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Das Parlament
Nr. 20 / 10.05.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Bert Schulz

Auf in die Verflechtungsfalle

Damals...vor 35 Jahren am 12. Mai: Die Grundgesetzänderungen für die Finanzverfassungsreform treten in Kraft

Im westlichsten Baden-Württemberg wurde die Nachricht mit geradezu erstaunlicher Euphorie aufgenommen. "Seit gestern gibt es keine reichen und armen Bundesländer mehr", schrieb der Kommentator der in Karlsruhe erscheinenden "Badischen Neuesten Nachrichten". "Fortan gibt es nur noch ausgleichspflichtige und ausgleichsberechtigte Länder." Gemeint war die Zustimmung des Bundestages zu einem Gesetz, das so ungetüm war wie sein Name: die Finanzverfassungsreform, die vom badischen Kommentator etwas schwülstig als "schmackhafte Koalitionsfrucht" tituliert wurde. Am 12. Mai 1969 traten die zahlreichen dafür notwendigen Grundgesetzänderungen in Kraft. Damit war der Grundstein gelegt für den "kooperativen Föderalismus" und letztlich für die heute vielfach kritisierte Kompetenzverwirbelung zwischen Bund und Ländern. Beide Ebenen waren nun gezwungen, sich in vielen im Grundgesetz festgelegten Bereichen auf Projekte und deren Finanzierung zu einigen; es wurden Gemeinschaftsaufgaben definiert, darunter der Aufbau der Hochschulen sowie die Verbesserung der Agrar- und der regionalen Wirtschaftsstruktur.

Die damalige Euphorie des Zeitungskommentators erscheint noch etwas unverständlicher, wenn man sich die gegenwärtigen finanziellen Rivalitäten unter den Bundesländern in Erinnerung ruft. Denn ein wesentliches Ziel der Finanzreform 1969 war die Milderung des Unterschieds zwischen betuchten und weniger betuchten Ländern. Das Gesetz räumte nun den ausgleichsberechtigen Ländern einen Rechtsanspruch ein auf Zahlung, bis sie mindestens 95 Prozent des durchschnittlichen Länder-Steueraufkommens pro Kopf erreicht haben. Und das "reiche" Baden-Württemberg - ebenso wie Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und sogar Bremen - durften nun kräftig Zuschüsse leisten. Nicht hingegen Bayern, das 1970 noch deutlich zu den "armen" Landstrichen gehörte.

Es dauerte lange, bis sich die Länder an den Geschmack dieser besonderen "Koalitionsfrucht" gewöhnen konnten. Die erste Initiative zu der umfassenden Neuordnung der Aufgaben und der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen war 1961 vom damaligen Finanzminister Franz Etzel (CDU) ausgegangen. Sein Nachfolger setzte 1964 eine Sachverständigenkommission ein, die 1966 ein Gutachten vorlegte. In Gesetze gegossen wurden einige der Vorschläge zwischen Herbst 1967 und 9. Mai 1969, als der Bundesrat im zweiten Anlauf zustimmte.

Wahrscheinlich war aufgrund der zahlreichen notwendigen Grundgesetzänderungen nur eine Große Koalition überhaupt in der Lage, ein solches Projekt zu stemmen. Die FDP, die damals die ganze Oppositionsarbeit im Bundestag machte, stimmte jedenfalls immer wacker dagegen. So kritisierte ihr Abgeordneter Wolfgang Mischnick während der entscheidenden Bundestagssitzung am 23. April 1969, dass die Regierung eine "Scheinlösung als den großen Schritt nach vorn" zu präsentieren versuche. Bei der Finanzausstattung der Länder werde ein "Wirrwar" von "nicht übersehbarem Ausmaß" angerichtet.

Die Union beklagte, dass für einen "vernünftigen Ausgleich" der Länder-Finanzausstattung keine andere Lösung gefunden worden sei als die Zerlegung der Steuern. Da auch die Länder den Grundgesetzänderungen mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen müssten, so der CDU-Abgeordnete Otto Schmidt, gäbe es derzeit aber keine bessere Lösung. Finanzminister Franz Josef Strauß nannte die Reform "einen wesentlichen Schritt vorwärts"; der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Alex Möller, sprach von einer "großen, konstruktiven und modernen Finanzverfassungsreform".

Modern war sie sicher in dem Sinne, dass sie die vielen, fortan an Entscheidungen beteiligten Akteure an einen Tisch zwang. Gelobt wurde damals unter anderem die vermeintlich gerechtere Steueraufteilung. Sehr schnell wurde jedoch die mangelnde Effizienz beklagt. Zu langsam und zu konsensorientiert würden die Ergebnisse ausfallen, die das neue, als "Politikverflechtung" negative beschriebene System schließlich liefere. Zu spüren bekommen die Bürger dies jedesmal, wenn in Bundestag und Bundesrat unterschiedliche Parteien die Mehrheit stellen, wie derzeit auch. Lehnt die Länderkammer ein Gesetz des Bundestages ab, ist rasch die Rede von einer kritikwürdigen "Blockadepolitik", deren Möglichkeit man durch eine Reform des Föderalismus dringend verhindern sollte.

Bert Schulz

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