Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2002 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt 05/2002 >
05/2002
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Menschen im Bundestag

Ein Chor lebt von der Leidenschaft

Zarko Bulajic arbeitet am Tage in der Kleiderkammer des Bundestages. Am Abend tut er, was er tun muss: Singen.

Zarko Bulajic und der Chor des Bundestages.

Zarko Bulajic hat ein Problem. Ihm fehlen Stimmen. Nun ist er kein Politiker, dem es an Zuspruch mangelt. Zarko Bulajic braucht nur ganz bestimmte Stimmen. Die von Männern.

Männern, denen es Spaß machte, "Va pensiero ..." anzustimmen oder gar: "Oh, welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben". Sie müssten nicht singen können wie Pavarotti, aber Freude am Singen haben und vielleicht einen ausbaufähigen Bariton oder Tenor. Solche Männer sucht Zarko Bulajic, Chorleiter und Mitarbeiter des Deutschen Bundestages. Er singt mit Leuten, und er zieht Leute an. Letzteres hauptberuflich, als Verwalter der Kleiderkammer des Deutschen Bundestages. Für manchen erscheint beides etwas ungewöhnlich: dass der Bundestag eine eigene Kleiderkammer hat ebenso, wie die Tatsache, dass es im Hohen Haus einen Chor gibt.

Zarko Bulajic arbeitet in der Kleiderkammer des Bundestages.

Dabei hat dieser Chor eine mehr als fünfzigjährige Tradition. 1951 nämlich wurde im Bundestag ein Männerchor gegründet. Der trat das erste Mal zur Nikolausfeier im Jahre 1952 auf. Sieben Bände füllt die Geschichte dieses Männerchores. Die existieren heute noch und auch das Klavier, das sich die Sangesfreudigen damals für 300 Mark kauften, abgezahlt in monatlichen Raten von zehn Mark. Der Männerchor aber hörte irgendwann in den Neunzigern auf zu existieren.

Zarko Bulajic in der Kleiderkammer.

Und hier kommt Zarko Bulajic ins Spiel. Der arbeitete zu jener Zeit beim Plenarassistenzdienst und erfuhr von der Geschichte. Ganz langsam entstand bei ihm die Idee, einen Neustart zu wagen. Er hörte sich um, nahm Kontakt mit den einstigen Chorleitern auf, ließ den schönen Gedanken reifen, legte ihn manchmal beiseite, um ihn dann wieder vorzuholen und von allen Seiten zu betrachten. Ja, so ein Chor im Bundestag wäre etwas für einen Mann wie Zarko Bulajic. "Ich habe gedacht, so eine reiche Tradition, so eine wunderbare Geschichte darf man nicht verlassen und vergessen. Wer weiß, ob es noch andere Parlamentschöre gibt. Vielleicht ist das hier ja einmalig."

Ein Stapel verpackter Hemden.

An dieser Stelle muss gesagt werden: Herr Bulajic, 43 Jahre alt, von einnehmendem und offenem Wesen, ein Optimist, dem die Melancholie nicht fremd ist, ist ein Mann der Musik.

In seiner Heimatstadt Belgrad hat er Musik studiert. Das lag irgendwie nahe, denn der Vater sang zu jener Zeit im Staatlichen Jugoslawischen Ensemble, und schon mit sieben Jahren hatte Zarko Bulajic begonnen, Akkordeon zu lernen. Da stand Astor Piazzola, dessen Musik Herr Bulajic liebt, schon seit zwanzig Jahren auf den Bühnen. Zarko Bulajic liebte das Akkordeon, entschied sich aber für das Studium Allgemeiner Musikpädagogik und entschied sich auch für eine Frau, die ebenfalls Musik studierte. Es kann also nicht überraschen, dass die beiden Kinder der Bulajics ähnliche Wege einschlagen. Die Tochter spielt Violine, der Sohn Klavier. "Wir sind ganz unangenehme Nachbarn", sagt Zarko Bulajic und lacht. Das kann er auch nicht ernst meinen.

Detail einer Uniform.

Nach dem Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin startete Herr Bulajic durch. Er verschickte Hausmitteilungen und bat die Sangeslustigen, sich zu melden. Irgendwann kam Guido Houben, Mitarbeiter des SPD-Abgeordneten Friedhelm Julius Beucher, zu ihm und schlug vor, eine Musikgemeinschaft zu gründen. Dem Mann lag am Herzen, ein Orchester ins Leben zu rufen. Die Musikgemeinschaft wird es nun auch bald geben, die SPD-Abgeordnete Monika Griefahn wird ihr vorstehen.

Stempel.

