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Das Parlament
Nr. 03-04 / 19.01.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Helmut Heinzlmeir

Die Dritte Welt und die Neue Weltordnung

Die militärische und wirtschaftliche Führungsnation USA muss ihre Rolle neu definieren
1989 ging die geschichtliche Ära des Ost-West-Konfliktes zu Ende. Über 40 Jahre lang hatte er die Weltpolitik geprägt. An seinem Ende konnten allein noch die USA als Weltmacht gelten. Dabei ist es bis heute geblieben. Zweifel sind kaum möglich. Zu eindeutig sind die Daten. Der amerikanische Verteidigungsetat ist so groß, wie jener der nächsten zwölf Jahre Länder zusammen. Die amerikanische Wirtschaftskraft ist so groß, wie jene der nächsten der nächsten drei Staaten zusammengenommen. Und die - wie auch immer definierte - amerikanische Kultur von Hollywood bis Harvard scheint welt weit allgegenwärtig.

Falls es in der voraussehbaren Zukunft einen Gegenspieler geben sollte, kann dies allein, wenn auch nur kooperativ Europa, sein. Wirtschaftlich ist die Europäische Union dazu bereits in der Lage.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben an der amerikanischen Vorstellung nichts geändert, im Gegenteil: Nicht zuletzt militärisch stehen die USA heute stärker denn je da. Unübersehbar ist dies in der Krisenregion zwischen Kairo und Kaschmir. Sie haben dort mittlerweile ein gewaltiges strategisches Potenzial aufgebaut. Vor allem aufgrund jener zwei Ereignisse, die die aktuelle Weltpolitik dominieren: dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus und dem IrakKrieg.

Von diesen Ereignissen blieb die so genannte Dritte Welt nicht unberührt. Die USA sind heute weltweit präsent. Und sie haben weltweite Interessen - wenn auch von Region zu Region unterschiedlich starke. Sie konzentrieren sich auf den Nahen und Mittleren Osten - die Stichworte sind Israel und Öl - und mit China und Japanauf die pazifische Gegenküste. Die USA sind nicht nur eine atlantische, sondern auch eine pazifische Macht. Lateinamerika wird nicht erst seit heute als Internum angesehen. Südasien - mit den beiden Atommächten Indien und Pakistan, Südostasien - mit Indonesien, dem bevölkerungsreichsten islamischen Land der Welt - und Afrika haben in den zurückliegenden Jahren nur in Maßen amerikanisches Interesse gefunden.

Für Afrika bedeutete das Ende des Ost-West-Konfliktes eine tiefen Einschnitt. Noch in der 80er-Jahren kam dem Kontinent, als Folge eben jenes Konfliktes, einige geostrategische Bedeutung zu. Dabei handelte sich der Kontinent zwar einige blutige "Stellvertreterkriege" ein, davon lebten jedoch zumindest die Regierenden einer Reihe afrikanischer Staaten ganz gut. Sie spielten Washington und Moskau gegeneinander aus und ließen sich von den Meistbietenden unterstützen. Mit dem Ende des Kalten Krieges hatte dieses Spiel ein Ende. Afrika büßte an weltpolitischer Bedeutung ein. Auch wirtschaftlich ist sein Stellenwert gering. Sein Anteil an der Weltwirtschaft beträgt nur wenig mehr als ein Prozent. Was es anzubieten hat, sind Rohstoffe. Die aber sind auf dem Weltmarkt - Ausnahme Öl - nur bedingt gefragt. Der Bedarf an Kaffee, Kakao und dergleichen ist weitgehend abgedeckt. Es ist eine offene Frage, ob die derzeit propagierte Marktöffnung der Industrieländer gerade Afrika sehr nutzen wird. Asien und Lateinamerika sind konkurrenzfähiger.

Um die Jahrtausendwende galt Afrika als marginalisierter Kontinent. Außerafrikanische Staaten hatten ihr Engagement zurückgenommen. Afrika war stärker denn zuvor auf sich selbst verwiesen. Politik auf dem Kontinent wird weithin von Afrikanern verantwortet. Das klingt gut, hat aber kontrovers diskutierte Folgen. Nirgendwo auf der Welt herrscht so viel Armut wie dort. Und dies, obwohl Afrika nach wie vor erkleckliche Entwicklungshilfe erhält. Die Zweifel wachsen, ob diese Hilfen viel genutzt haben, viel nutzen werden. Zu oft dienen sie nur der Machtsicherung oder der schamlosen Selbstbereicherung der jeweils Regierenden. Nirgendwo auf der Welt stellt sich das Problem des Staatszerfalls so drängend wie dort. In Afrika ist vielerorts das, was man als "nation-building" bezeichnet, gescheitert. Auf dem Kontinent sind riesige Räume - von Angola über Kongo/Zaire bis nach Sudan und Westafrika, ungeachtet aktueller Friedensbemühungen - bar jeder staatlicher Kontrolle. So genannte Warlords herrschen, Drogen-, Waffen- und Diamantenschmuggel blühen. Diese Räume können für wie auch immer definierte Terrorgruppen Zuflucht, aber auch Rekrutierungsgebiet sein.

