Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2000 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt 03/2000 >
April 03/2000
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

hintergrund

Auf 13.000 Berliner Straßen: Immer mit der Ruhe

Der Fahrdienst des Deutschen Bundestages steht allen Abgeordneten zur Verfügung

Henry Vorwerk hat direkt vor dem Bürogebäude der Abgeordneten, Unter den Linden 50, einen Parkplatz gefunden. Hier hat er gute Sicht auf den Eingangsbereich. Er ist zwei Minuten zu früh da, gerade genug Zeit, um den "Kürschner" - das rot-weiß gestreifte Büchlein mit den Namen und Fotos aller Mitglieder des Deutschen Bundestages - aus dem Fach unter der Armlehne neben sich hervorzukramen. Er schaut sich das Bild der SPD-Abgeordneten Uta Zapf an, die vor 20 Minuten einen Wagen des Fahrdienstes geordert hat.

Henry Vorwerk mit seinem Dienstfahrzeug.
Henry Vorwerk mit seinem Dienstfahrzeug.

Eine Frau im beigen Mantel kommt aus dem Gebäude und blickt sich suchend um. Sie hat dunkle, halblange Haare wie Uta Zapf. Henry Vorwerk springt aus dem Wagen und ruft ihren Namen. Die Frau reagiert nicht, sondern geht auf einen schwarzen Shuttle-Bus zu und steigt ein. Henry Vorwerk lässt sich wieder auf seinen Fahrersitz fallen. "Das war sie wohl nicht", sagt er. Die Minuten vergehen. "Die Bilder in dem Heft sind ja manchmal etwas veraltet", sagt er. Henry Vorwerk steigt wieder aus, um den Eingangsbereich besser im Blick zu haben. Für den 39-jährigen Familienvater ist dies heute der erste Fahrauftrag. Seine Schicht hat er am Mittag begonnen, und bis nach Mitternacht wird er noch viele Male das Regierungsviertel und die Bezirke der Stadt mit seinem dunklen Mercedes durchkreuzt haben.

Es ist sein Wunschjob. Einen Tag, nachdem der Bundestag entschieden hatte, nach Berlin zu ziehen, rief der Berliner in Bonn an, um sich als Fahrer zu bewerben. Der Mann, der seinen Anruf entgegennahm, war erstaunt: "Die Tinte ist doch noch gar nicht trocken", habe er gerufen. Aber Henry Vorwerk glaubt, dass seine frühe Bewerbung auf diese Weise ganz oben auf dem Stapel gelandet war. Es dauerte zwar noch eine Weile, bis er seine Stelle antreten konnte, aber das machte nichts. Henry Vorwerk ging bis dahin seiner Arbeit im Vertrieb einer Delikatessen-Firma nach. "Mit Ende dreißig ist es höchste Zeit, wenn man noch mal etwas ganz Neues anfangen will", habe er sich damals gedacht. Mit dem Bundestag als Arbeitgeber fühle er sich sicherer als in der freien Wirtschaft.

Bereitschaftsraum: Warten auf den Einsatz.
Bereitschaftsraum: Warten auf den Einsatz.

Henry Vorwerk ist einer von 26 neuen Fahrern beim Bundestag in Berlin. "Nur wenige Kollegen kamen aus Bonn mit nach Berlin", erzählt die Sachbereichsleiterin des Fahrdienstes, Christa Reuther. Die älteren gingen in Rente, die jüngeren suchten sich einen neuen Job, um nicht mit der ganzen Familie umziehen zu müssen. Die 39-Jährige hat den Umzug nach Berlin zwei Jahre lang mit vorbereitet. Hierfür wurde ein völlig neues Konzept für den Fahrdienst entwickelt.

Jemanden von A nach B zu bringen, das klingt einfach. In Wirklichkeit ist es ein organisatorisches Kunstwerk. Während der 22 Sitzungswochen hat potenziell jeder der 669 Abgeordneten Anspruch auf einen Wagen. Minütlich gehen die Anfragen beim Dienstsitz des Fahrdienstes am Schiffbauerdamm ein. Außerhalb der Sitzungswochen herrscht dagegen Flaute.

So stand von Anfang an fest, dass der Fahrdienst neben seinen 48 fest angestellten Fahrern noch die Dienste eines Privatunternehmens in Anspruch nehmen muss, das flexibler mit den Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter umgehen kann.

Sie selbst war die erste Frau in der Position einer Sachbereichsleiterin für den Fahrdienst, als sie vor drei Jahren antrat. Zu Autos hat sie ein pragmatisches Verhältnis, und als es darum ging, neue Modelle für den Fuhrpark anzuschaffen, hat sie sich nur mit Mühe durch die Hochglanzbroschüren gearbeitet. Dafür hat sie sich mit viel Elan auf die neue Aufgabe gestürzt, dabei zu helfen, den Fahrdienst mit dem Umzug nach Berlin ganz neu zu strukturieren. Schnell stellte sie fest, dass es keine leichte Sache werden würde.

Freihändig telefonieren: Birgit Glaser, Auftragsannahme.
Freihändig telefonieren: Birgit Glaser, Auftragsannahme.