Im Herbst des vergangenen Jahres fand die erste Zusammenkunft des Chores statt. Es kamen all jene, die neugierig auf das Projekt waren. "Das war ein verrücktes Treffen. Ich kannte niemanden. Mich kannte niemand. Ich wollte niemanden vorsingen lassen, weil es erst einmal egal war, ob jemand Noten konnte oder nicht, eine ausgebildete Stimme hat oder ganz und gar ungeschult ist. Es sollte alles ganz freudvoll sein. Schließlich hatte ich mir einen Traum erfüllt. Endlich war es so weit, und ich war im Himmel vor Glück."

Zum ersten Treff kamen rund 50 Neugierige und Entschlossene. Männer und Frauen. Heute probt Zarko Bulajic mit 27 festen Ensemblemitgliedern. 25 Frauen und zwei Männern. Das ist kein wirklicher Frauenchor, aber auch kein richtig gemischter Chor. Niemand kann Zarko Bulajic die Frage beantworten, wo die Männer geblieben sind. Es wäre gegen alle Erfahrung, gäbe es im Bundestag nur Frauen, die singen können. Doch egal, 27 Menschen, die gern singen, sich an jedem Mittwoch im Clubraum des Reichstagsgebäudes treffen und ihre Feuerprobe bereits bestanden haben, sind ein richtig guter Anfang. Ein erstes Konzert im Paul-Löbe-Haus, gemeinsam mit dem Bundestagsorchester, fand großen Zuspruch und viel Anerkennung.

Einige Kleiderbügel.

Zarko Bulajic will keinen Gesangsverein, Volkslieder stehen nicht auf dem Programm. Zurzeit übt man das Trinklied aus "La Traviata", ein Stück aus der "Zauberflöte" und den Gefangenenchor aus "Nabucco". "Va pensiero, sull'ali dorati" zu singen, ist eine große Herausforderung. Man wird sie meistern. Jeden Tag bereitet sich Zarko Bulajic ein bis zwei Stunden auf die nächste Chorprobe vor. Manchmal, wenn am Mittwoch die Sängerinnen und Sänger nach ihrer Arbeit im Bundestag zur Probe kommen, sind sie müde und ein bisschen ausgepowert. "Jetzt", sagt Zarko Bulajic dann zu ihnen, "vergessen Sie das Büro. Sie sind hier, um zu singen. Singen macht Spaß. Beginnen wir einfach mit ein paar Entspannungsübungen."

Und dieser Moment ist dann auch für ihn gut, denn er hat einen weiten Weg hinter sich, vom Arbeitsplatz zum Proberaum im Reichstag.

Zarko Bulajic arbeitet im Referat ZT 2, Beschaffung, und ist verantwortlich für die Kleiderkammer. Die befindet sich in Spandau, und Kammer ist auch nicht das richtige Wort dafür. In zwei großen Hallen hängen und liegen, beschriftet und teilweise verpackt, Bekleidungsstücke für rund 400 Bedienstete des Bundestages: Pförtner, Boten, Plenarassistenten, Sicherheitsdienst, Haustechnik, Reinigungskräfte. Dunkelblaue Anzüge, Kittel, Westen, Kostüme, Blaumänner, Jacken, Mützen, Gürtel, Krawatten, Hemden gehören zum Bestand der Kleiderkammer. Die Sachen werden geholt und gebracht, müssen gereinigt und geändert oder repariert, neu geordert oder aussortiert werden.

Detailaufnahme der Kleiderkammer.

Zarko Bulajic kennt also sehr viele Leute im Bundestag, und von vielen natürlich die Konfektionsgröße. Damit könnte er eigentlich in "Wetten dass?" auftreten, aber das wäre der Seriösität dieser Arbeit wohl nicht angemessen. "Alle sollen schön und gut und gepflegt aussehen. Schließlich repräsentieren sie den Bundestag. Man muss einen Kompromiss zwischen Dienstkleidung und eigenem Geschmack finden, damit sich jeder wohl fühlt." Für die Suche nach solcherart Kompromissen ist Zarko Bulajic der richtige Mann. Er weiß die Gefühle anderer zu schätzen. Und die Musik, die in jedem ist. Egal, ob sie sich über Gesang oder Körpersprache mitteilt.

Nummern in der Kleiderkammer.

Und er liebt diese Augenblicke, in denen der Chor jenes ausgelassene Stück aus "La Traviata" anstimmt und fast, fast alles gelingt: "Godiamo, la tazza e il cantico, la notte abbella e il riso; in questo paradiso ne scopra il nuovo di. – Auf füllet die Becher, es schalle der Jubel. Die Freude vertreibe die Nacht, des Liedes Begeisterung werde dem Morgen entgegengebracht."

Text: Kathrin Gerlof/Fotos: studio kohlmeier

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2002/bp0205/0205061a
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion