Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 1998 > Blickpunkt Bundestag - November 1998, Nr. 4/98, Inhalt >
November 04/1998
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Die Speerspitzen der Fraktionen im Deutschen Bundestag

Die Fraktionen und ihre neuen Vorsitzenden

Fraktionen sind nach der Geschäftsordnung des Bundestages "Vereinigungen..., die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen." Mindestens fünf Prozent der Abgeordneten sind erforderlich, um eine Fraktion zu bilden und damit alle parlamentarischen Rechte in Anspruch zu nehmen. In der 14. Legislaturperiode gibt es fünf Fraktionen im Bundestag: SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP und PDS. Die Vorsitzenden der Fraktionen gehören zu den mächtigsten und einflußreichsten Mitgliedern des Parlaments. Sie organisieren den Zusammenhalt der ihnen anvertrauten Fraktion. In den Debatten über die politischen Generalthemen ergreifen sie für ihre Fraktionen in der Regel das erste Wort. Die Chefs der Regierungsfraktionen dienen als Schaltstelle zwischen der Regierungsspitze und den Abgeordneten. Sie vertreten zum einen die Interessen der Volksvertreter. Andererseits müssen sie dafür sorgen, daß im Parlament bei den Abstimmungen eine Mehrheit gesichert ist. In der Opposition stehen andere Aufgaben im Vordergrund: Kritik an der Regierung, aber auch das Erarbeiten und Aufzeigen inhaltlicher Alternativen. Zwar haben solche Konzepte nur selten eine Chance, von der Regierungsfraktion anerkannt und übernommen zu werden. Aber über den Hauptverbündeten jeder Opposition - der Öffentlichkeit - kann es jedoch durchaus gelingen, Einfluß auf die Arbeit der Regierung zu nehmen.

Peter Struck, Chef der SPD-Fraktion

Die Wahl zum Chef der 298 SPD-Bundestagsabgeordneten kam für Peter Struck ziemlich überraschend. Sein Vorgänger Rudolf Scharping war vom designierten Bundeskanzler und vom SPD-Vorsitzenden gedrängt worden, ins Verteidigungsministerium zu wechseln; der SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering zog sein Interesse zurück. So wurde der Weg frei für den 55jährigen promovierten Juristen aus Uelzen in Niedersachsen.

Erfahrener Parlamentarier

Struck gehört zu den erfahrensten Parlamentariern im Deutschen Bundestag. Er  hat das politische Handwerk von der Pike auf gelernt, zunächst als Kommunalpolitiker. Als er 1980 erstmals ins Parlament zog, regierte noch die sozial-liberale Koalition. Im Haushalts-ausschuß, dem einflußreichsten Gremium des Parlaments, ging er in die Lehre und emanzipierte sich bald als Finanzpolitiker seiner Fraktion. Struck gilt  als kommunikativer und pragmatischer Politiker. Struck interessierte sich besonders für die Mechanismen der Macht. Ihn faszinierte, in wie beträchtlichem Maße der Entstehungsprozeß eines Gesetzes auch von den zwischen-menschlichen Faktoren im parlamentarischen Alltag abhängt. 1990 stieg Struck zum Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion auf. In dieser Funktion arbeitete er den Fraktionschefs Hans-Jochen Vogel, Hans-Ulrich Klose und Rudolf Scharping als ordnende, disziplinierende und helfende Hand zu.

Diszipliniert und zuverlässig

In Kategorisierungen wie der vom  Mann mit der Peitsche spiegelt sich Strucks Verständnis wider, eine gestellte Aufgabe zuverlässig zu erledigen. Struck kann selbst sehr diszipliniert sein. Aber er verfügt auch über ein feines Gespür für die Räson des Staates und die Würde des Parlaments. Das verschaffte ihm Anerkennung und Respekt über die Parteigrenzen hinweg. Struck zählte in den vergangenen Jahren zu den wichtigsten SPD-Unterhändlern im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat. In diesem Gremium wird die Kunst des Kompromisses und des Brückenschlages über scheinbar unüberwindliche Gegensätze praktiziert. Weil ihm das häufig gelang, geriet Struck in den Ruf des Oberstrippenziehers. Mit dem CSU-Vorsitzenden Theo Waigel ist er per Du; beide spielten lange in der Fußballmannschaft des Bundestages. Der ausscheidende Bundeskanzler Helmut Kohl ernannte ihn sogar zum Lieblingssozi.