In Zeiten eines weltweiten Kampfes gegen den internationalen Terror muss eine solche Entwicklung Besorgnis hervorrufen. Immerhin haben sich nahezu alle afrikanischen Regierungen nach dem 11. September der weltweiten Antiterror-Koalition angeschlossen, wenn auch nicht ohne Hintergedanken. Vielerorts wird mittlerweile jegliche Opposition im Lande - unter Hinweis auf jenen Kampf - als Terrorismus diffamiert. Und für die Teilnahme wird wie zu Zeiten des Kalten Krieges von den USA und Europa wieder mehr Entwicklungshilfe erwartet. Im Westen verkennt man die Problematik einer solchen Entwicklung nicht. Aber im Bemühen um eine möglichst große Koalition gegen den Terrorismus arbeitet man mit fast jedermann zusammen. Mag das Regime auch noch so fragwürdig sein.

Für die USA war Afrika im vergangenen Jahrzehnt von geringem Interese. Das hat sich im Gefolge des Antiterror-Krieges, des Irak-Krieges, teilweise geändert. Es gibt wieder einiges amerikanisches Interesse, insbesondere an Ostafrika. In dieser Region - vom Sudan über Somalia und Kenia bis Tansania - leben Millionen Muslime. Sie kann daher als Zufluchtsort und Ausgangspunkt von Terrorismus nicht ausgeschlossen werden. Die verheerenden Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998 zeigten dies. Insbesondere aber will Washington von Ostafrika aus Israel und den arabischen Ölquellen nahe sein. Öl suchen die Amerikaner auch in Afrika, vor allem in den Küstengewässern Westafrikas. Wegen der politischen Risiken rund um den Persischen Golf bemühen sie sich um eine Diversifikation ihrer Bezugsquellen. Bereits heute beziehen sie rund 15 Prozent ihrer Erdölimporte aus Afrika. Dieser Anteil soll noch gesteigert werden. Neue Technologien erleichtern die Off-Shore-Förderung. Zur Linderung der Armut in Westafrika werden die Milliardenerlöse aus dem Ölgeschäft jedoch wenig beitragen, die jeweiligen Regimes werden dies zu verhindern wissen.

Europas Interesse an Afrika ist aufgrund von Geographie und Geschichte größer als jenes der USA. Aber auch dieses Interesse hatte sich in den vergangenen Jahren verringert. Auch von den beiden großen einstigen Kolonialmächten England und Frankreich. Dennoch sind es auch heute diese beiden Staaten, die am nachhaltigsten Politik in Afrika betreiben. Sie allein haben die nötigen Mittel, um erforderlichenfalls militärisch eingreifen zu können. Britische Truppen sorgten in Sierra Leone, französische in der Elfenbeinküste dafür, dass es mit den dortigen Bürgerkriegswirren ein vorläufiges Ende hatte. Insbesondere Paris zeigt wieder Interesse an Afrika, weil es dort große Wirtschaftsinteressen hat und mit seinem Einfluss Anspruch auf Mitsprache in der Weltpolitik begründen will. Das jüngste französisch-europäische Engagement in der kongolesischen Stadt Bunia war nicht zuletzt eine Reaktion auf die amerikanische Irakpolitik.

Nicht Afrika jedoch, sondern Asien wird für die Weltpolitik im 21. Jahrhundert mitbestimmend sein. Nicht nur wegen der Potenziale der Bevölkerungsgiganten China und Indien, sondern aufgrund brisanter Konfliktherde. Sie reichen von der koreanischen Halbinsel und Taiwan über das krisengeschüttelte Indonesien bis zum umstrittenen Kaschmir. Auch sind in Asien die Machtrelationen zwischen den großen Staaten China, Indien und Japan noch unklar.

Die USA sind Weltmacht, China will eine werden. Bis dahin jedoch ist es noch ein weiter Weg. Für die USA kann dieser Weg nicht lang genug sein. Man will keinen Konkurrenten. In Washington stellt sich die Frage, ob man die Entwicklung Chinas kooperativ oder konfrontativ begleiten soll. Derzeit lassen sich die beiderseitigen Beziehungen mit dem widersprüchlichen Begriff des "kooperativen Antagonismus" umschreiben. Für die USA ist eine solche Politik möglich, weil sie auch im ostasiatisch-pazifischen Raum, wirtschaftlich wie militärisch, die weitaus stärkste Macht sind. Für China, das die Terroranschläge vom 11. September umgehend verurteilte und sich der weltweiten Antiterrorkoalition anschloss, sind Anpassungen unvermeidlich.

