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Das Parlament
Nr. 19 / 03.05.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Barbara Minderjahn

Nach dem EU-Beitritt ist die Angst vor Firmenabwanderung auf's Festland groß

Seit Jahrhunderten ist die Insel Malta mit Europa verknüpft
Malta liegt nur rund 95 Kilometer von Sizilien entfernt. Doch die geographische Nähe allein macht aus der kargen Mittelmeerinsel noch keine europäische Kulturlandschaft. Dies vermag erst die Geschichte. Der römische Konsul Titus Sempronius Longus besetzt Malta im Jahre 218 v. Chr., um die Eroberung Karthagos vorzubereiten. Die Insel wird erstmals zum politischen Vorposten Europas.

Nach den Römern kommen die Germanen und Griechen. Dann wird Malta eine Zeit lang von Arabern besetzt. Doch die Spanier verdrängen sie, genau wie von der Iberischen Halbinsel auch von Malta. Die Kreuzritter übernehmen die Macht, bis auch sie von der Insel vertrieben werden. Nach einem kurzen französischen Intermezzo wird Malta unter Lord Nelsons Truppen im Jahre 1800 englisch. 1964 entlässt Großbritannien die Mittelmeerinsel dann endgültig in die Selbständigkeit. Jahrhunderte lang war die Geschichte Maltas mit der des restlichen Europa verbunden. Der Beitritt zur EU scheint vor diesem Hintergrund also nur ein konsequenter Schritt zu sein. Dennoch stimmten nur 53,6 Prozent der Malteser vergangenes Jahr für den Eintritt ihres Staates in die Union. Den ersten Aufnahmeantrag von 1991 hatten die von 1996 bis 1998 regierenden Sozialisten direkt nach ihrer Regierungsübernahme zurückgezogen. Beides, das Scheitern des ersten Antrags und die Zustimmung zum Beitritt, zeigt die tief sitzende Angst der Inselbewohner vor Veränderungen. "Die Inselmentalität bringt es mit sich, dass die Menschen versuchen, sich neuen Entwicklungen zu verschließen", erklärt Gejtu Vella, Generalsekretär von Haddiema Maghqudin, der zweitgrößten Gewerkschaft Maltas. "Viele verstehen nicht, dass sich die Dinge verändern."

Die Bauern befürchten beispielsweise, ihre Produkte in Zukunft nicht mehr auf den heimischen Märkten verkaufen zu können. Denn aus Italien importierte Tomaten, Auberginen und andere Gemüsesorten wären dann billiger als die eigenen Produkte. Ohne Einfuhrbeschränkungen glauben die maltesischen Landwirte unterzugehen. Allerdings muss Malta Lebensmittel einführen, da die Bauern auf dem kargen Boden nicht genug anbauen können, um die rund 400.000 Einwohner und die über eine Million jährlich beherbergten Touristen zu versorgen. Und wie alle anderen Beitrittsländer auch, hat Malta bereits seit Jahren Handelserleichterungen mit der EU verabredet. Das heißt, schon jetzt verkaufen die Händler in Valetta oder Sliema das billigere Gemüse aus Sizilien. Und trotzdem greifen die Verbraucher auch immer noch zu den Tomaten vom Bauern nebenan. Den kennen sie und vertrauen darauf, dass sein Gemüse besser schmeckt. Doch auch die Verbraucher haben Ängste. Viele glauben an einen Anstieg der Preise und verweisen auf die Entwicklung innerhalb der EU als die Euro-Länder ihre gemeinsame Währung eingeführt haben. Darüber hinaus würde man schon sehen, was man von der Gemeinschaft habe, wenn man erst die ganzen Normen aus Brüssel beachten müsse, kritisieren viele Bürger.

Nach dem gerade vollzogenen Beitritt der zehn Länder zur Europäischen Union wird sich in den alten und neuen EU-Staaten vieles verändern. Das unterstreichen auch die Befürworter der Erweiterung. Allerdings sehen sie darin nicht automatisch etwas Negatives. Die Malteser haben in der Vergangenheit beispielsweise den Umweltschutz vernachlässigt. Weder Firmen noch Privatleute achten darauf, wie viel Müll sie produzieren. Was nicht mehr gebraucht wird, fliegt weg. Recycling ist für viele noch ein Fremdwort, genauso wie Abgasreinigung und Energiesparen. Doch mit all dem werden sich die Malteser in Zukunft auseinander setzen müssen. Nach einer Übergangsfrist müssen die Beitrittsländer die EU-Richtlinien, dazu gehören auch Umwelt- und Verpackungsnormen, in nationales Recht übernehmen. Die Regelungen der Gemeinschaft zwingen Malta dazu, ein höheres Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft zu entwickeln.

Ähnlich ist es auch in Bezug auf die Rechte von Arbeitnehmern. Derzeit besitzen Arbeiter und Angestellte zwar Arbeitsverträge, in denen Gehalt, Arbeitszeiten und Urlaubstage geregelt sind. Aber sie haben nur wenige Möglichkeiten, ihre Ansprüche durchzusetzen. Wer zu aufmüpfig wird, kann gefeuert werden. Doch je mehr sich die europäischen Wirtschaftsstrukturen vernetzen, desto weniger werden die Arbeitnehmer auf die Willkür einzelner Firmenbosse angewiesen sein, hoffen die Befürworter der EU. Qualifizierte Angestellte könnten demnächst beispielsweise in andere europäische Länder auswandern, wenn die Arbeitsbedingungen dort besser sind. Das heißt, auch die maltesischen Unternehmer kommen nicht umhin, sich an internationale Standards anzupassen.

