Das Parlament mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
-
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
-
Homepage des Bundestages | Startseite | Volltextsuche | Ausgabenarchiv | Abonnement | Impressum | Links
-

Volltextsuche
Das Parlament
Nr. 26 / 21.06.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

Zur Druckversion
Claudia Schulz

Buchhunger in West-Afrika

Das Erbe von Kolonialstrukturen

In Zeiten, in denen Afrika als Synonym für Krisen, Hunger und Gewalt gilt, klingt die Geschichte der Université des Montagnes (UDM) wie ein Märchen. Ein Dutzend kamerunischer Intellektueller und Würdenträger gründete 1994 den Verein Association pour l'Education et le Développemnt (AED). Seine Initiatoren mochten nicht länger tatenlos zusehen, wie die Jugend Kamerun verließ, weil sie keine Möglichkeit sah, in ihrem Heimatland zu studieren. Sollten keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, so die befürchtung der stellvertretenden Vereinsvorsitzenden Ambroise Kom damals, werde es in 20 Jahren keine einheimischen Ärzte mehr geben, keine Ingenieure und keine Lehrer. Man beschloss, der Skepsis internationaler Kollegen zum Trotz, eine Privatuniversität zu gründen, die vom AED getragen werden sollte.

Jahrelang sammelten die Vereinsmitglieder Gründungskapital. Zahlreiche Kameruner unterstützten das Projekt und machten es zu einer von breiten Bevölkerungsschichten getragenen Gemeinschaftsintiative. Finanzielle Hilfe leistete auch die kamerunische Diaspora in den USA und Europa. Darüber hinaus bemühte sich der AED, lokale einflussreiche Persönlichkeiten für das Projekt zu gewinnen. Der chef supérieur von Bangangté schenkte dem AED 204 Hektar Land in Banékane im Westen des Landes. Dort entsteht ein Campus, der medizinische und pharmazeutische Fakultäten samt Universitätskrankenhaus und Laboratorien beherbergen wird wie auch Informatik-, Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaften. Die in traditioneller Architektur der Region entstehende Anlage wird mit Materialien lokaler Produktion errichtet.

Im Herbst 2000 begannen 43 junge Menschen in den provisorischen Räumlichkeiten der UdM zu studieren. Im diesjährigen vierten Studienjahr sind es bereits über 200 Studenten, wobei der Anteil der Frauen 62 Prozent beträgt. Dabei übersteigt die Anzahl der Bewerbungen trotz Studiengebühren die Anzahl der Plätze bei weitem. Die UdM ist mit Computern ausgestattet und bietet Labore mit umfänglicher Ausstattung. Es gibt Vereinbarungen mit den Krankenhäusern der Umgebung, dass Medizinstudenten ein Praxisjahr absolvieren können. Außerdem sollen in Zusammenarbeit mit lokalen Wirtschaftsunternehmen Wissenschaft und regionale Bedürfnisse verbunden werden.

Dennoch ist es offen, welchen Verlauf die Erfolgsgeschichte nehmen wird. Kameruns Regierung stimmte zwar offiziell der Gründung der Privatuniversität zu, im September 2003 erging allerdings eine Verfügung, die die UdM als nicht autorisierte Lehrstätte einstufte, was zu erheblicher Verunsicherung unter Lehrenden wie Studierenden führte. Seitdem wird der AED mit immer neuen Auflagen konfrontiert.

Dass er sie bisher stets erfüllen konnte, änderte nichts an der Situation. Würden ähnliche Anforderungen an die Ausstattung staatlicher Universitäten gestellt, so ein AED-VOrstandmitglied, müssten diese sofort geschlossen werden. Sie sind überfüllt und schlecht ausgestattet. Einige Professoren haben das Potenzial der UdM erkannt, es gibt Partnerschaften zwischen ihr und staatlichen Unis. Schulen wie auch Hochschulen leiden unter dem in ehemaligen französischen Kolonien verbreiteten mangelnden politischen Willen, massiv in diesen Sektor zu investieren. Dies schlägt sich auch auf dem Buchmarkt nieder. In Afrika herrscht Buchhunger.

Die französische Regierung entließ ihre Kolonien mit einer geringen Alphabetisierungsquote sowie ohne eigene Verlags- und Vertriebsstrukturen in die Unabhängigkeit. Frankreich hatte Bücher nach Afrika exportiert, aber nicht das Wissen, wie sie hergestellt werden. Es waren zwar zur Herstellung offizieller Dokumente einige Druckereien gegründet worden, insbesondere in Senegal. Doch erst 1963 entstand mit holländischen und deutschen Kirchengeldern in Yaoundé mit "le Centre de Littératures Evangéliques" der erste afrikanische Verlag. Auch bei den später gegründeten Verlagen wie in Abidjan und Dakar gibt es bis heute eine strukturelle Ausrichtung auf Frankreich.

Paris hat es über die Kolonialzeit hinaus verstanden, seinen Einfluss auf den "pré-carré" zu sichern und den französischen Verlagen eine mächtige Stellung im lukrativen afrikanischen Schulbuch-Markt zu erhalten. In diversen Abkommen mit den verschiedenen Staaten wurde vereinbart, das französische Schulsystem und die französische Sprache beizubehalten. Rückendeckung erhielt Frankreich durch die UNESCO mit dem Ratschlag, im Hinblick auf die multi-ethnischen Staaten Französisch als einigende Nationalsprache zu belassen.

Die afrikanischen Erziehungsministerien vergaben Buchaufträge in frankophonen, aber auch in anglophonen Ländern an die teilweise staatlich kontrollierten Verlage und an multinationale Unternehmen. Das Argument, sie könnten im Vergleich zu afrikanischen Verlagen billiger produzieren, ist häufig hinfällig. Die hochwertige Ausstattung der Bücher treibt die Preise in die Höhe, während die Kaufkraft in den meisten frankophonen Staaten sinkt.

Unabhängige (nicht-staatliche) afrikanische Verlage haben es bislang nicht vermocht, auf diesem lukrativen Markt Fuß zu fassen, was das Lektüreangebot mit konkurrierenden Inhalten erheblich schmälert. In den ehemaligen französischen Kolonien sind wenige Titel zu finden, die die Probleme der Länder konstruktiv analysieren. Es mangelt an Büchern, die Lösungsvorschläge jenseits der Regierungsnetzwerke bieten und für Einheimische bezahlbar sind.

Diese strukturellen Schwierigkeiten sind eine immense Herausforderung für die UdM, die nach Spitzenforschung und -technologie auf internationalem Niveau strebt und dabei die regionalen Bedürfnisse im Blick hat. Ihr Motto lautet: semper altissimo ascendere. Damit bietet der AED Kameruns Regierung eine Institution, die die Region in einem integrativen Geist voranbringen und sich nicht mit Lehrbüchern bescheiden möchte, die in Frankreich längst Ladenhüter sind. Es bleibt zu hoffen, dass das die kamerunischen Offiziellen zu schätzen wissen.

Zur Inhaltsübersicht Zurück zur Übersicht