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Das Parlament
Nr. 25 / 14.06.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Christoph Oellers

Die neue Generation der Alten

Die Werbung setzt auf Freude am Konsum
"Früher war alles besser", sagen bevorzugt Ältere, wenn sie Benehmen und Moden der Jüngeren missbilligen oder wenn sie sich überhaupt in der Gegenwart unwohl fühlen. Die Klage schwillt in stagnativen Zeiten wie jetzt, da die Republik seit zwei Jahren auf den großen Ruck wartet, zum gesellschaftlichen Chorgesang an. So eingestimmt, hält man sein Geld gleich dreimal wachsam zusammen. Für die sensible Wirtschaft ist das Gift, hängt sie doch zu drei Fünfteln vom Verbrauch der Privathaushalte ab. Eine konstruktive Stimmung ist gefragt. Was die Politik nicht schafft, macht die Werbung vor.

Für heute alles besser finden als früher", steht auf einer Anzeige des Tabakkonzerns Reemtsma. Drei betagte Damen, eindeutig im ruhestandsfähigen Bereich, lächeln heiter. Sie scheinen sich bestens zu verstehen und sind mit ihrer aktuellen Situation in irgendeinem Schnellcafé amerikanischer Art offenbar sehr zufrieden. Die Zigaretten, die frisch entzündet glimmen, halten sie, als ob sie Victory-Zeichen abgäben. Das Signal ist klar: Leben läuft im Jetzt ab, und die Zuversicht ist unser. Die Anzeige polt aber nicht nur ein allgegenwärtiges Gejammere um, sondern macht eine neue Generation zum Thema: die Alten.

Bislang ist trotz zunehmender Vergreisung der deutschen Bevölkerung - Frank Schirrmacher hat das den "Methusalem-Komplex" genannt - Alter ein Makel. Zum alten Eisen will niemand gehören, es werden mit "am Ende sein", Hinfälligkeit und Tod verbunden. "Dem Alter ein so negatives Image anzuhängen, halte ich für lebensgefährlich." Für Volker Nickel, Sprecher des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft, werden Ältere nur in der Werbung positiv dargestellt. Das Altsein stünde in Spots gelegentlich für Vertrauen und Erfahrung. "Werbung kann aber nicht per Huckepack Sozialpolitik betreiben. Dazu fehlt ihr die Kompetenz."

Grundsätzlich sieht Nickel den zentralen Unterschied zur journalistischen Medienwelt - bad news are good news - darin, dass "wir die Schwierigkeit haben, eine langweilige Sache positiv an Mann oder Frau zu bringen." In den 90er-Jahren war das kein Problem, als die Taschen gefüllt waren. Da konnte man den Menschen mit Selbstverwirklichungsverlockungen zum Kauf verführen ("100 Prozent Ich", "forever young", "Weil ich es mir wert bin"). Die Werbebranche boomte, die Ausgaben haben sich allein zwischen Mitte der 80er-Jahre und 2000 mehr als verdoppelt. Seitdem ist der Markt auf hohem Niveau leicht rück-läufig. 2003 wurden knapp 29 Milliarden Euro für Werbung ausgegeben.

Opulente Bilderwelten schürten in den 90ern das Verlangen nach Naschen, Prassen und Spaß haben. Es war die Zeit, in der die Branche Zulauf erhielt von Geisteswissenschaftlern, die lieber fröhlich viel Geld verdienen wollten als sich in der Universität mit einem zähen Betrieb oder als Journalist mit schlechten Nachrichten abzuplagen. Es war die Zeit, in der sich Agenturen wie Jung/von Matt gründeten (1991). Früher.

