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Das Parlament
Nr. 23-24 / 01.06.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Astrid Pawasser

Ein handfester Skandal?

Sachsen: Debatte über Missbrauch von Fördermitteln

Ein krimireifer Einsatz brachte es an den Tag: In Sachsen sind möglicherweise in großem Stile Fördermittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) veruntreut worden. Die von Justizminister Thomas de Maizière (CDU) initiierte Sonderermittlungskommission INES brachte sich kurz nach ihrer Gründung bereits mit einem Paukenschlag ins öffentliche Bewusstsein. Zeitgleich morgens um 9 Uhr hatten Staatsanwälte Anfang Mai an mehreren Orten Wohnungen und Büros von 16 Verdächtigen durchsucht. Auch das Wirtschaftsministerium in Dresden blieb nicht ungeschoren. Zwei Personen landeten umgehend in Untersuchungshaft. Einem ehemaligen Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium wird vorgeworfen, die nicht sachgerechte Genehmigung von ESF-Geldern betrieben zu haben. Der zweite Festge- nommene ist ein ehemaliger hochrangiger Gewerkschafter, der als Geschäftsführer einer Qualifizierungsgesellschaft fungierte, die die Fördermittel zweckfremd verwendet haben soll. Es soll sich um einen Betrag von bis zu 21 Millionen Euro handeln.

Im Kern geht es um die Auffanggesellschaft QMF, die 1998 bei der Privatisierung des Dresdner Zentrums für Mikroelektronik (ZMD) gegründet worden war. Nach Darstellung des Wirtschaftsministeriums hatten die Erwerber der Chipfabrik, die Gebrüder Rittinghaus, als Vorstände der inzwischen pleite gegangenen Sachsenring Automobiltechnik AG darauf gedrungen, eine Auffanggesellschaft für 140 zu entlassene Arbeitnehmer von ZMD zu gründen. Wie Wirtschafts- minister Martin Gillo (CDU) jetzt dem Landtag erklärte, hätten sie die Firma QMF als Projektträger präsentiert. Geschäftsführer dieser "Qualifizierungsgesellschaft für Mikroelektronik und Fahrzeugtechnik" war ein Gewerkschaftsfunktionär, der auch im Aufsichtsrat der Sachsenring AG saß. Die im Zuge von Rationalisierungen in den Unternehmen ZMD und SAG entlassenen mehreren hundert Arbeitnehmer wurden zwecks Weiterbildung zur QMF geschickt und sollen dort Praktika absolviert haben, die in Wahrheit keine waren, sondern eine Weiterbeschäftigung an ihren alten Arbeitsplätzen - finanziert nicht durch den Betrieb, sondern durch den Europäischen Sozialfonds.

Nach den Recherchen des sächsischen Wirtschaftministeriums bekamen die "Umschüler" Unterhaltsgelder, die ihrem früheren Nettolohn entsprachen. Außerdem seien allgemeine PC-Schulungen als "Qualifizierungsmaßnahmen" abgerechnet worden, die zum Teil länger als 24 Stunden am Tag gedauert haben sollen.

Ans Licht gekommen war der Schwindel durch Stichproben, die EU-Kontrolleure vorgenommen haben - ein Umstand, der das sächsische Wirtschaftsministerium bereits zu wortreichen Erläuterungen über das eigene aufklärerische Wirken veranlasst hat. Allein, die Opposition mag das nicht so recht glauben. Einen weiteren Deal auf der "nach oben offenen sächsischen Skandalskala" glaubt der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karl Nolle, zu erkennen. Nolle, der sonst vehement die angebliche Regierungshörigkeit der sächsischen Staatsanwaltschaften beklagt, zeigte sich allerdings befriedigt darüber, dass die Ermittler diesmal der drohenden Verjährung von Straftaten zuvorgekommen sind.

Während der Wirtschaftsminister mit vergleichsweise milden Tadeln belegt wird, weil er noch nicht im Amt war, als der Fördermittelmissbrauch geschah, schießt sich die Opposition im Landtagswahljahr voll auf den Regierungschef ein. Der Vorsitzende der PDS-Fraktion, Peter Porsch, beklagte das anhaltende Schweigen von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). Wochenlang habe sich Milbradt als moralische Instanz des Ostens aufgespielt und den anderen ostdeutschen Bundesländern den falschen Umgang mit Geldern für den Aufbau Ost vorgehalten und jetzt drücke er sich vor einer Regierungserklärung zur Förderpolitik in Sachsen. Vorsorglich drohte Porsch mit einem neuen Untersuchungsausschuss in der kommenden Legislaturperiode.

Wirtschaftsminister Gillo hatte zuvor von 80 weiteren Verdachtsfällen gesprochen und indirekt eingeräumt, dass die Kontrollmechanismen bei der Fördermittelvergabe vor seinem Amtsantritt nicht ausreichend waren. In der Tat hatte er durch heftiges Verschieben von Personal zu Beginn seiner Amtszeit bestehende Strukturen zerstört; die in die Kritik geratene Abteilung 5 des Wirtschaftsministeriums, die für die Fördermittel zuständig war, wurde inzwischen aufgelöst, ihre Aufgaben der Sächsischen Aufbaubank übertragen. Mit der EU-Komission will sich Sachsens Regierung über eine Umschichtung der genehmigten Fördermittel verständigen: Weg von beschäftigungspolitischen Maßnahmen für den so genannten "Zweiten Arbeitsmarkt" hin zur Förderung von Investitionen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.

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