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Mai 3/2003
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„In Sitzungswochen bleibt von den Tagen nicht viel übrig“

Helga Daub
Helga Daub.

Die Abgeordnete Helga Daub von der FDP-Fraktion weiß, dass jeder Plan nur vorläufig ist. Obwohl erst ein halbes Jahr im Bundestag, ist sie da schon sehr gelassen.

Helga Daub ist eine Frau mit Lebenserfahrung. Pläne, das weiß die 60-jährige Abgeordnete, sind immer nur vorläufig. An diesem Mittwoch, der ein langer Sitzungstag und am Ende auch der Tag vor dem Beginn des Irak-Krieges sein wird, hält sie morgens die dritte geänderte Fassung des Terminkalenders in der Hand. Es gibt ein paar unverrückbare Größen, beispielsweise namentliche Abstimmungen im Plenum über Einzelpläne des Bundeshaushaltes. Ansonsten aber wird das Leben immer wieder schneller sein als geplant. Helga Daub ist überhaupt nicht abgeneigt, sich darauf einzulassen.

Bei aller Unwägbarkeit der Dinge kann sie eines voraussagen: Sie wird wieder viel laufen müssen. Manchmal übersteigen am Ende des Tages die gefühlten Kilometer die tatsächlich absolvierte Strecke. Aber nur Pessimistinnen schöben das auf die gut aussehenden, aber doch recht hochhackigen Schuhe der Parlamentarierin. „Sie ahnen ja gar nicht, wie fest ich mit beiden Beinen im Leben stehe“, sagt Helga Daub. „Und wenn es mal kritisch wird, habe ich noch ein paar flache Treter im Schrank.“

Helga Daub Helga Daub Helga Daub Helga Daub Helga Daub
8.35 Uhr: erste Arbeitsstunde im Büro
8.35 Uhr: erste Arbeitsstunde im Büro.

Die erste Arbeitsstunde ist noch keine Probe aufs Exempel. Mit der Referentin Anna Viefhues werden Termine und Aufgaben der nächsten Wochen besprochen. Man hangelt sich bis Oktober des laufenden Jahres vor, so weit mögen nicht mal Wirtschaftsinstitute vorausblicken. Helga Daub erzählt zwischendurch Geschichten, kann also wie die meisten Frauen mindestens zwei Dinge gleichzeitig machen. „Ich fühle zu Hause vor, ob wir Pfingsten verlegen können, dann sagen Sie meine Teilnahme an der Transasiatischen Konferenz der OSZE zu.“

Zu Hause fanden das, erzählt sie, „meine Kinder ja toll, dass ich mit 60 in den Bundestag will. Ich war Hotelkauffrau, habe Familie gemanagt, im Familienbetrieb in Wilnsdorf gearbeitet, mich im FDP-Kreisverband Siegerland-Wittgenstein engagiert, bin Reiseleiterin gewesen und immer neugierig auf noch mehr Leben geblieben. Aber Bundestag? Ich habe mit meinem Sohn gewettet. Wenn ich reinkomme, höre ich auf zu rauchen. Aber zünden Sie sich doch ruhig eine Zigarette an, ich rieche das so gern.“

Helga Daub ist ins kalte Wasser gesprungen und hat sich für den Verteidigungsausschuss gemeldet – interessiert sie, will sie machen, und macht sie gut. Sie ist die älteste Neue in ihrer Fraktion. Dafür gibt es keine Blumen, aber stolz kann man darauf sein.

Haushaltsdebatte Haushaltsdebatte Haushaltsdebatte Haushaltsdebatte Haushaltsdebatte
10.00 Uhr: Haushaltsdebatte im Plenum
10.00 Uhr: Haushaltsdebatte im Plenum.

Um zehn geht es das erste Mal an diesem Tag rüber ins Plenum. Guido Westerwelle spricht zum Haushalt, danach Krista Sager. Um 11.20 Uhr nimmt Bundeskanzler Gerhard Schröder das Wort. Er redet über den drohenden Krieg. Auch wenn es an diesem ganzen Tag im Plenarsaal hauptsächlich um die Beratung der Einzelpläne des Haushalts geht, ist die Situation im Nahen Osten immer präsent. Niemand kann und will sich dem entziehen. Die Stimmung ist gespannt, manchmal gereizt, auf jeden Fall anders als sonst.

Für 14.00 Uhr ist eine namentliche Abstimmung angesetzt, zum Gesamt-etat Kultur in Höhe von 883 Millionen Euro. Helga Daub muss vorher im Büro noch Post bearbeiten. Was sie heute nicht schafft, würde zu weit nach hinten geschoben. So was mag sie nicht. Sie schafft es, vorher noch schnell in der Cafeteria einen Kaffee zu trinken und ein Brötchen zu essen. Vermutlich, sagt sie, sei das die letzte Chance, ans leibliche Wohl zu denken, die nächste gebe es erst am Abend. Dann beginnen anderthalb Stunden, in denen weggearbeitet wird. Anna Viefhues hat die Arbeit vorbereitet und Vorschläge auf gelbe Post-its geschrieben, die oben auf den Schriftstücken kleben.

namentliche Abstimmung namentliche Abstimmung namentliche Abstimmung namentliche Abstimmung namentliche Abstimmung
14.00 Uhr: namentliche Abstimmung
14.00 Uhr: namentliche Abstimmung.