Kenner des politischen Geschäftes

Struck kennt die verborgenen Drähte im Regierungsviertel wie kaum ein Zweiter. Als Chef der Regierungsfraktion wächst Struck nun in eine der bedeutsamsten Funktionen der künftigen Regierungskoalition hinein. Er steht dafür ein, daß die Unterstützung der Bundesregierung durch die SPD-Fraktion gewährleistet wird. Zugleich muß Struck die politischen Anliegen der Abgeordneten bei der Bundesregierung vertreten. Ihm kommt zugute, daß alle 298 SPD-Parlamentarier von einem Wechsel ihrer gewohnten Rolle betroffen sind. Auch das hat wohl zum großen Vertrauensbeweis beigetragen, den die Abgeordneten ihrem neuen Chef bei dessen Wahl aussprachen. Struck erhielt 271 von 290 Stimmen.

Wolfgang Schäuble, Fraktionschef der CDU/CSU

Mehr als die Hälfte seines Lebens hat Wolfgang Schäuble inzwischen im Deutschen Bundestag verbracht. 1972 kam er als 30jähriger Abgeordneter des Wahlkreises Offenburg nach Bonn. Seither stieg Schäuble zum zeitweise beliebtesten deutschen Politiker empor. Unbestritten ist Schäuble nach dem Ende der Ära Kohl zum führenden Politiker der CDU aufgerückt. Neben dem Fraktionsvorsitz im Bundestag, den er seit November 1991 innehat, wurde er nun auch zum Parteivorsitzenden vorgeschlagen.

Erste Erfolge im parlamentarischen Untersuchungsausschuß

Die Aufgaben und die Arbeit einer Oppositionsfraktion kennt Schäuble noch aus eigenem Erleben im Bundestag. Seine ersten Erfolge feierte er in einem parlamentarischen Untersuchungs-ausschuß, in dem es ihm gelang, die sozial-liberale Regierung gehörig unter Druck zu setzen. Helmut Kohl, der 1976 als Oppositionsführer nach Bonn gekommen war, lernte die Talente des jungen Juristen schon bald zu schätzen. 1981 stieg Schäuble zum Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion auf. Rasch wuchs er in die Rolle als rechte Hand des damaligen Fraktionschefs Alfred Dregger hinein. Schäubles gutes Vertrauensverhältnis zu Kohl verhalf ihm 1984 zum Sprung in die Regierung. Er wurde Chef des Bundes-kanzleramtes. Dort erwies er sich als effizienter Sachverwalter und zunehmend auch Gestalter der Regierungszentrale.

Deutsche Einheit als politische Bewährungsprobe

Im Zuge der deutschen Einheit bestand Schäuble seine große politische Bewährungsprobe. Gerade erst zum Bundesinnenminister gekürt, handelte er den Einigungsvertrag zwischen beiden deutschen Staaten aus, der bis heute zur Grundlage des Zusammenwachsens der Deutschen werden sollte. Auf dem Höhepunkt des Erfolges, kurz vor der Bundestagswahl, wurde er Opfer eines Attentats, das ihn seither an den Rollstuhl fesselt. Schäuble versteht sich als konzeptioneller Denker und Vordenker. Aufgrund dieser Eigenschaft war er in der Koalition von CDU/CSU und FDP zuletzt zur zentralen Figur geworden. Er überzeugte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), weitreichende Reformen im Arbeitsrecht und der Sozialversicherung vorzunehmen. Manche sprachen von Schäuble als dem  geschäftsführenden Kanzler. In seiner neuen Rolle als Oppositionsführer will Schäuble einen scharfen Konfliktkurs zur neuen rot-grünen Koalition ansteuern. Eine Opposition über Grundsatzfragen strebt er an. Er zeigt sich überzeugt, daß es ohne diese Angriffslust der CDU/CSU bald  eine andere Republik gäbe.

Rezzo Schlauch und Kerstin Müller- Fraktionssprecher von Bündnis 90/Grüne

Mit seinem barocken Äußeren ist Rezzo Schlauch, der Rechtsanwalt aus Stuttgart, im Bundestag bereits in den hinteren Bänken aufgefallen. Nach dem Wahlsieg von SPD und Grünen rückt Schlauch gemeinsam mit Kerstin Müller, Juristin aus Köln, an die Spitze der Fraktion. Das entspricht dem Ämterverständnis der Grünen, nach dem je ein Vertreter des Realo- und ein Repräsentant des linken Parteiflügels die Partei und die Bundestagsfraktion führen.