Früher gab es Gott und die Kirche, die ein schützendes Dach bot. Da gab es Werte, die noch was galten. Da konnte sich der Gläubige an einem Wertekanon ein Leben lang abarbeiten. Die Generation 68 hat damit Schluss gemacht und den Menschen in eine selbst zu verantwortende Mündigkeit gedrängt. Doch nicht nur die Gedanken waren frei, sondern auch das Kapital. Mit Verzögerung, aber listenreich entwickelte die Werbebranche besonders in den 90ern Strategien, Produkte mit einem Mehrwert zu versehen: sie mit Sinn zu füllen, sie an ein Lebensgefühl zu koppeln.

Die Passagierflugzeuge, die Al-Qaida ins World Trade Center hat krachen lassen, haben einiges geändert: Schock-Werbung im Stil von Benetton war nicht mehr opportun, und auch Spots, welche die Welt als ein globales Zuhause darstellten, verschwanden vom Markt. Zudem verschärfte sich in Deutschland die wirtschaftliche Situation, die Unsicherheiten wuchsen angesichts der Diskussionen, die um Kranken- und Rentenversicherung geführt wurden. "Durch die Berliner Kakophonie in Sachen Reform stecken wir ja in der Krise: weil ein großer Teil der Beschäftigten Angst hat, was morgen kommt", sagt Verbandssprecher Nickel.

Das Cabrioletgefühl grenzenloser Freiheit und unendlichen Vergnügens ist der klammen Ahnung einer transzendentalen Obdachlosigkeit gewichen. Einfache Botschaften, die wie Hinweisschilder zu Discounterkathedralen wirken, sind aktuell; Befehle, die einen aus der Lethargie reißen sollen: "Kaufen. Marsch, marsch!" "Billig will ich." "Mehr fürs Geld!" Das ist Werbung im Retro-Stil, als erinnerte sie sich an die Zeiten von früher, als sie noch Reklame hieß - so nackt wie eine Existenzangst.

"Das sind Beispiele für Negativ-Hysterie", sagt Karen Heumann, Vorstand bei Jung/von Matt und strategische Chefplanerin. "Da dreht man nur immer in eine Billig-billig-und-alles-ist-eh-Schnäppchen-Schraube." Davon will sie die eigene Rufezeichen-Kampagne "Geiz ist geil!" ausgenommen wissen. "Das war eine Punktlandung auf eine gesellschaftliche Befindlichkeit." Aus einer Untugend - im christlichen Sinn eine Todsünde, im kapitalistischen ein GAU - wurde eine Tugend. Denn eigentlich war ja jene Tugend gemeint, mit der die Bundesrepublik groß wurde: Sparen. Ja zum Geldausgeben, aber bitteschön günstig. Eine anschließende Kampagne, die "Schluss mit Falschgeiz!" propagiert, befreite den ersten Spruch von seiner Mehrdeutigkeit. Er hatte zwar Diskussionen an Stammtischen und in Zeitungen ausgelöst, aber offenbar zu sehr Eigenleben gewonnen und sich vom Produkt (ein Elektronikdiscounter) entfernt.

Die Branche spricht dann vom "Vampir-Effekt": Wenn Werbung nur noch aus Mehrwert, aus Idee besteht, nicht aber mehr mit dem anzupreisenden Gegenstand verbunden wird. Um das zu vermeiden, fragen Marktforschungsinstitute Verbraucher, an was sie sich bei einer bestimmten Werbung erinnern können, bis dahin, ob sie bereit wären, das Produkt weiter zu empfehlen. Andererseits schützen sich Unternehmen, indem sie Spots vorab testen.

Florian Schindler vom Branchenführer BBDO sieht derartige Erforschung von Konsumentenwünschen kritisch: "Das unterdrückt alles Neue. Es darf nicht so sein, dass die Konsumenten über Pretests die Werbung bestimmen." Überraschung wäre dann nicht mehr möglich. Sie zählt aber neben Humor zum unverzichtbaren Bestandteil gelungener Werbung. Schindler zeichnet für eine Kampagne verantwortlich, die sich "Mitten im Leben" nennt und dem führenden Bausparer gilt. Im mittlerweile dritten Spot ist ein Mädchen zu sehen, das bei ihrem Alt-Hippie-Vater in einer Bauwagenkolonie lebt. Sie erzählt von dem tollen Haus, das die Eltern einer Freundin besitzen. Der Vater knurrt "Spießer". Dann erzählt sie von einem Bernd, dem eine Wohnung gehört mit Balkon, der eine tolle Aussicht biete. "Auch Spießer." Darauf die Tochter: "Du Papa, wenn ich groß bin, will ich Spießer werden."

