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Das Parlament
Nr. 25 / 14.06.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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"Oft liege ich nachts wach"

Dagmar A., Akademikerin, alleinstehend und mit einem Kind, zu den Sorgen und Nöten, mit wenig Geld auskommen zu müssen
"Geld hat man, darüber spricht man nicht", lautet eine gesellschaftliche Regel. Letztlich bestimmt aber auch das Sein das Bewusstsein, wie wir seit Karl Marx wissen - und das hängt immer eng mit dem materiellen Wohlstand oder der Armut zusammen, in der wir leben. In unserer Gesellschaft werden Menschen stark daran gemessen, wie viel Geld sie verdienen. Wir haben mit einer Frau über Geld und Werte gesprochen, die nicht am unteren Ende der Gesellschaft steht. Aber Armut ist immer relativ.

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Was bedeutet Ihnen Geld?

Dagmar A. Geld ist das, womit ich mir mein Leben einrichten kann, so wie ich es will. Geld ist Freiheit und Notwendigkeit zugleich. Geld bedeutet, vergessen zu können. Dieses Erlebnis habe ich nicht oft. Ich erlebe Geld als Mangel, weil ich zu wenig habe.

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Sie haben den Doktor für Literaturwissenschaften in der Tasche. Ein Job ist nicht in Sicht. Wie fühlen Sie sich damit?

Dagmar A. Nicht gut. Ich kann nicht machen, was ich möchte. Statt dessen stecke ich Kraft und Zeit in irgendwelche Jobs, die mir nichts bedeuten - eben um Geld zusammenzubringen. Außerdem fehlt mir die Anerkennung. Ich fühle mich als jemand anderes als die, die ich momentan beruflich und gesellschaftlich darstelle. Das nagt an mir.

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Fehlt Ihnen nur die Anerkennung aus dem akademischen Milieu oder auch sonst im Leben?

Dagmar A. Nein, von Freunden fehlt mir die Anerkennung nicht. Mir fehlt aber die gesellschaftliche Anerkennung und das drückt sich in Geld, im Job, in Erfolg haben oder nicht haben aus. Wenn man mit dem, was man wichtig findet, keinen Erfolg hat, zweifelt man an sich. Man fragt sich: Ist das etwas wert, was ich mache? Kann ich irgendetwas? Bin ich etwas wert? Meine Freunde scheint das aber alles nicht zu kümmern. Die bemessen mich nicht danach, ob ich einen wichtigen Job habe oder nicht.

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Wie viel verdienen Sie?

Dagmar A. Zwölf Euro pro Stunde. Nach der Miete kann ich im Monat 600 Euro für meinen Sohn und mich für Essen, Kleidung und Versicherungen ausgeben.

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Sind Sie arm?

Dagmar A. Nein. Aber alle anderen, mit denen ich zu tun habe, haben mehr Geld. Armut in unserer Gesellschaft muss man immer im Verhältnis zu anderen bemessen.

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Haben Sie öfters Angst, vielleicht Panik, dass das Geld nicht reicht?

Dagmar A. Ja, ganz oft. Die Angst besetzt mich dann regelrecht. Wenn ich zum Beispiel am Geldautomaten stehe, und hoffe, dass noch etwas heraus kommt. Wenn dann Leute hinter mir in der Schlange stehen - das ist schrecklich. Oft liege ich deshalb nachts wach.

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Was machen Sie, wenn der Geldautomat nicht mehr mitmacht?

Dagmar A. Dann muss ich halt mit fünf Euro übers Wochenende kommen. Dann überlege ich mir, ob ich Geld für eine Briefmarke ausgeben kann, um einen Brief einzuwerfen. Außerdem fange ich dann an, nur noch einen halben Liter Milch einzukaufen, da ich ja irgendwie über die nächsten Tage kommen und alles genau einteilen muss. Solche Tage beengen mich. Manchmal mache ich mir dann aber auch einen Sport aus der Situation und finde es schön, mit der Thermoskanne Kaffee im Park zu sitzen, statt mit einer Tasse Milchcafé im schicken Café.

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Bemisst man in dieser Gesellschaft Menschen daran, wie erfolgreich Sie sind? Spüren sie das?

Dagmar A. Ja, natürlich, und zwar sehr stark. Es gibt Orte und Gelegenheiten, wo man in einer bestimmten Weise gekleidet sein muss, und es fällt auf, wenn man nicht so schick angezogen ist. Manchmal ficht mich das an. Wenn ich eine elegante Frau im Café sehe, die dort sitzt und dauernd auf ihrem Handy angerufen wird, strahlt das Wichtigkeit aus. Dann beneide ich sie und denke, ich möchte auch so wichtig sein und ich kann doch auch so viel. Das ist eine Form von Geltung, die sehr äußerlich ist. Aber trotzdem möchten wir alle gerne so gesehen werden. Dabei kommt mir Marx in den Sinn, der vom Fetisch der Ware spricht. Alles bekommt über den Preis eine ganz andere Bedeutung als über die Herstellung und Benutzung. Wenn der Tauschwert Preis sehr hoch steigt, müssen die Inhalte gar nicht toll sein, trotzdem ist der Wert dann hoch. Der Preis übt ein Image, eine Faszination aus, der man sich schwer entziehen kann. Jeder will im wahren Sinn etwas "wert" sein.

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Aber man vermutet doch auch, dass derjenige der auf dem Handy angerufen wird, vielleicht wichtige Entscheidungen trifft, dass er Einfluss hat, Macht hat . . .

Dagmar A. Ja genau. Viele Leute finden diese Person wichtig. Aber das Schlimme ist, dass diese Leute durch ihren Einfluss, durch ihre Kaufkraft auch entscheiden, wie unsere Gesellschaft geprägt wird. Was wir wertvoll finden sollen und was nicht. Die bestimmen, was "in" ist. Dieser Schein-Wert produziert sich auf diese Weise so weiter. Es entsteht allein dadurch eine Bedeutung, dass man die Zahl der Kontakte multipliziert. Es kommt nicht mehr darauf an, was in einem Buch drin steht, sondern wie häufig es sich verkauft. Viele setzen sich nicht mehr intensiv mit einem Buch auseinander, das sie weiter bringt, sondern wichtig ist, dass sie viele Buchtitel nennen können oder ungefähr wissen, was drin steht.

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Gibt es Erfolg ohne Geld?

Dagmar A. Gesellschaftlichen Erfolg nicht. Der ist immer an Geld gekoppelt. Es wird alles in Geldwährung gemessen. Ohne Geld gibt es kleine Momente des Glücks. Die sehen für jeden Menschen anders aus.

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Hat sich durch Ihre Situation Ihr Selbstvertrauen verändert?

Dagmar A. Oh ja. Leider. Das ist bisweilen extrem schwankend. Allein dadurch, dass es nicht so etwas gibt wie eine feste Arbeitsstelle, an der ich jeden Tag erscheine. Es ist schwer, wenn man kaum Bestätigung bekommt. Man droht seinen eigenen Leistungen, seinen eigenen Fähigkeiten gegenüber unrealistisch zu werden. Das ist anstrengend.

Das Interview führte Annette Rollmann.

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