Geprägt durch 68er-Bewegung: Rezzo Schlauch

Schlauch, der aus liberalem Pfarrershaus stammt, wurde geprägt durch die 68er-Studentenbewegung. Er engagierte sich früh bei den Grünen und fand sich als Mitglied des baden-württembergischen Landtags bald auf deren Realo-Flügel wieder. 1994 gelangte er in den Bundestag, wo er sich schwerpunktmäßig mit Innen-, Rechts- und Medienpolitik beschäftigte. Der 50jährige Schlauch ist vor allem für sein kommunikatives Wesen bekannt. Das diente ihm als Basis für seinen bislang größten politischen Erfolg: Bei der jüngsten Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart scheiterte er als Grünen-Kandidat gegen die übermächtigen Bewerber von SPD und CDU nur knapp.

Respekt und Ansehen bei der Fraktion: Kerstin Müller

Kerstin Müller setzt ihre Arbeit als Fraktionssprecherin, wie die Grünen ihren Fraktionschef nennen, aus der letzten Legislatur-periode fort. 1994 war sie als Neuling im Parlament gleich in diese verantwortungsvolle Aufgabe  gewählt worden. Mit Zähigkeit erwarb sie sich Respekt und Ansehen unter ihren Fraktionskollegen. Bei den Auseinandersetzungen um die Bosnien-Einsätze der Bundeswehr nahm sie eine Zwischenposition ein und versuchte so, die verschiedenen Flügel zu integrieren.

Wolfgang Gerhardt, Fraktionschef der FDP

Die Liberalen betreten in dieser Legislaturperiode Neuland. Viele prominente Gesichter aus der älteren Generation - unter ihnen Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff und Burkhard Hirsch - sind aus dem Parlament ausgeschieden. Nach 29 Jahren Beteiligung an Regierungskoalitionen müssen die FDP-Abgeordneten sich jetzt außerdem an die Oppositionsrolle gewöhnen. Diese nehmen sie gern an, betont der neue Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt, der der FDP auch als Parteichef vorsteht. Die FDP werde die  klarste Oppositionspartei  sein, kündigte Gerhardt gemeinsam mit dem FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle an. Die liberale Fraktion werde ihre Grundhaltung - weniger Staat, mehr Eigenverantwortung der Bürger, mehr Veränderung und Beweglichkeit - im Parlament offensiv verdeutlichen. Sie werde ein David der Bürgerorientierung gegen den Goliath der Staatsorientierung werden, verspricht Gerhardt. Die Notwendigkeit, sich in der Opposition zu erneuern, wird in der Fraktion breit geteilt. In der verjüngten und mit vielen Neulingen durchsetzten FDP-Fraktion gilt der programmatische Neuaufbau zunächst als wichtigstes Ziel. Es gehe darum, viele unentdeckte und unterschätzte Talente zu fördern, um neue Mannschaften für die Zukunft zu bilden, so Gerhardt. Die Aufgabe eines Fraktionsvorsitzenden hat der 54jährige Philologe bereits im hessischen Landtag über zwei Legislaturperioden hinweg ausgefüllt. Von dort kam er vor vier Jahren in den Bundestag. Dort vertrat er die FDP in den Generaldebatten häufig als Hauptredner, widmete sich aber auch der Bildungspolitik, die ihm als ehemaligen hessischen Wissenschafts- und Kultusminister besonders am Herzen liegt.

Gregor Gysi, Vorsitzender der PDS-Fraktion

Zum ersten Mal übersprang die PDS bei der Bundestagswahl bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde. Das versetzt die PDS-Abgeordneten im Bundestag in den Status einer Fraktion. Alle parlamentarischen Rechte stehen ihnen damit künftig uneingeschränkt zu. Für Gregor Gysi, der die PDS-Abgeordneten seit 1990 führt, bedeutet dies eine große Genugtuung. Bislang verfügte die PDS über den Gruppenstatus, der ihnen nur eingeschränkte Mitwirkungsrechte im Parlament einräumte. Jetzt sicherten SPD und Grüne zu, die PDS im parlamentarischen Alltag wie jede andere Fraktion behandeln zu wollen. Wir werden die linke soziale Opposition sein, verspricht Gysi, der als einer von drei PDS-Abgeordneten seinen Wahlkreis im Osten Berlins als Direktkandidat gewann. Er versteht seine Fraktion als Ansprechpartner für Gewerkschaften, aber auch als Anwalt von Bürgerrechten in Fragen der inneren Sicherheit.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9804/9804029
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion