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November 04/1998
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"Ein neues Verständnis für die Verfahrensweise der parlamentarischen Demokratie"

Interview mit dem neuen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, SPD

Wie sehr verstehen Sie Ihr neues Amt auch politisch?
In meiner Antrittsrede habe ich einige Themen angesprochen, die mir wichtig scheinen. Ich möchte an einer gemeinsamen Anstrengung des Bundestages mitwirken, neues Verständnis für die Verfahrensweise der parlamentarischen Demokratie und ihre Gründe zu wecken - sie gewährleisten Pluralismus, Toleranz, Minderheitenschutz, also die Freiheit jedes Einzelnen. Es geht auch darum, Toleranz und gegenseitiges Verständnis zwischen Ost- und Westdeutschen zu fördern. Ganz wichtig ist die Frage, ob der Deutsche Bundestag sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen Feinde der Demokratie verständigen kann, wobei die von rechts derzeit mehr Sorgen machen als die von links. Nicht zuletzt möchte ich die internationalen Kontakte mit anderen Parlamenten in den Dienst unserer deutschen Außenpolitik der guten Nachbarschaft und der Einigung Europas stellen. Das ist alles sehr politisch, und man wird sehen, inwieweit der Bundestag einen Konsens über diese Anregungen findet.
Hat der Bundestag jetzt einen Präsidenten, der sich auch besonders um die Fragen in den neuen Ländern kümmern wird?
Das wird so sein. Dieser Teil meiner bisherigen wie zukünftigen Arbeit hat nicht zufällig am Beginn meiner Antrittsrede gestanden.
Gibt es neue Schwerpunkte bei der parlamentarischen Arbeit?
Die Schwerpunkte bei der parlamentarischen Arbeit bestimmen die Abgeordneten und ihre Fraktionen selbst. Bei allem notwendigen Streit muß es meines Erachtens immer um die Frage gehen: "Was hält die Gesellschaft zusammen?"
Werden Sie die lange Debatte über eine Parlamentsreform neu anstoßen und wo sehen Sie die Änderungsmöglichkeiten?
Zunächst einmal finde ich den mühsam errungenen Kompromiß, der uns Kernzeitdebatten, eine Veränderung der Fragestunde, die Zwischenintervention, die Möglichkeit öffentlicher Ausschußsitzungen und nicht zu vergessen, die Verkleinerung des Deutschen Bundestages gebracht hat, eine gute Grundlage für unsere Arbeit. Natürlich sollte sich niemand weiteren Reformvorschlägen verschließen.
Der Reichstag ist so gut wie fertig. Glauben Sie, daß dieser Tagungsort eine Veränderung der Debattenkultur mit sich bringen wird?
Ich sehe nicht, daß etwa die leicht veränderte Form des Plenarsaals oder andere bauliche Charakteristika unmittelbare Auswirkungen auf die Debattenkultur haben werden. Ich lege bei allem Verständnis dafür, daß das Gebäude traditionell "Reichstag" genannt wird, Wert darauf, daß dort ab nächsten Sommer der Deutsche Bundestag arbeitet.
Es wird immer wieder von einer Berliner Republik gesprochen. Gab es denn eine Bonner Republik? Was halten Sie von derartigen Begriffen?
Ich habe in meiner Antrittsrede das Geraune um die "Bonner" und die "Berliner" Republik aufgegriffen. Ich halte nichts davon, unsere Bundesrepublik Deutschland mit solchen mißverständlichen und immer erklärungsbedürftigen Verkürzungen zu bezeichnen.
Sie sind der erste sehr hohe politische Repräsentant auf Bundesebene aus den neuen Ländern, insofern schon jetzt ein Stück der noch nicht vollendeten deutschen Einheitsgeschichte. Was empfanden Sie bei Ihrer Wahl zum Präsidenten des Deutschen Bundestages?
Ich kann das ganz persönlich sagen, weil es in meinem Elternhaus üblich war, Debatten des Deutschen Bundestages zu verfolgen; der RIAS Berlin ermöglichte uns das. Von dieser Erfahrung bin ich geprägt. Auf die Möglichkeit öffentlicher Rede, parlamentarischer Debatte, habe ich immer gehofft. Deshalb hat mich die Wahl zum Präsidenten des Deutschen Bundestages sehr bewegt.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9804/9804015
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