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Juni 4/2003
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Wissen, wohin man will

Petra Weis von der SPD-Fraktion ist neu im Bundestag und doch eine erfahrene Politikerin. Das erste halbe Jahr in Berlin verging wie im Flug und war für sie Lern- und Arbeitsprogramm zugleich.

Fototermin mit den Besucherinnen des Girls' Days vor der Kuppel des Reichstagsgebäudes
Girls' Day im Bundestag.

Der Tag beginnt um acht Uhr im Paul-Löbe-Haus. Da hat die SPD-Abgeordnete Petra Weis schon einen Fußmarsch gemacht und die Sonne gespürt. Von ihrer Wohnung im Nikolaiviertel in Berlin-Mitte ist sie in den Bundestag gelaufen. Dabei kann man nachdenken und die Stadt in sich aufnehmen. Ein bisschen. Nach einem halben Jahr Bundestag fühlen die Wege sich nicht mehr ungewohnt an und die Arbeitstage haben ihre eigene nachvollziehbare Struktur bekommen. Ein halbes Jahr ist nicht viel, aber für eine, die zehn Jahre hauptberuflich Frauen- und Familienpolitik gemacht hat, reicht es aus, sichtbar und hörbar zu werden. Man muss wissen, was und wohin man will. Der Rest ist harte Arbeit.

Um acht Uhr wird im Sitzungsraum E 300 das Planco-Gutachten präsentiert. Geladen sind Mitglieder des Ausschusses Verkehr, Bau- und Wohnungswesen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Im Gutachten geht es um die Umlegung des für die Binnenschifffahrt prognostizierten Güterverkehrs auf das Wasserstraßennetz. Seit dem Hochwasser des vergangenen Jahres wird die Rolle der Binnenschifffahrt stärker diskutiert, viele fragen sich, ob die einmal gestellten Prognosen richtig sind. Bis 2015, heißt es, soll die Binnenschifffahrt um 27 Prozent zunehmen.

9.00 Uhr: Fraktionssaal der SPD
9.00 Uhr: Fraktionssaal der SPD.
9.00 Uhr Fraktionssaal der SPD 9.00 Uhr Fraktionssaal der SPD 9.00 Uhr Fraktionssaal der SPD

Für Petra Weis, 45 Jahre, gelernte Historikerin aus Duisburg, sind das neue Themen. Sie wollte in den Ausschuss, weil das Thema Infrastruktur sie interessiert. „Die Crux ist, dass man sich schnell spezialisieren muss, obwohl mir sehr liegt, von möglichst vielen Themen möglichst viel zu verstehen. Ich glaube, die erste Hälfte der Legislaturperiode werde ich fast ununterbrochen lernen und später damit nicht aufhören.“Dafür ist dieser 8. Mai geradezu symbolisch. Die SPD-Fraktion des Bundestages veranstaltet ihren ersten „Girls' Day“. Mehr als 60 Mädchen und junge Frauen aus der ganzen Bundesrepublik sind angereist, um einen Tag lang eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten zu begleiten. Schnupperkurs könnte man sagen, die Politik braucht guten Nachwuchs und die Macht mehr Frauen.

Um 8.50 Uhr verlässt Petra Weis den Sitzungssaal im Paul-Löbe-Haus und eilt in den Fraktionssaal der SPD im Reichstagsgebäude. Der „Girls' Day“ beginnt mit fröhlichem Durcheinander, einem Fototermin - Franz Müntefering zwischen lauter jungen Frauen - auf der Fraktionsebene, zwei kurzen Ansprachen und dem allgemeinen Wunsch, es möge ein aufregender Tag werden. Für alle. Petra Weis hat Besuch aus Duisburg, Sarah Diana Uhrmann, 18 Jahre, ist gekommen. Es ist ihr erster Besuch in Berlin. Die Abgeordnete und die Schülerin kennen sich. Duisburg verbindet.

Nach der Begrüßung gehen sie erst einmal ins Büro Unter den Linden. Ein kleiner Fußmarsch, verbunden mit ein wenig Sightseeing. Petra Weis fängt an zu erzählen. Heißt, sie macht Tempo, zeigt zwischendurch noch Sehenswürdigkeiten, Adlon-Hotel und Britische Botschaft, verliert trotzdem nicht den blauen Hefter, den sie den ganzen Tag mit sich rumtragen wird und der nicht in die schwarze Handtasche passt, und verliert auch nicht den Faden ihrer großen bunten Erzählung. Ein paar Minuten vor zehn ist man im Büro, vorher hat Petra Weis noch für den Gast ein Baguette gekauft. Kurze Absprache mit der Mitarbeiterin, kurzer Blick auf die Papiere, raumgreifende Geste: Hier arbeite ich also, alles noch nicht ganz fertig, wenig Zeit zum Einrichten - die weiße Wand zum Beispiel, da muss unbedingt noch ein Bild hin. Von Duisburg. Und hier im Regal liegt das Paket aus der Wäscherei, das darf sie heute nicht vergessen, denn abends kommt die Familie zu Besuch, für ein ganzes Wochenende.

