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Das Parlament
Nr. 05-06 / 02.02.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Christoph Seils

Propaganda aus der Dachstube

Rechtsextremisten nutzen das Internet im undogmatischen Plauderton

Mit den Grenzen, die das Strafgesetzbuch der Meinungsfreiheit setzt, kennt Axel Möller sich aus. Zweimal bereits stand er wegen Volksverhetzung oder Leugnung des Holocausts vor Gericht. Erst kürzlich musste er 450 Euro Strafe zahlen, weil er ein derbes antisemitisches Gedicht aus dem vergangenen Jahrhundert zitiert hatte. Zum Abschluss des Prozesses gab ihm die Richterin einen rechtlichen Hinweis, den sich der 39-Jährige gemerkt hat: Man dürfe solche Zitate nicht ohne Begleitkommentar veröffentlichen. Also schreibt Axel Möller nun beispielsweise, ihm falle "nicht im mindesten ein", die "perfiden Instrumente des nationalsozialistischen Terrors zu verharmlosen", um gleich mit einem kräftigen "aber" fortzufahren. Oder er tarnt seine Gewaltphan-tasien als "Sommer-Gesundheitstipp zur Zeckenbekämpfung: Am besten drauftreten und ganz schnell wegrennen." Wohlwissend, dass linke Jugendliche in Skinhead-Kreisen "Zecken" genannt werden.

Möllers zweideutige Texte sind unter Deutschlands Rechtsextremisten gefragt und beliebt, auch wenn nur wenige den Autoren kennen. Axel Möller schreibt und verbreitet diese anonym, seine Bühne ist das World-Wide-Web. Fast täglich füttert er die Internetseiten des so genannten "Störtebeker-Netzes", einer der etwa 1.000 von Rechtsextremisten betriebenen Homepages in Deutschland. Der Boom des Internets ist auch an Rechtsextremisten und Neonazis nicht vorbei gegangen. Zählte der Verfassungsschutz 1996 noch 30 neonazistische, ausländerfeindliche oder antisemitische Homepages, waren es im vergangenen Jahr bereits 1.000. Von einer "nicht zu unterschätzenden Gefahr" spricht denn auch Maren Brandenburger vom Niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz, die Dunkelziffer sei erheblich.

Alles wird geboten; Aufrufe zur Gewalt, NS-Symbole, antisemitische Bücher. Das Internet ist zu einer gefährlichen Propaganda-Plattform geworden, auf der sich Rechtsextremisten einer breiten Öffentlichkeit darstellen können. In der Regel reicht es, in einer populären Suchmaschine einschlägige Suchbegriffe einzugeben. Der Text von Hitlers "Mein Kampf" findet sich in Sekundenschnelle genauso zum Downloaden wie Musik der verbotenen Skinheadband Landser. Populär sind auch anonyme Chatrooms, in denen munter über volksverhetzende oder menschenverachtende Thesen debattiert wird. Etwa 15 Prozent der rechtsextremen Homepages bieten nach Einschätzung des Verfassungsschutzes strafbare Inhalte, der Rest bewegt sich im Rahmen der Gesetze. Eine rechtliche Handhabe, diese zu verbieten, gibt es nicht.

Wie im "Störtebeker-Netz". Die Homepage gehört mit jährlich zwischen drei und vier Millionen Zugriffen aus aller Welt derzeit zu den rechtsextremen Top-Adressen im Internet. Axel Möller ist Mitbegründer des "Störtebeker-Netzes" und Autor fast aller Texte. Stolz präsentiert er die Listen mit den Zugriffszahlen. Mal sind es rund 15.000 am Tag, mal 22.000, am 16. September 2003 waren es 33.749 Zugriffe. Mitte September, als die Polizei in München eine rechte Terrorzelle aushob und 1,7 Kilogramm Sprengstoff fand, war das Informationsbedürfnis der Kameraden offenbar besonders groß. Diese informieren sich nicht mehr aus der ihnen verhassten "Systempresse" sondern in eigenen Internet-Medien. Von "angeblichen Todeslisten" im "Störtebeker-Netz" war an diesem Tag die Rede, von Wahlkampf und von V-Leuten. Und Axel Möller kommt in seinem Text sofort auf die "Machenschaften" der israelischen Regierung in Palästina zu sprechen und fügt hämisch hinzu, man müsse sich nicht wundern, "wenn sich die Empörung darüber, dass sich Exponenten dieses Volkes auf obskuren Todeslisten irgendwelcher Spinner befinden, durchaus in relativen Grenzen hält".