Für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Chinas ist eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den USA unabdingbar. Längst sind diese zu einem herausragenden Wirtschaftspartner geworden. Und im pazifischen Asien schwelt eine Reihe bedrohlicher Krisenherde. Deren brisanteste sind die explosive Lage auf der koreanischen Halbinsel und das prekäre Verhältnis zwischen China und Taiwan. Um hier wie dort auch nur einen modus vivendi aufrecht erhalten zu können, ist eine Zusammenarbeit mit den USA unverzichtbar.

Peking fühlt sich als Folge des weltweiten Kampfes gegen den Terror nachgerade eingekreist. Es sieht sich nicht mehr nur im Osten - in Japan, Südkorea und Taiwan - mit den USA konfrontiert. Mittlerweile stehen amerikanische Soldaten auch in Zentralasien, sozusagen im Rücken Chinas.

Zentralasien, der Kaukasus, die kaspische Region insgesamt, vermögen einiges an Energie - Öl und Gas - anzubieten, zwischen fünf und sieben Prozent der Weltreserven. Eine strategische Alternative zu den Vorkommen rund um den Persischen Golf stellt dies nicht dar. In allen zentralasiatischen Staaten herrschen - wenn auch in unterschiedlichen Graden - repressive Regimes; herausgefordert von Separatismus und Islamismus. Nicht minder groß ist die Herausforderung durch eine allgegenwärtige Korruption, Drogenhandelskriminalität und erschreckende Armut. Vor einem guten Jahrzehnt noch der so genannten Zweiten - kommunistischen - Welt zugerechnet, müssen manche Staaten wie beispielsweise Tadschikistan, wegen des allgemeinen Elends bereits der Vierten Welt zugeordnet werden.

Die USA haben nicht nur in Zentralasien, sondern auch in Südasien an Einfluss gewonnen. Sie unterhalten Militärbasen in Afghanistan und Pakistan. Und die amerikanisch-indischen Beziehungen haben sich bemerkenswert vertieft. Das war nicht immer so. Jahrzehntelang stimmte sich Neu Delhi in internationalen Streitfragen eher mit Moskau, denn mit Washington ab. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR war eine Neuausrichtung unumgänglich. Auch in der Wirtschaftspolitik. Mit einer stark binnenorientierten Politik war man an deutliche Grenzen gestoßen. Mittlerweile hat Indien mit weitreichenden Wirtschaftsreformen eine grundlegende Abkehr von der einstigen Binnenmarktorientierung hin zur Integration in den Weltmarkt vollzogen.

Längst suchen indische Regierungen das Gespräch mit Washington. Krieg gegen Islamisten ist für sie - Stichwort Kaschmir- seit vielen Jahren blutiger Alltag. Mit Israel verbindet das Land seit langem vielfältige Zusammenarbeit in atomarer Aufrüstung. Zwischen beiden Staaten liegt viel islamisches Land. Neu Delhi hat mit den Atomtests vom Mai 1998 deutlich gemacht, dass es eine Großmachtrolle beansprucht. Dem steht noch der Konflikt mit Pakistan in Kaschmir entgegen. Allein die USA sind in der Lage, in dieser Konfrontation zwischen den beiden Nuklearmächten hinter den Kulissen zu vermitteln. Pakistan strebte die atomare Aufrüstung an, da es in ein einer konventionellen nie zu einer Parität mit dem großen Nachbarn reicht. Es schließt deshalb auch die Option zum Erstschlag nicht aus, sofern nicht amerikanisch-israelische Vorsorge greift. So bedrohlich dieser Konflikt auch scheinen mag, Indien misst sich längst nicht mehr mit Pakistan, es vergleicht sich mit China. Das läuft amerikanischen Interessen nicht zuwider.

Die USA identifizieren drei strategische Kernregionen: Europa, Nordostasien und die Nahmittelost-Region - zuletzt deutlich geworden im Irak-Krieg. Er stieß weltweit, auch in der Dritten Welt, auf außerordentlich viele Vorbehalte. Damit wurde viel Goodwill, das den USA nach den schrecklichen Bildern vom 11. September auch dort entgegengebracht wurde, verspielt. An der militärischen Dominanz der USA sind wenig Zweifel möglich. Aber auch eine Weltmacht läuft mit solcher, weithin unilateralen Politik Gefahr, langfristig die eigenen Möglichkeiten zu überfordern. Sie ist sehr teuer. Und sie führt, nachgerade zwangsläufig, zu Gegenreaktionen, Gegenkoalitionen. Hegemonie ohne ein gewisses Maß an allgemeiner Akzeptanz aber wird auf Dauer schwerlich aufrecht zu erhalten sein.

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