Ergebnis zum Erhebungszeitraum wird länger, eben auch zu lang.

Sie ermitteln doch ohnehin nur Meinungen aus der Vergangenheit.
Das ist richtig. Demoskopie liefert bestenfalls eine Analyse von gestern. Wenn wir heute fragen, was die Menschen in ein paar Wochen wählen, kommen Ergebnisse ohne Bedeutung heraus. 50 Prozent der Bevölkerung wissen derzeit nicht, wen sie wählen werden. Die großen Parteien verfügen derzeit über weniger als 20 Prozent ganz sicherer Wähler. Wir müssen die Gruppe derjenigen, die keine Antwort gegeben haben, "hochrechnen", um auf jene Ergebnisse zu kommen, die Sie dann in der Zeitung lesen können. Wie bewältigen Sie eine kurzfristig in Auftrag gegebene Umfrage?
Das ist kein Problem. Wir haben Zusammenstellungen von Telefonnummern für schnelle, telefonische Umfragen. Eine andere Möglichkeit: Es gibt "Omnibus"-Befragungen. Wir führen täglich Interviews mit Wählern durch. Wenn ein Auftraggeber eine schnelle Erhebung haben will, kann er sich dort mit seinen Fragen beteiligen.

Warum befragt man nicht die identische Gruppe, warum keine Langzeituntersuchung?
Sie kriegen nie dieselben Menschen zusammen, sondern höchstens 80 Prozent. In diesen sogenannten Panels liegt auch ein systematischer Fehler. Wenn die Menschen wissen, daß der Befrager in ein paar Wochen wiederkommt, informieren sie sich genauer zu dem Thema. Das verzerrt aber die Repräsentativität. Eine zweite Schwierigkeit: Die Interviewten behalten Ergebnisse der ersten Befragung in Erinnerung und orientieren später ihre Antworten an dieser ersten Befragung.

Welchen Einfluß haben Fragestellungen?
Einen großen. An ihnen kann man seriöse von unseriöser Demoskopie unterscheiden. Ein Beispiel aus dem Arbeitsmarkt: Wenn Sie nach dem Muster fragen "Die einen haben diese Meinung, die anderen jene", kriegen Sie andere Ergebnisse, als wenn Sie fragen: "Die Arbeitgeber sind der Auffassung, daß... Es gibt aber auch andere Meinungen. Was denken Sie?" Der Begriff Arbeitgeber kann Verschiebungen von sechs bis zehn Prozent bedeuten. Ebenso natürlich "Gewerkschaften".

Sagen Befragte auch die Unwahrheit?
Das gilt gerade für die Präferenz bei extremen Parteien. Wir nennen diesen Faktor "soziale Erwünschtheit".

Sind die Befragten auch gerne auf der Siegerseite?
Das gibt es. Es gibt aber auch den Mitleidseffekt. Die politische Stimmung hat einen Einfluß. 1980 hat kaum jemand zugegeben, Franz-Josef Strauß zu wählen. Die Union blieb gleichwohl stärkste Bundestagsfraktion. Wir versuchen das mit dem "Recall-Effekt" auszugleichen.

Was ist das?
Wir fragen auch, was die Menschen vor vier Jahren gewählt haben. Mit kleinen Abweichungen müßte ja dann das tatsächliche Ergebnis herauskommen. Tut es aber nicht. Das jetzige Ergebnis hängt von der aktuellen Parteienstimmung ab. An der Differenz können wir den Einfluß der politischen Stimmung ermessen und die Umfragen entsprechend gewichten.

Wie schnell können Meinungsumfragen dramatische Änderungen in der Wählerhaltung erfassen? Bei der Wahl in Sachsen-Anhalt gab es ja erhebliche Unterschiede zwischen Prognose und dem tatsächlichen Abschneiden der rechtsextremen Parteien.
Es kann relativ schnell erfaßt werden. Aber hier kommen wir auf das alte Problem: Unter dem öffentlichen Druck wagen wenige, sich zu extremen Parteien zu bekennen. Unser Institut hat zehn Tage vor der Wahl die DVU bei sechs Prozent gesehen. Tatsächlich bekam sie mehr als das Doppelte. Wir wissen nicht, ob unsere Erhebung richtig war oder ob es in den letzten Tagen vor der Wahl einen Spiraleffekt gegeben hat. Wahrscheinlich stimmt beides.

Angeblich hat Jacques Chirac durch den französischen Sieg bei der Fußball-WM ein Popularitätsplus von 15 Prozent bekommen. Wie schnell brauchen solche Ergebnisse, um auf die Wählerhaltung durchzuschlagen?
Ich habe zwar meine Zweifel, ob diese Zahl korrekt ist. Aber unabhängig davon: Ein Ergebnis kann nicht völlig gegen den Trend wirken. Eine positive Grundstimmung muß existieren, das diesen Vorgang trägt. Dann kann das schnell durchschlagen.

Herr Schöppner, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9803/9803079b
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