Die Arbeitslosenquote liegt jedoch auf Malta mit rund fünf Prozent weit unter der in Deutschland, Frankreich, Griechenland oder Italien. Das heißt: Ein entlassener Arbeitnehmer findet relativ leicht einen neuen Job, während der Firmenchef vielleicht erst lange nach einem passenden Ersatz für ihn suchen muss. Allein das müsste die Arbeitsbedingungen also schon verbessern helfen. Umgekehrt sind sich die Experten nicht einig, welche Konsequenzen der Beitritt auf die wirtschaftliche Struktur Maltas haben wird, und ob diese den Arbeitsmarkt positiv verändern.

Der Wirtschaftsboom Maltas basiert einerseits auf dem Erfolg des Dienstleistungssektors. Er macht rund 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Besonders stark gewachsen sind in den vergangenen Jahren die Bereiche Tourismus, Handel und Banken. Der zweite bedeutende Pfeiler der maltesischen Wirtschaft ist die so genannte Billiglohnproduktion im Bereich der Industrie. Genau dort erwarten die Fachleute aber, genau wie in den anderen Beitrittsländern, einen Einbruch. Die Löhne haben bereits begonnen zu steigen, wodurch sich die Produktion verteuert. Die Firmeninhaber suchen nach neuen, günstigeren Standorten. Arbeitsplätze gehen dadurch verloren. Der Generalsekretär der Gewerkschaft Haddiema Maghqudin Gejtu Vella sagt: "Dieser Prozess ist unausweichlich. Aber er hängt nicht mit der Europäischen Union zusammen, sondern vielmehr mit der Globalisierung. Und die Globalisierung können wir nicht aufhalten. Selbst wenn das Referendum negativ ausgegangen wäre, wenn wir also nicht der EU beigetreten wären, hätte die Wirtschaft Maltas diesen Umstrukturierungsprozess durchmachen müssen. Aber wir hätten nichts, um die damit verbundenen Schwierigkeiten abzufedern. Der Vorteil, den wir durch den Beitritt haben, ist, dass wir bei dem Prozess jetzt Hilfe bekommen. Mit der EU sind wir also in einer viel besseren Situation als ohne sie."

Mit Hilfe von EU-Programmen wollen Regierung, Gewerkschaften und Industrievertreter Maltas Wirtschaft vor allem im Hochtechnologiebereich erfolgreich weiterentwickeln. Dass dies gelingen kann, zeigt sich am Beispiel der Meeresforschung. Das Operationszentrum für Physikalische Ozeanographie der Universität Malta hat sich in den vergangenen Jahren zum Knotenpunkt eines mittelmeerweiten Netzwerks zur Überwachung des Meeresspiegels etabliert. "Es ist das erste System, das live Daten über den Meeresspiegel im ganzen Mittelmeerbereich zu Forschungs- und Prognosezwecken liefert", erklärt Aldo Drago, Chef des Operationszentrums für Physikalische Ozeanographie der Universität Malta.

Die Voraussetzung für derartige Hochtechnologieprojekte sind gut ausgebildete Fachkräfte und Studenten, und von denen hat Malta mehr als genug. Gerade im Ausbildungsbereich ist der Blick über die Grenzen bereits gewohnt. Aufgrund der jahrelangen Zugehörigkeit zum britischen Commonwealth und durch die englische Besatzung, orientieren sich Schulen und Universitäten bis heute am britischen Ausbildungssystem. Darüber hinaus spricht nahezu jeder Malteser perfekt englisch. Viele Studenten studieren in Großbritannien. Genau damit verknüpft sich allerdings auch ein Problem. Sobald auch die Menschen aus den Beitrittsstaaten nach einer Übergangsfrist überall in der EU wohnen und arbeiten dürfen, wollen viele junge Menschen Malta verlassen, um im Ausland zu studieren und danach dort zu arbeiten. "Hier auf Malta ist alles irgendwie zu eng", erzählt ein Student. "Jeder kennt jeden. Und wenn man eine verantwortungsvolle Stelle bekommen will, muss man aufpassen, dass man es sich nicht mit irgendwem verscherzt". Experten befürchten das so genannte "brain drain". Das heißt, die Intelligenz wandert ab, weil sie im Ausland bessere Bedingungen vorfindet als zu Hause. Für die Wirtschaft, und vor allem für die Hochtechnologiebereiche, die erst noch im Entstehen sind, wäre eine solche Entwicklung Gift. "Natürlich befürchten wir die Abwanderung von gut qualifizierten jungen Leuten", gesteht der Personaldirektor der Behörde für Tourismus John Muscat Drago. "Aber das ist bei uns schon Tradition. Vor allem früher, als wir hier noch eine hohe Arbeitslosigkeit hatten, sind Malteser sogar bis nach Australien oder Kanada ausgewandert". "Doch viele kommen auch wieder nach Malta zurück. Die Erfahrungen, die sie mitbringen, könnten unsere kleine Nation sehr positiv beeinflussen", fügt Gejtu Vella hinzu. Der Unterschied zwischen den Befürwortern und Skeptikern der EU liegt wohl darin, ob sie anstehende Veränderungen akzeptieren oder nicht.

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