Helga Daub wechselt ihr helles Jackett gegen ein braun kariertes Hemd, das ebenso gut zum kaffeebraunen Leinenkleid passt. Um 13.40 Uhr schnappt sie ihre lackschwarze Tasche und macht Tempo Richtung Plenarsaal. 13.43 Uhr sitzt sie auf ihrem Platz, 13.44 Uhr steht sie noch mal kurz auf, verlässt den Saal und tippt dabei mit dem Zeigefinger der linken Hand an jeden leeren Sessel. Sie telefoniert draußen kurz und ist um 13.50 Uhr wieder im Plenarsaal. Um 14.00 Uhr beginnt die namentliche Abstimmung: Der Kulturhaushalt wird angenommen. Der ursprüngliche Plan hatte einmal vorgesehen, dass Helga Daub zu dieser Zeit in der Landesvertretung Schleswig-Holstein mit dem litauischen Botschafter sprechen sollte. Das musste verschoben werden – Abstimmungen im Bundestag sind wichtig, Haushaltsberatungen sind es sowieso.

Bevor die FDP-Abgeordnete um 15.00 Uhr zu einem Termin ins Paul-Löbe-Haus geht, eilt sie erneut kurz ins Büro. Auch eine halbe Stunde ist geschenkte Zeit für Anfragen, Antworten und Absprachen. Im Sitzungssaal 2700 des Paul-Löbe-Hauses findet dann ein Gespräch des Verteidigungsausschusses mit dem Seminar der Bundesakademie für Sicherheitspolitik für höhere Führungskräfte aus den NATO-Beitrittsländern statt. Die Teilnehmer sollen mit der deutschen Politik in NATO und EU vertraut gemacht werden und konkrete Hinweise für die praktische Arbeit in Brüssel erhalten. Das Treffen dauert eine Stunde.

15.00 Uhr: Gesprächsrunde im Verteidigungsausschuss
15.00 Uhr: Gesprächsrunde im Verteidigungsausschuss.
Gesprächsrunde im Verteidigungsausschuss Gesprächsrunde im Verteidigungsausschuss Gesprächsrunde im Verteidigungsausschuss Gesprächsrunde im Verteidigungsausschuss Gesprächsrunde im Verteidigungsausschuss

Helga Daub sieht das erste Mal an diesem langen Tag ein bisschen gehetzt aus. Sie will noch ein wichtiges Telefonat führen, ein mittelständisches Unternehmen in ihrem Heimatkreis ist in Schwierigkeiten. Eigentlich aber müsste sie in den Plenarsaal. Erst telefonieren. Die Nachrichten aus dem mittelständischen Unternehmen klingen nicht gut und für einen Moment gestattet sich die Abgeordnete ein wenig Ratlosigkeit und Traurigkeit. In den vergangenen Monaten ist die Arbeitslosigkeit im Wahlkreis um zwei Prozent gestiegen. „Zwei Prozent klingen nicht viel, sind aber eigentlich eine Katastrophe“, sagt Helga Daub bedrückt.

Im Plenarsaal soll in wenigen Minuten die Beratung des Einzelplans 14, der dem Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums zugeordnet ist, beginnen. 90 Minuten sind dafür angesetzt. Inzwischen hat sich im Plenum allerdings bereits alles nach hinten geschoben. Der 18-Uhr-Termin gerät ins Wanken. Um sechs ist Helga Daub mit Alexander Stöhr, einem 29-jährigen Oberleutnant der Reserve verabredet. Was erwarten Bundeswehrsoldaten von der Politik? Im persönlichen Gespräch kommen da oft Dinge zu Tage, die nicht den Weg aufs Papier finden, aber dennoch oder vielleicht gerade deshalb wichtig sind. Alexander Stöhr ist ein geduldiger Gast und versteht die Zeitnöte der Abgeordneten. Erst um sieben kann er mit ihr in einem Café am Pariser Platz reden.

19.00 Uhr: ein persönliches Gespräch im Starbucks
19.00 Uhr: ein persönliches Gespräch im Starbucks.
Gespäch im Starbucks Gespäch im Starbucks Gespäch im Starbucks Gespäch im Starbucks Gespäch im Starbucks

Danach trifft sich Helga Daub noch im Restaurant in der Parlamentarischen Gesellschaft mit dem verteidigungspolitischen Sprecher ihrer Fraktion, Günther Nolting. Der letzte Termin an diesem Abend, dem ein nächster langer Sitzungstag folgen wird.

Spät erst kommt die Abgeordnete nach Hause in ihre kleine Wohnung in Berlin-Wedding. Zuvor hat sie sich wieder einmal geschworen, in diesem Sommer auf jeden Fall Urlaub in Berlin zu machen, um die Stadt endlich kennen zu lernen. Zwar ist sie an diesem Tag wieder viel gelaufen, aber noch immer hat sie es nicht ins Pergamonmuseum geschafft. Und davon träumt sie doch schon ein halbes Jahr.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0303/0303014
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