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Das Parlament
Nr. 17 / 19.04.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Ulrike Gropp

Neugierige Nachbarn

Das Verhältnis von Polen und Deutschland
Ein bisschen wie ein Wolf im Schafspelz kommt dieses Buch daher. Nach außen: (Kunst-) Ledereinband, die beiden Wappenadler in einträchtiger Nachbarschaft, und dann auch noch der Hinweis auf die Schirmherrschaft des polnischen Präsidenten und die liebenswürdigen Sponsoren - fast hätte die Rezensentin (sie gibt es beschämt zu) diesen Band wieder aus der Hand gelegt. Auch aufgrund der reichlich in den durchgängig zweisprachigen Text eingestreuten Fotos.

Diese Bildauswahl beweist, zumindest in der hier auftretenden Häufung tagesaktueller Aufnahmen, einmal mehr die Motivarmut und Langeweile politischer Ikonografie: Regierungschefs und Minister beim Händeschütteln, Kranzniederlegen, bei der Ordensverleihung, und - brav ins Bild gesetzt - ein bisschen "echtes" Volk beim Sich-miteinander-Verständigen, und dann noch ins richtige Licht gesetzt: die Projekte und Produkte der Sponsoren. Doch die Sache hat ein Gutes: Da die Bilder anscheinend ohne Kenntnis der in einigen Fällen recht kritischen Texte ausgewählt wurden, verleihen sie dem Gesamtkunstwerk in manchen Passagen eine - sicher unbeabsichtigt - subversive und komische Note.

Dass der bevorstehende EU-Beitritt Polens eine Zäsur in den deutsch-polnischen Beziehungen markie-ren wird, stand schon im Mai 2001 fest, als der Deutschlandkenner Mieczyslaw Tomala vom polni-schen Staatspräsident Aleksander Kwasniewski den Auftrag erhielt, einen Band zum derzeitigen Stand der deutsch-polnischen Beziehungen zu publizieren und dabei gleichzeitig "einen Blick in die Zukunft zu wagen". Die Chance musste genutzt werden und so nahmen sich die zehn Autoren aus beiden Ländern dann auch nicht weniger vor, als die nach der Wende von 1989/90 beinahe zum Symbol der Überwindung der Gewalterfahrungen des 20. Jahrhunderts hochstilisier-te Interessengemeinschaft zwischen Deutschen und Polen auf den Prüfstand zu stellen, "um neue Trenn-gräben zu verhindern". Dass sich diese dann bereits aufgetan hatten (Stichworte: Irak-Krise, Streit um das "Zentrum gegen Vertreibungen", EU-Verfassung), als die Druckfarbe des Buches noch nicht getrocknet war, macht ein Risiko, aber auch den Reiz dieses publizistischen Unterfangens aus.

Dass im Schreiben und Denken über die deutsch-polnischen Beziehungen in letzter Zeit ein (Stimmungs-)Umschwung eingesetzt hat, wird auch in diesem Band deutlich. Herausgeber Tomala gibt die Tonart der neuen Offenheit in seinem lesenswerten Vorwort an. Er benennt das bisher Erreichte als das, was es war: als "Elitenprojekt" - und fordert, dass sich dies ändern müsse. Denn gar zu weit entfernt von der harten Realität an der Basis seien viele der heute Tätigen. Und deshalb dränge sich - so Tomala - die Frage auf, ob nach Polens EU-Beitritt, "wenn beide Gesellschaften am intensivsten miteinander auf Tuchfühlung gehen, die bislang gehegten Animositäten Oberhand gewinnen oder aber allmählich verschwinden werden". In solchen Sätzen eines Mannes, der sein Leben seit den späten 40er-Jahren den deutsch-polnischen Beziehungen gewidmet hat, wird die tiefe Besorgnis genau dieser "Eliten" spürbar, ob nach dem Mai 2004 auch "alles gut" gehen wird - ein Gedanke, den Politiker und Experten normalerweise bislang öffentlich nicht äußern (dürfen).

Die "Neudeutschen"

Die Autoren haben sich mehrheitlich bemüht, die Schwachstellen des deutsch-polnischen Verhältnisses klar zu benennen. Sowohl die Bilanz der kulturellen Zusammenarbeit (tapfer, aber resigniert: Andrzej Tomaszewski), als auch der alarmierende Bericht des Soziologen Leszek Goldyka, der neue sozialwissenschaftliche Befunde über die gesellschaftlichen Realitäten in den Grenzregionen, vor allem bei Jugendlichen zusammenfasst, lassen Hinweise auf die zukünftigen Notwendigkeiten der bilateralen Politik zu. Mit Marek A. Cichocki ergreift ein Vertreter der jüngeren Generation das Wort. Lesenswert, wenn auch nicht gerade vergnüglich sind die Gedankenspiele um die Fragen, die den "Charakter der deutsch-polnischen Beziehungen in der erweiterten EU prägen könnten". Hinter manch technokratischer Formulierung schaut da ein origineller, diplomatisch denkender Kopf hervor.

Ein Höhepunkt des Bandes ist der Essay des Schriftstellers Stefan Chwin ("Wir und die 'Neudeutschen'"), der mit der Nüchternheit des ernstzunehmenden Propheten einige unbequeme Fragen stellt. Wie wird sich - so fragt Chwin - der bevorstehende demographische Wandel in Europa auf die deutsch-polnischen Beziehungen auswirken? Er nennt dieses in den Metropolen bereits erlebbare Europa "Postimmigrationseuropa" - und meint damit eine Staatengemeinschaft, deren Gesellschaften sich durch Zuwanderung und Überalterung der ursprünglichen Bevölkerung grundlegend verändert haben werden. Was wird - fragt er weiter - einst geschehen, wenn die deutsch-polnischen Beziehungen statt von den heutigen "Versöhnungsprofis" mit ihrem meist noch persönlich motivierten und vor dem Hintergrund der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gewachsenen Interesse und Engagement irgendwann einmal, in 30 oder 50 Jahren, von Deutschen mit türkischer, arabischer, serbischer oder asiatischer Herkunft gestaltet werden? Wird die Besonderheit dieser Nachbarschaft dann noch eine Rolle spielen - oder werden Bürde und Verpflichtung der Geschichte dann in der Globalisierung aufgehen?

Wenig vorbereitet auf diese und andere Fragen seien - so Chwins Befund - die gegenwärtig den Ton angebenden deutschen und polnischen Eliten, die sich mithilfe der existierenden "Kanäle für ein reibungsloses Zu- und Miteinander" in "künstlichen Welten" und "sicheren Aussöhnungsorbits" träfen. Und die sich dort inzwischen - so darf man optimistisch anfügen - als Gastgeschenk zumindest solch interessante und kritische Bücher überreichen wie den vorliegenden Band.

Mieczyslaw Tomala (Hrsg.)

Polska Niemcy - dzis i jutro/ Polen und Deutschland - heute und morgen.

Pagina Verlag, Warschau; 300 S., 25,- Euro

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