Ein negativ besetztes Wort, seit den 68ern ein Schimpfwort, wird in Erstrebenswertes umgemünzt. Einerseits wird sich hier mit der Generation der Fischers und Trittins auseinandergesetzt, die Machtpositionen besetzen, schon lange selbst Spießer sind, aber noch immer alles spießig finden. Der Spot greift andererseits den Trend auf, dass Heim, Familie und Geborgenheit hoch im Kurs stehen.

Auch wenn das Individuelle nach wie vor eine Rolle spielt ("Nach eigenen Regeln", Audi; "Is that you?", Montblanc), Karen Heumann sieht die Ich-AG im Rückzug begriffen: "Die Hinwendung zum anderen, dem anderen helfen, das sind Werte und Lebensformen, die wieder im Aufwind sind." Heumann glaubt aber nicht, dass man mit Werbung die Welt verbessern oder für Utopien - liebt Euch alle, seid Freunde, lasst den Griffel fallen - ernsthaft eintreten kann. "Wir sind ja nicht die Bibel oder die Lutherschen Thesen. Wir wollen ein Produkt verkaufen. Trotzdem ist Werbung ein gutes Vehikel, eine positive Stimmung zu verbreiten." Sie will eine konstruktive Weltsicht gefördert wissen, Menschen ermutigen. "Denen sagen, das Leben ist lebenswert, guck mal, was es alles gibt."

Sie hat die Kampagne aus dem eigenen Haus zum 1er BMW im Blick, in dem es um Freude geht. Auf der ersten von zwei Doppelseiten ist nur eine Läuferin zu sehen, die offenbar einen großen Wettkampf gewonnen hat. "Ist es nicht Freude, die uns wirklich bewegt?", steht rechts. Ein Hinweis auf das Produkt fehlt, eine große Geschichte über Frauen in der Leichtathletik könnte auch so aufgemacht sein. Erst die zweite Doppelseite enthüllt den Pkw, dessen Hersteller seit 1965 in seinem Slogan die Freude mit sich führt.

Hier wird also konkrete Tradition mit einem allgemeinen, gesellschaftlichen Wert verknüpft. Freude ist im Unterschied zum Spaß eine tiefere Empfindung und eine, die sich häufig auf andere richtet. Diese Werbung macht zudem deutlich, wie geschickt sie sich in das Bewusstsein des Betrachters einzuschleichen versteht. Wenn er sie nicht kennt, wird er trotz wachem Verstand fast dazu genötigt, nicht nur zu assoziieren, sondern sich Gedanken zu machen. Diese Werbung ist so konstruktiv, dass sie über das fast schon klassisch zu nennende Spiel mit dem Unterbewussten hinaus geht. Um in der Terminologie Freuds zu sprechen: Das Es wird nicht nur beeinflusst, sondern ein Über-Ich tritt auf, das meine Gedanken mit einer Suggestiv-Frage zu leiten sucht: positiv; nicht wie in früheren Zeiten, als auf Basis einer negativen, christlichen Entsagungsmoral mit dem schlechten Gewissen geworben, es gar im Markennamen mitgeführt wurde ("Du darfst", "Danke"). Werbung wäre so nicht nur darauf beschränkt, das "Traumbewusstsein eines Kollektivs" (Walter Benjamin) darzustellen, sondern hätte etwas Totales: Wir haben im Negativen wie im Positiven keine Chance, uns ihr zu entziehen.

Christoph Oellers ist freier Journalist in München.

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