12.00 Uhr: Besucherrestaurant im Paul-Löbe-Haus
12.00 Uhr: Besucherrestaurant im Paul-Löbe-Haus.
12.00 Uhr: Besucherrestaurant im Paul-Löbe-Haus 12.00 Uhr: Besucherrestaurant im Paul-Löbe-Haus 12.00 Uhr: Besucherrestaurant im Paul-Löbe-Haus

Die Abgeordnete Weis ist ein Erzähltalent. Ihre Geschichten haben zu Beginn viele lose Enden, die nach und nach zu einem kleinen Kunstwerk verknüpft werden. Sie haben Witz, Pointen und wenn sie denn lehrreich sind, dann doch so, dass von Belehrung nichts zu spüren ist. Die Geschichte der ersten Rede im Bundestag beispielsweise, die nach einem ziemlich hektischen Anfang und Änderungen im Text bis fünf Minuten vor Redebeginn, nicht eine Sekunde zu lang war. Dafür gab es Glückwünsche, die Neue hatte eine Feuertaufe bestanden.

10.40 Uhr wird Sarah Uhrmann von der Mitarbeiterin Sybille Maier zur Besuchertribüne gebracht. Petra Weis bleibt noch ein wenig im Büro, das sie 11.18 Uhr verlässt, um in die seit 9.00 Uhr laufende Bundestagssitzung zu gehen. Es ist kein Tag wie jeder andere, die „Girls“ sorgen für Abweichungen, sie sind die Hauptpersonen. Und so trifft man sich, ungewöhnlicherweise, um zwölf Uhr im Besucherrestaurant des Paul-Löbe-Hauses, um gemeinsam Mittag zu essen. Inzwischen hat das Frage-Antwort-Spiel zwischen Abgeordneten und Besucherinnen beste Qualitäten erreicht. Plenardebatten, gescheiterte Gesetze, Ausbildungsplätze im Bundestag, Verdienstmöglichkeiten, Diäten - an den Tischen wird geredet, diskutiert, erzählt.

13.00 Uhr: im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft
13.00 Uhr: im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft.
13.00 Uhr: im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft 13.00 Uhr: im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft 13.00 Uhr: im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft

Um 13 Uhr sind alle in das Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft geladen, dem ehemaligen Reichstagspräsidentenpalais gleich gegenüber dem Reichstagsgebäude. Parlamentarierinnentreffen der SPD-Fraktion mit Ausnahmeregelung - ein paar männliche Fraktionskollegen dürfen teilnehmen. Diesmal als Diskussionsrunde zwischen Schülerinnen und Abgeordneten geplant. Aber ganz nach Plan läuft es doch nicht, denn zu Beginn werden die Abgeordneten aufgefordert, zu einer wichtigen Abstimmung in den Plenarsaal zu gehen. Inzwischen erfährt man, dass eines der Mädchen unter dem Eindruck des Parlamentsbetriebes bereits angekündigt hat, Außenministerin werden zu wollen.

13.17 Uhr kommen die Abgeordneten wieder und es beginnt eine rege Diskussion über Politik und Politikerinnen, Berufswünsche, Ausbildungsplätze, Arbeit in Parteien. 13.50 Uhr steht Petra Weis auf und geht rüber ins Paul-Löbe-Haus, wo eine Besuchergruppe auf sie wartet. Acht ältere Damen aus Duisburg wollen die Abgeordnete kennen lernen und mit ihr einmal auf die Kuppel des Reichstagsgebäudes steigen. Die Zeit ist knapp, aber alle schaffen alles. Petra Weis erzählt, wo sie herkommt und was sie im Bundestag macht. Dann geht es hoch hinaus, eine kleine Stadtführung durch die Abgeordnete, Verabschiedung der fröhlichen Runde um 15.12 Uhr, fünf Minuten später sitzt Petra Weis wieder im Plenarsaal, wo über den Europäischen Konvent und eine Europäische Verfassung debattiert wird.

19.00 Uhr: Hamburger Bahnhof
19.00 Uhr Hamburger Bahnhof.
19.00 Uhr Hamburger Bahnhof 19.00 Uhr Hamburger Bahnhof 19.00 Uhr Hamburger Bahnhof

15.46 Uhr ist sie wieder auf der Dachterrasse des Reichstages zum Abschlussfototermin. Der „Girls' Day“ ist fast zu Ende. Allerdings hat die Abgeordnete ihrem Gast noch drei Dinge versprochen: einen Gang zum Brandenburger Tor, einen guten Souvenirladen und eine Currywurst. In einer schnellen Stadt ist das bis 17 Uhr erledigt. Sarah wird zum Flughafen gebracht, Petra Weis geht ins Büro, um sich durch Post und Akten zu kämpfen. Viel Zeit hat sie dafür nicht, aber liegen lassen ist nicht ihre Art.

Um 19 Uhr beginnt im Hamburger Bahnhof, dem Museum für Gegenwart in Berlin, eine politischer Abend der Wirtschaftsvereinigung Metalle. Die SPD-Abgeordnete ist von mittelständischen Unternehmen dieser Branche aus ihrem Wahlkreis eingeladen worden, um mit ihnen über die Situation der Metallbetriebe zu reden. Im Sommer will sie sich dann auf einer längeren Wahlkreistour vor Ort in den Betrieben informieren.

Um 19.17 Uhr ist Petra Weis da, etwas hektisch, denn die Wäsche musste schnell noch in die Wohnung gebracht werden, und dann gab es einen Stau wegen Demonstrationen. Die Abgeordnete kommt, winkt kurz und verschwindet in der recht ernsten Männergesellschaft, um über das Leben, die Arbeit und die damit verbundenen Schwierigkeiten zu reden. Irgendwo in der Stadt wartet derweil die Familie. Der Ruhepol nach einer anstrengenden Sitzungswoche. Petra Weis ist glücklich. Das hat sie irgendwann an diesem Tag gesagt. Man sieht es ihr an.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0304/0304014
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