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April 04/2000
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KNAPPE MEHRHEIT FÜR REALISIERUNG DES HAACKE-PROJEKTS

"Der Bevölkerung" wird im Reichstag aufgestellt

(bn) Mit zwei Stimmen Mehrheit hat sich der Deutsche Bundestag am 5. April für das Projekt von Hans Haacke ausgesprochen, der im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes in Berlin sein Objekt "Der Bevölkerung" aufstellen soll. Damit wurde ein überfraktioneller Antrag (14/2867 [neu]), das Vorhaben nicht zu realisieren, in namentlicher Abstimmung von 260 Abgeordneten abgelehnt, 258 stimmten dafür und 31 enthielten sich der Stimme.

Norbert Lammert (CDU/CSU), der den Antrag zur Nichtrealisierung eingebracht hatte, bezeichnete den Entwurf von Haacke als "misslungen". Die Widmung "Dem Deutschen Volke" am Eingang des Reichstagsgebäudes sei nicht überholt. Die Volksvertreter verstünden sich auch ohne Haackes Aufforderung "der Bevölkerung" als Vertreter aller in Deutschland lebenden Menschen. Nachhilfeunterricht werde nicht benötigt.

So soll das Kunstwerk im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes aussehen: Neonleuchten in einem Trog aus Erde.
So soll das Kunstwerk im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes aussehen: Neonleuchten in einem Trog aus Erde.

Demgegenüber verteidigte Gert Weißkirchen (SPD) das Projekt. Es stelle keinen Gegensatz zur Reichstagsinschrift dar; vielmehr würden beide Begriffe in einen Dialog gestellt. Die Debatte zeige, dass Haacke den Nerv getroffen habe. Es sei eine Frage des Selbstbewusstseins des Parlaments, wenn kritische Kunst im Reichstag einen Platz haben könne. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die Politiker Verantwortung für alle in Deutschland Lebenden hätten.

Für Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) beinhaltet das Vorhaben des Künstlers ein "skurriles Erdritual". Sie könne es sich nicht vorstellen, dass Abgeordnete "eines Tages mit einem Eimer oder einem Sack Erde ankommen und darauf warten, dass sie diese im nördlichen Lichthof auskippen dürfen". Dadurch drohe das Kunstvorhaben schon konzeptionell zu misslingen. Gegner des Projektes seien nicht automatisch politisch "rechts" einzuordnen. Es gehe nicht nur um die Freiheit der Kunst, sondern auch um die Freiheit von Abgeordneten.

Ulrich Heinrich (F.D.P.) verteidigte das Kunstwerk. Wer aus "Volk" "Bevölkerung" mache, der schaffe noch lange nicht das deutsche Volk ab. Es entspreche dem heutigen Demokratieverständnis und mache deutlich, für wen das Parlament arbeite.

Heinrich Fink (PDS) warnte den Bundestag vor einer "Blamage", wenn er sich gegen die Errichtung des Kunstwerkes aussprechen sollte. Denn Kunst dürfe nicht parlamentarisch zensiert werden, sagte er. Mit dem Projekt werde die Diskussion über den Begriff "Deutsches Volk" und das Ringen um demokratische Veränderungen künstlerisch gestaltet.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sieht in dem Projekt ein Mittel zum "Bewusstmachen der demokratischen Verpflichtung". Die geplante Widmung "Der Bevölkerung" sei keine Tilgung oder Umwidmung der Reichstagsinschrift, sondern rege vielmehr zur Auseinandersetzung darüber an, wie diese Inschrift im Portal zu verstehen sei. Er forderte: "Kunst ist Freiheit - lassen wir sie frei".

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0004/0004064a
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