Während in Bonn die Wege kurz und übersichtlich waren, sind sie in Berlin lang und kompliziert. Nur wenige der Abgeordneten kennen sich aus in der Stadt. Wenn ein Wagen angefordert wird, muss er innerhalb kürzester Zeit vor dem Abgeordneten stehen, um ihn zum nächsten Termin zu bringen. In Bonn war dies eine jahrzehntelang eingespielte Sache: Falls alle Wagen unterwegs waren, heuerte man eines der Taxiunternehmen in der Stadt an, mit denen allesamt Verträge bestanden. In der Regel vergingen zwischen Anfrage und Abfahrt nur ein paar Minuten.

In Berlin ist alles anders. Vor allem zu Anfang, erzählt Christa Reuther, seien die Anfragen kaum zu bewältigen gewesen. Es ging turbulent zu, gelinde gesagt. "Meine Mitarbeiter gingen auf dem Zahnfleisch, und ich habe hier in den ersten Wochen graue Haare gekriegt", erzählt sie. In mancher Woche gingen um die 200 Beschwerden in ihrer Dienststelle ein. Die neue Software, die alle 13.000 Straßen Berlins gespeichert hat, ist aufwändiger und benötigt mehr Daten als die alte. Manche hätten es nicht eingesehen, wenn sie bei der Anfrage am Telefon genaueste Angaben machen mussten, bevor der Wagen losgeschickt wird. "Es ist in Berlin eben ein Unterschied, ob ein Abgeordneter am Kaiserdamm 2 oder am Kaiserdamm 200 steht, wenn er abgeholt werden soll", sagt Christa Reuther.

Außerdem gibt es hier dutzende Straßen, die denselben Namen tragen, aber in unterschiedlichen Stadtbezirken liegen. "Und welcher Abgeordnete wusste zu Anfang schon genau, ob er gerade in Schöneberg oder Charlottenburg ist?" Außerdem war die beauftragte private Transportfirma zunächst von den vielen Anfragen überfordert. Erst seitdem sie ihren Fuhrpark von 70 auf 120 Autos aufgestockt hat, klappt es. Trotzdem vergehen nach der Auftragsannahme in der Regel 15 bis 20 Minuten, bis der Wagen vorrollt, und nicht fünf Minuten, wie es in Bonn üblich war. "Die Stadt ist eben größer", seufzt Christa Reuther.

Ausfüllen des Fahrtenbuchs: Peter Quadt, Fahrer.
Ausfüllen des Fahrtenbuchs: Peter Quadt, Fahrer.

Inzwischen zahlt sich auch das neue Konzept aus, nach dem die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter erweitert, dafür die interne Organisation gestrafft ist. Mit sechs Verwaltungskräften, sieben Mitarbeitern in der Auftragsannahme und zwei Einsatzleitern ist der Fahrservice rund um die Uhr im Einsatz. Nicht nur kurze Fahrten innerhalb der Stadt gehören zum Repertoire, sondern auch längere Dienstreisen durch die Republik.

In dem Großraumbüro geht es geschäftig, aber nicht hektisch zu. Die Fahrer sitzen in zwei weiteren Zimmern und warten auf ihren Einsatz. Der Fernseher zeigt Sportsendungen. Sie haben eine 50-Stunden-Woche, die sehr unterschiedlich verläuft. Manchmal fahren sie innerhalb von drei Tagen 1.500 Kilometer oder kreisen 40 Mal auf den mehr oder weniger gleichen Strecken im Regierungsviertel. Dazwischen gibt es immer wieder Wartezeiten. Vor ihrem Dienstantritt haben sie Schulungen gemacht, und während einer Probefahrt mussten sie beweisen, dass sie die wichtigste Eigenschaft eines Chauffeurs besitzen: Ruhe bewahren zu können, auch wenn Baustellen, todesmutige Fahrradfahrer und ungeduldige Abgeordnete die Geduld erproben.

Henry Vorwerk schaut auf das silberne Schild, das am Armaturenbrett klebt und seinen Namen trägt. Jeder Fahrer ist für seinen Wagen verantwortlich, zeigt es an. Ein Mann tritt an sein Fenster. "Fahren Sie zum Plenum?" "Ja, aber ich bin schon bestellt", entgegnet Henry Vorwerk.

Kurz darauf kommt Uta Zapf mit zwei Begleitern aus der Tür. Henry Vorwerk erkennt sie sofort. Sie will zum Plenum. Die Fahrt ist kurz, denn ausnahmsweise gibt es keine Umleitungen oder Staus. Kurz vor den Absperrungen am Reichstagsgebäude kramt Henry Vorwerk ein Metallschild aus dem Handschuhfach, das ihn und sein Auto für zufahrtsberechtigt erklärt. Die Polizisten winken ihn anstandslos durch, und so kann er Uta Zapf und ihre Begleiter vor dem Eingang absetzen. Während der Rückfahrt erzählt er von seiner gestrigen Fahrt mit Rainer Eppelmann, der ihn bat, einen Radiosender zu suchen, der die neuesten Fußballergebnisse meldete. "Sind eben ganz normale Leute", sagt er.

Nathalie Hillmanns

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0003/0003069
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion