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Das Parlament
Nr. 25 / 14.06.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Pascale Hugues

Verderbte Schönheit

Wie die plastische Chirurgie eine Illusion verheißt und Sinnlichkeit verleugnet
Jeden Morgen laufe ich in meiner Straße in Berlin an einem Schönheitssalon vorbei. Im Schaufenster hängt eine große weiße Tafel, auf die mit Bleistift fünf kleine Frauen gezeichnet sind. Auf dem Gesicht der ersten prangt ein enormes Lächeln, das überschwänglich von einem Ohr zum anderen wandert. Auf dem Gesicht der letzten dagegen liegt ein bleischweres Schmollen, das ihre schlaffen Mundwinkel trist nach unten zieht. Die erste kleine Bleistiftfrau gehört zur Kategorie der 18- bis 20-Jährigen, die letzte zur Gruppe der über 80-Jährigen. Und zwischen diesen beiden Extremen des Lebens finden wir den stetigen Verfall des weiblichen Körpers, den langsamen, aber sicheren Abstieg in die widerwärtige Hölle des Alterns.

Jeden Morgen bringt mich diese ebenso dumme wie grausame Zeichnung in Rage. Weder glaube ich an die dramatische Verwandlung dieser strahlenden Venus in eine griesgrämige Hexe, noch an die kostspielige Behandlung, mit der der Schönheitssalon diese Tendenz umkehren und die fünfte kleine Bleistiftdame in einen wundertätigen Jungbrunnen tauchen will. Jeden Morgen überkommt mich die Lust, einen dicken Filzstift zu nehmen und die Gesichtszüge der kleinen Frauen umzudrehen. Die Kategorie der 18- bis 20-Jährigen würde ich in kleine Heulsusen verwandeln: Herzschmerz, Akne, Magersucht, mangelndes Selbstvertrauen, pubertäre Verrenkungen. Die Kategorie der über 80-Jährigen dagegen würde aufblühen: Falten, die von einem erfüllten Leben zeugen, Weisheit, Humor und Gelassenheit. So stelle ich mir das hohe Alter eher vor, jedenfalls, wenn man das unschätzbare Glück hat, dorthin zu gelangen, ohne zu erkranken. Bin ich eine unverbesserliche Optimistin? Habe ich vielleicht einfach nur das Glück, zwei wunderbare Großmütter gehabt zu haben? Werde ich an jenem Tag, an dem die ersten Altersflecken meine Arme in ein impressionistisches Gemälde verwandeln, desillusioniert aufwachen? Mag sein. Aber diese karikaturhafte und erniedrigende Bleistiftvision des hohen Alters ist mir unerträglich.

Ich habe mich von der Chefin des Schönheitssalons beraten lassen. Das Gegengift, das sie mir vorschlug, beschränkte sich auf die Einnahme von Pflanzentees, dazu ein paar Massagen und Packungen. Keine größeren körperlichen Eingriffe. Lediglich das Versprechen eines angenehmen Augenblicks in der feuchten Wärme einer stillen Kabine, fern vom Lärm und Stress der großen Stadt. Allein die Geldbörse verschlankt sich im Rhythmus der Sitzungen. Aber, würden Moralisten jetzt sagen, ist das nicht nur der erste Kolbenschlag einer infernalischen Maschinerie? Man fängt damit an, sich die Haare zu färben - eine kleine, rührende Eitelkeit, die man an den Haarwurzeln erkennt, wo die Originalfarbe durchscheint. Und schon bald lässt man sich unerwünschte Fettablagerungen wegsaugen, lässt sich Silikon in Brüste und Lippen spritzen, lässt sich Stirn und Pobacken liften. An welcher Stelle wird der Bluff gefährlich? Wo endet die sorgfältige Pflege, die Ausdruck von Selbstachtung und einer gewissen Körperkultur ist, und wo beginnt das neurotische Streben nach Perfektion, Kennzeichen der Ablehnung des eigenen Körpers und der verstreichenden Lebenszeit?

Zuflucht zu Skalpell und Spritze

Jeder kennt den verunglückten Schmollmund von Meg Ryan, die verderbte Schönheit der Emmanuelle Béart, die unproportional aufgepumpten, abgepumpten und wieder aufgepumpten Brüste von Britney Spears. Mit dem Glanz der Stars kommen wir, die Gemeinschaft der Sterblichen, nur beim Friseur in Kontakt, wenn wir die "Gala" durchblättern und in eine exklusive Gesellschaft vordringen, in der jeder 20 Jahre alt ist. Keiner meiner Freunde ist geliftet. Ich kenne niemanden, der sich die Brüste hat richten lassen. Trotz des medialen Großangriffs ist die Schönheitschirurgie nach wie vor ein Randphänomen. Dennoch künden die Zahlen von einem rapiden Anstieg. Nach Schätzungen (offizielle Statistiken gibt es nicht) werden in Frankreich jährlich etwa 150.000 bis 200.000 chirurgische Eingriffe um der Schönheit willen durchgeführt. Trotz aller Risiken und Kosten wagen es also immer mehr Frauen, diese Schwelle zu überschreiten und Zuflucht zu Skalpell und Spritze zu nehmen.

Was mich dabei in erster Linie erstaunt, ist die Diskrepanz zwischen dem imaginierten und dem realen Körper. Auf der einen Seite der glatte Barbie-Leib, mit Brüsten wie Wassermelonen und Lippen wie reifem Fruchtfleisch, der uns angeblich von der banalen Angst befreit, nicht mehr geliebt zu werden, nicht mehr zu verführen. Auf der anderen Seite der reale Körper, der meist viel anrührender und viel schöner ist. Emmanuelle Béart, die als meist-geliftete Schauspielerin Frankreichs gilt, ist ein wunderbares Beispiel: Sie war vorher tausendmal schöner als nachher. Wie ist es nur möglich, dass sich diese Frau ihrer außergewöhnlichen Schönheit nicht bewusst war? Darin liegt das wahre Rätsel. Und führt nicht die Verwandlung unter dem Skalpell in der Regel zu einer Standardisierung des Erscheinungsbildes? Frauen, die ihr Schicksal in die Hände eines Chirurgen gelegt haben, haben alle die gleiche Nase und den gleichen Mund. Es braucht keine besondere physiognomische Begabung, um sie auf der Straße zu erkennen. Der imaginierte Körper mag auf Hochglanzpapier gut aussehen, aber er ist all dessen beraubt, was das Leben auszeichnet. Es fehlen die Unvollkommenheiten. Es fehlt die Mimik, die Emotionen verrät. Es fehlen die Wärme und die Zeichen der Zeit. Der imaginierte Körper ist ein frigider Körper, denn die Schönheitschirurgie leugnet alle Sinnlichkeit. Fragen Sie die Männer: Die Vorstellung, einen Silikonbusen zu berühren oder einen Botox-Mund zu küssen, löst bei der Mehrheit absolut kein Verlangen, sondern im Gegenteil nur Ekel und Entsetzen aus. Wie kann man sich Lippen konstruieren lassen, die beim Küssen nichts mehr fühlen, angeblich aber besser aussehen? Wie kann man sich die Brüste beschneiden lassen, um ein ganzes Leben lang Narben zur Schau zu stellen? Das Bild von Uschi Glas im Bikini ist monströs: ein 60-jähriger Backfisch, ausgemergelt von unzähligen Ananaskuren und morgendlichen Bürstenfrottierungen, eine Mumie ohne Seele, ein altersloser Körper, der etwas Irreelles hat, etwas Erschreckendes. Sind es wirklich diese Frauen, die die Männer anziehen? Herr Glas jedenfalls hat einer Wurstverkäuferin den Vorzug gegeben - etwas vulgär vielleicht, aber wenigstens kann man sie anfassen.

Zurück zu den fünf kleinen Bleistiftfrauen, zurück zur Schönheit des hohen Alters. In diesem letzteren Punkt lassen sich vielleicht gewisse Unterschiede zwischen den Ländern Europas ausmachen. Vor mehr als einem Monat habe ich ein Wochenende in Lissabon verbracht. Es waren die ersten richtigen Frühlingstage, und überall in der Stadt sah man die alten portugiesischen Witwen mit ihren Strickjacken aus schwarzer Wolle, mit sorgfältig ondulierten und violett-schillernd getönten Haaren, mit kleinen Perlen-Ohrringen. Manche saßen plaudernd auf Parkbänken in der Sonne, die elegantesten promenierten durch die Straßen, mit gepudertem Gesicht, Schuhen mit kleinen Absätzen und einer Wolke schweren Parfums um sich herum. Sie sind sich ihres Alters bewusst, diese alten Portugiesinnen, aber dennoch haben sie es verstanden, feminin und kokett zu bleiben. Zurück in Berlin machte ich am letzten Wochenende einen Spaziergang entlang der Spree und trank einen Kaffee im Biergarten unter den Fenstern des Kanzleramts. Gruppen deutscher Rentner waren übers Wochenende aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein angereist, um sich die Hauptstadt anzusehen. Die Frauen trugen durchweg graue, kantige Kurzhaarschnitte, beigefarbene Anoraks und bequeme, flache Schuhe, die ihren energischen Gang unterstrichen. Weder ihre fleckigen Wangen noch ihre matten Lippen schienen ihnen etwas auszumachen. Sie wirkten völlig asexuell, als hätten sie jede Spur von Zartheit und Weiblichkeit verloren. Diese ganze Provinzprozession wirkte, als sei sie direkt dem Schaufenster des Schönheitssalons in meinem Viertel entsprungen. Kategorie Nummer fünf.

Kokette und raffinierte Art des Alterns

Jedes Mal, wenn ich aus Deutschland nach Frankreich, Italien oder Portugal fahre, fällt mir diese Diskrepanz auf. Nicht bei den jungen Frauen, die in allen unseren Ländern schön und elegant sind, sondern bei den älteren Damen. Mich rührt diese kokette und raffinierte Art des Alterns. Mich rühren Parfumwolken, kleine Hütchen und Haarnetze über weißen Knotenfrisuren. Mich rührt die Grazie der Gesten und der Stolz, sich nicht gehen zu lassen, das Spiel der Verführung nicht aufzugeben. Woher rührt dieser Unterschied, der mir jedes Mal ins Auge fällt? Ist es der Krieg, der die Generation der jetzigen deutschen Rentnerinnen ihrer Weiblichkeit beraubt hat? Eine protestantisch-puritanische Kultur, in der die tugendhafte Frau eher nach Bohnerwachs als nach Chanel duftet? Oder ist es das Erbe des militanten Feminismus? Für eine bestimmte Generation von Deutschen sind schon das Tragen von BHs oder der Einsatz von Make-up ein Verrat an der Natur - von Silikon und Botox ganz zu schweigen! Zugegeben, Deutschland ist im Begriff, sich von Klischees, aber auch von Dogmen zu befreien. Junge Frauen haben heute wieder das Recht, weiblich zu sein.

Kündigt sich vielleicht sogar schon die Rache des unvollkommenen, des realen Körpers an? Seit einigen Wochen preisen auf Berliner Plakatwänden vier dicke Mädchen die Vorzüge einer Feuchtigkeitscreme an. Im Kino treten die "Calendar Girls" für eine reifere Form der Schönheit ein. Selbst Catherine Deneuve beschreibt in ihrer gerade in Frankreich erschienenen Autobiographie, wie der Krieg gegen die Pfunde sie in den Wechseljahren erschöpft hat. Ein Roman, der die Altersliebe einer Witwe beschreibt, wird in Frankreich zum Bestseller, und in Deutschland bricht Frank Schirrmachers Buch über das Altern die Verkaufsrekorde. Der Beginn einer Rebellion gegen die Diktatur des Looks und der Jugend um jeden Preis? Sie werden sehen: noch ein paar Jahre, und die alten Damen werden endlich ihr Lächeln wiederfinden.

Pascale Hugues ist Korrespondentin

des französischen Magazins Le Point.

Übersetzung: Jens Muehling

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