Was das "Störtebeker-Netz" so erfolgreich macht, ist die Mischung. Axel Möller verbreitet Meldungen der Szene, Aufrufe zu Demonstrationen und politische Kommentare. Anders als die meisten seiner rechten Mitstreiter im Netz verzichtet er völlig auf schwere Symbolik oder ideologische Pamphlete. Stattdessen kommt Möller im undogmatischen Plauderton daher und erreicht damit weit mehr als den harten Kern unbelehrbarer Rechtsextremisten. Das "Störtebeker-Netz" will provozieren und unterhalten. Und so scheut Axel Möller auch nicht davor zurück, die eigenen Reihen zu kritisieren, über "Möchtegern-Nationalisten ohne politischen Sachverstand" herzuziehen, oder die allwöchentlichen Demonstrationen des so genannten "nationalen Widerstandes" als Wanderzirkus zu belächeln. Manchmal gibt er gar Buchtipps, würdigt Ausstellungen oder veröffentlicht Nachrufe.

Die Bühne Internet lässt sich sehr einfach betreten. Selbst kleine Gruppen können eine enorme Breitenwirkung entfalten. Axel Möller kämpft mit seinem "Störtebeker-Netz" sogar ganz allein. Keine Gruppe, keine Organisation, keine Partei steht hinter ihm. Technisch ist das kein Problem. Kosten entstehen kaum. Die Sperrung der Internet-Seiten ist unmöglich, weil der Server vermutlich in den USA steht. Wenn überhaupt von einer Redaktion die Rede sein kann, dann befindet sich diese in einer kleinen Dachwohnung am Rande der Stralsunder Altstadt. Zwischen einem alterslahmen Computer, einem mit Zeitschriften und Papieren übersäten Schreibtisch und voll gestopften Bücherregalen arbeitet Möller, findet er seine Inspiration. Lexika, antiquarische Originalausgaben, umfangreiche Werkausgaben sind griffbereit. Gleich neben Hitlers "Mein Kampf" stehen im Regal Marx und Machiavelli; Edgar Julius Jungs Kampfschrift gegen die Weimarer Republik "Die Herrschaft der Minderwertigen" hat in seiner Bibliothek genauso ihren Platz wie Bücher von Goethe, Ibsen oder Schopenhauer. Selbst an Heinrich Heine findet Möller Gefallen, er begeistert sich für dessen "pralle Sprache", nicht ohne zugleich darauf hinzuweisen, dass dieser ein "überheblicher Gegner Deutschlands" gewesen sei.

Natürlich gibt es Versuche, die braune Flut im Internet einzudämmen. Längst arbeiten daran bei der Polizei und dem Verfassungsschutz ganze Abteilungen. Viele deutsche Provider haben rechtsextremen Organisationen in den letzten beiden Jahren Adressen und Speicherplatz gekündigt. In den USA, wo die Verbreitung neonazistischer Propaganda durch die Meinungsfreiheit geschützt wird, versuchen Gruppen, wie die Anti-Defamation-League, Internet-Provider zu einer Selbstverpflichtung zur Bannung rassistischer Homepages zu bewegen. All dies führt dazu, dass manche Seiten plötzlich nicht mehr erreichbar sind, Adressen wechseln, Gruppen ihre Homepages aufgeben. Doch der Erfolg solcher Maßnahmen ist begrenzt, der Boom ungebrochen.

Vor allem dann, wenn in Deutschland mal wieder ein Antisemitismusstreit tobt, ist antisemitische Propaganda im Netzt gefragt. In solchen Zeiten läuft Axel Möller zu wahrer Höchstform auf. Immer zweideutig, immer mit antisemitischen Untertönen, immer am Rande der strafbewehrten Volksverhetzung. Den CDU-Abgeordneten Martin Hohmann kürte er Ende letzten Jahres zum "Opfer des linken Mainstreams", dessen Kritiker nennt er "Deutschland-Hasser". Die "Zionistenlobby" stehe immer isolierter da, schreibt er, der Zeitgeist sei "nicht länger einseitiges Monopol einer Menschenklasse, die noch nicht mal ein Prozent der Gesamtbevölkerung einnimmt". Hirngespinste, die ihren Adressaten finden, denn im Internet gibt es weder Tabus noch kollektive Empörung, keinen Widerspruch und keine demokratische Kontrolle. Jeder kann dort Gleichgesinnte um sich scharen, ein virtuelles Gemeinschaftsgefühl erzeugen, sei seine Propaganda auch noch so widerlich.

Nur manchmal stockt die Ein-Mann-Propaganda-Maschine. Etwa wenn mal wieder ein Strafbefehl eintrifft, weil Axel Möller in einem Internet-Chat die Existenz von Gaskammern im KZ Ravensbrück geleugnet hat, ohne auf eine ausreichende Anonymisierung zu achten. Oder weil mal wieder die alterslahme Technik versagt. Dann ist vorübergehend Sendepause. Zuletzt kurz vor dem Jahreswechsel. Doch schnell fanden sich ein paar Kameraden, die auf die Propaganda aus der Stralsunder Dachstube nicht verzichten wollten. Sie spendierten Axel Möller einen neuen Bildschirm.

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